Lexikon der Biologie: Myzostomida
Myzostomida [von *myzo- , griech. stoma = Mund], je nach systematischer Auffassung als Ordnung der Polychaeta oder Klasse der Ringelwürmer(Annelida) geführt. Die etwa 150 Arten, die sich, bei Wertung der Myzostomida als Klasse, auf 7 Familien und die beiden Ordnungen Proboscidea und Pharyngidea ( vgl. Tab. ) verteilen, leben als Kommensalen (Kommensalismus) oder Ektoparasiten, seltener als Endoparasiten auf bzw. in vor allem Haarsternen, aber auch Seesternen und Schlangensternen, sind folglich rein marin und kommen in allen Meeren vor. Sie sind bereits aufgrund der von ihnen an Stachelhäutern erzeugten Gewebewucherungen („Gallen“) aus dem Devon bekannt. Ihr vom Bauplan der Ringelwürmer beachtlich abweichender Körper ( vgl. Abb. ) – zweifellos eine Anpassung an ihre seit Jahrmillionen bestehende Lebensweise – ist im allgemeinen eine dorsiventral abgeflachte, kreisförmige oder ovale, oft bunt gefärbte und mit langen Cirren besetzte Scheibe mit einem Durchmesser von durchschnittlich 4 mm (größte Art Promyzostomum polynephris, 3 cm), an der keinerlei äußere Segmentierung zu erkennen ist. Doch sind 5 Paar Parapodien – jedes einzelne mit einer Acicula und einer S-förmig gekrümmten Borste – sowie 4 Paar vorstülpbare Lateralorgane ausgebildet. Die Lateralorgane stehen jeweils zwischen den Parapodien und enthalten große Sinneszellen unbekannter Funktion. Die Anzahl der Parapodien läßt auf einen Körperbau aus 5 Segmenten schließen, auch wenn eine innere Organ-Metamerie fehlt. Die Segmente gehen direkt, also nicht teloblastisch (Teloblastie), aus der Trochophora hervor. Die Urmesoblasten (Urmesodermzelle) bilden keine segmentalen Coelomhöhlen, sondern lediglich eine dorsale, mit seitlichen Aussackungen versehene Kammer, die als Gonadenhöhle dient und die Wimpertrichter der beiden Meta-Nephridien enthält. Ferner liefert das Mesoderm Muskulatur und ein Parenchym, das als Binnenskelett die Leibeshöhle zwischen Hautmuskelschlauch und Darm erfüllt. Der Hautmuskelschlauch besteht aus einer meist bewimperten, weniger häufig mit einer Cuticula versehenen (Asteriomyzostomidae, Protomyzostomidae, Stelechopodidae) zellulären Epidermis und einer ihr unterlagerten Muskulatur, die, je nach der Lebensweise der Tiere, sehr unterschiedlich gestaltet sein kann und bei vielen sessilen Formen in radiäre, zwischen den Parapodien verlaufende Septen gegliedert ist. Da diese Muskelsepten bisher nicht mit Coelomwänden homologisiert werden konnten, muß man sie als funktionell bedingte sekundäre Bildungen ansehen. Das Darmsystem besteht aus einem muskulösen Pharynx, dem Mitteldarm mit einer je nach systematischer Zugehörigkeit unterschiedlichen Anzahl und Art von Darmdivertikeln sowie einem Enddarm, der dadurch, daß die Geschlechtsorgane und Metanephridien in ihn münden, zur Kloake wird. Bei den Proboscidea ist der Pharynx Teil des Vorderkörpers, der als Introvert in eine Scheide des Rumpfes eingelassen ist und zum Nahrungserwerb als Rüssel aus der Scheidenöffnung hervorgestülpt wird. Bei den Pharyngidea, die keinen Introvert besitzen, wird der Pharynx aus der Mundöffnung ausgestülpt. In den Pharynx münden Gruppen einzelliger Drüsen, die als Speicheldrüsen benannt sind. Über dem Pharynx liegt ein wenigzelliges Gehirn, das durch Schlundkonnektive mit dem Bauchmark verbunden ist. Dadurch, daß die Ganglien und Nervenfasern des Bauchmarks zu einer einheitlichen Masse verschmolzen sind, ist die für das Nervensystem der Gliedertiere typische Strickleiterform (Strickleiternervensystem) verschwunden. Vom Bauchmark gehen jeweils 5 Haupt- und 6 Nebennerven aus. Die Hauptnerven versorgen die Parapodien, Cirren, die Körperdecke und Teile der männlichen Geschlechtsorgane, die Nebennerven die Muskulatur, Darm, Nephridien, Lateralorgane und ebenfalls Geschlechtsorgane. Atmungsorgane fehlen ebenso wie ein Blutgefäßsystem. Als Exkretionsorgane dienen die Darmdivertikel; die Metanephridien leiten offenbar nur überschüssige Geschlechtsprodukte aus. – Das Fortpflanzungsgeschehen der simultan (= funktionell) oder protandrisch (Proterandrie) hermaphroditischen Myzostomida (Zwittrigkeit) ist einzigartig im Tierreich und zudem nur lückenhaft bekannt. Bei Myzostoma findet eine wechselseitige Begattung statt, indem die Partner sich gegenseitig Spermatophoren an den Körper heften, die neben den mit Spermatozoen gefüllten Spermiocysten auch Podocysten mit je 4 Podocyten enthalten. Spermiocysten, Podocysten und Podocyten entstehen offensichtlich auch im Hoden und sind vermutlich besonders differenzierte männliche Geschlechtszellen. Nach Anheften der Spermatophore verschmelzen Spermiocysten und Podocysten zu einem Sperma-Syncytium, das die Spermatophore wie die Körperwand des Geschlechtspartners durchbohrt und mit einem Pseudopodium in den Körper eindringt. Dabei verzweigt sich das Syncytium zunächst zu einem Spermarhizom, um dann in mehrere Sekundärrhizome zu zerfallen, die, Amöben gleich, unter Pseudopodienbildung durch den Körper wandern und schließlich im dorsalen Coelom in die Ovarien eindringen. Hier treten die Spermatozoen aus den Spermiocysten aus und besamen die im Coelom liegenden Eier. Über den unpaaren Ovidukt (Coelomodukt) gelangen die Eier ins Wasser. Auf die Spiralfurchung folgt eine Gastrulation durch Epibolie. Nach offenbar spätestens 30 Stunden ist eine kugelförmige Trochophora-Larve entstanden, die sich nach 8 Tagen, wenn sie bereits eine Länge von 150 μm erreicht und 2 Paar Parapodienanlagen mit Hakenborsten und Schwanzanhang gebildet hat (Nectochaeta), auf einem Wirt festsetzt, um hier zum 4 mm großen Adultus heranzuwachsen. Mesomyzostomidae, Myzostomidae, Parasitismus, Symphorismus.
D.Z.
Myzostomida
1 Bauplan von Myzostomum spec.;a Ventralansicht, mit ausgestülptem „Rüssel“ und den Umrissen des Darmsystems; b Sagittalschnitt.
An Anus, Bm Bauchmark, Ch Coelomhöhle, Ci Cirrus, Kl Kloake, Md Mitteldarm, mG männliche Geschlechtspapille, Ne Nephridium, Og Oberschlundganglion, Ov Ovidukt mit Eiern, Ph Pharynx, Pp Parapodium mit hakenförmiger Borste, Rü „Rüssel“, enthält auch das Prostomium, Si laterales Sinnesorgan.
2Myzostoma cirriferum von einem Haarstern (Ventralansicht); radiär 5 Paare reduzierter Parapodien, kenntlich an ihren kräftigen Hakenborsten beiderseits; oben der zylinderförmige Saugpharynx
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