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»Ameisen«: Punks mit Petiolus

Es gibt sie viel länger als uns, und sie haben besser begriffen als wir, dass man nur gemeinsam Erfolg hat. Eine faszinierende Expedition in die Welt der Ameisen.

Woran denken Sie, wenn Sie »Ameisen« hören? An endlose Ameisenstraßen durch die Küche? An lästige Krabbler, die das sommerliche Picknick im Park stören? Oder an unterhöhlte Pflastersteine, die den Gehweg zur Stolperfalle werden lassen? – Wir alle haben unsere Bilder im Kopf. Aber Ameisen sind so viel mehr als nur Lästlinge. Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie dem sicherlich zustimmen.

Ameisen bewohnen diese Erde seit etwa 150 Millionen Jahren und damit über 100 Millionen Jahre länger als Homo sapiens. Sie sind anpassungsfähig, besiedeln jede noch so kleine Nische – vom tropischen Regenwald über Wüsten bis hin zur norddeutschen Kleinstadt. Mehr als 15 000 Arten – mit Unterarten – gibt es weltweit. Forschende schätzen ihre Individuenzahl auf unvorstellbare 20 Billiarden.

Was die Insekten so erfolgreich und zu den »geheimen Herrscherinnen der Welt« macht, bringt Autorin Magdalena Sorger zu Beginn des zweiten Kapitels auf den Punkt: »Sie sind stark. Sie arbeiten hart. Sie sind klein. Und sie sind schnell.« Ein tierisches Erfolgsmodell auf sechs Beinen.

Apropos Beine. »Woran erkennt man eine Ameise überhaupt?«, fragt Sorger anfangs und verweist zugleich auf die drei wichtigsten Merkmale: Beine, Fühler und Petiolus. Wie alle Insekten haben Ameisen sechs Beine, soviel ist klar. Die Fühler sind typischerweise L-förmig abgeknickt und können nicht nur tasten und riechen, sondern bei einigen Arten sogar Magnetfelder wahrnehmen.

Punks mit Petiolus

Aber was ist ein Petiolus? Die Biologin schreibt: »Er macht die Ameise zur Ameise.« Denn diese(n) Knoten zwischen Brust und Hinterleib habe keine andere Insektengruppe. Ein Knubbel, zwei kleine Knoten oder eine Platte – Ausprägung und Form des Petiolus verraten mehr über die Familienzugehörigkeit. Beim Petiolus endet die Variabilität der Ameisen aber nicht, es gibt sie in Grün oder Blau, mit Haaren und ohne Haare, mit runden, dreieckigen oder langgezogenen Köpfen; sie sind Punks und Musikerinnen, Kämpferinnen, Sklaventreiberinnen und definitiv Welt(en)eroberinnen, die beizeiten gar explodieren.

Sie wundern sich über das generische Femininum? »Tatsächlich fällt das Gendern bei Ameisen ganz leicht, denn der Großteil der Ameisenkolonie ist mit Sicherheit weiblich!«, stellt Ameisenforscherin Sorger klar – ob Arbeiterin, Wächterin, Soldatin oder Königin, die ihr Leben damit verbringt, Eier zu legen und die Kolonie wachsen zu lassen.

Auch davon handelt Sorgers Buch: Wie sieht der Alltag in einer Kolonie aus? Welche Kasten und Rollenverteilungen gibt es? Und welche Aufgaben haben Ameisen in Ökosystemen, als Landwirtinnen und Baumeisterinnen, Bestäuberinnen und Samenverteilerinnen, ja, selbst Reservistinnen, wenn Individuen einer Gruppe doch mal ausfallen?

Denn klar ist: Es geht nur gemeinsam, Ameisen arbeiten stets zusammen – wie von einer höheren Macht koordiniert. Kaum verwunderlich, dass im Zusammenhang mit staatenbildenden Insekten immer wieder der Begriff »Superorganismus« fällt. Sorger nennt das die »Intelligenz im Kollektiv«.

All diese und noch viel mehr Fakten über Ameisen erfährt man quasi im Vorübergehen – beziehungsweise: -krabbeln. Denn was auf den ersten Blick als Sachbuch daherkommt, entpuppt sich als unterhaltsame, kurzweilige Literatur, die gespickt ist mit Anekdoten der Autorin. Fachbegriffe nutzt Sorger bewusst, erklärt sie aber stets. Mehr als hundert Fotografien zeigen die Vielfalt der sechsbeinigen Überlebenskünstlerinnen.

Herausgekommen ist ein sehr persönlicher Blick in die Ameisenwelt, der an keiner Stelle auch nur versucht, die Begeisterung der Autorin für diese Krabbeltiere zu verbergen. Warum auch? Ameisen sind faszinierende Tiere. »Ameisen – Die geheimen Herrscherinnen der Welt« bringt das auf den Punkt und ist damit ein Buch für alle Menschen, die sich für dieses Thema begeistern lassen.

Dabei war Sorgers Weg zu den Ameisen alles andere als geradlinig. Sie studierte BWL mit dem Plan, als Unternehmensberaterin »eine absurde Menge Geld zu verdienen«, wie sie auf ihrer Website verrät. Kurz vor Ende des Studiums verbrachte sie ein Auslandssemester in den USA und nahm dort an Kursen teil, die zumindest auf den ersten Blick nichts mit Wirtschaft zu tun hatten. Bei einer Zoologie-Vorlesung traf sie auf Ameisen – und blieb ihnen treu. Nach dem BWL-Abschluss studierte sie die Insekten in Guatemala, Borneo und Äthiopien, forschte am Wiener Naturhistorischen Museum und promovierte letztlich über »Ameisen, Inseln und Evolution«.

Im Jahr 2021 gründete Sorger in Wien das Unternehmen »Discover Ants«. Die Biologin sieht sich nicht nur als Wissens- und Wissenschaftsvermittlerin, sondern bietet neben Workshops und Fachvorträgen auch Teambuildung-Kurse für Unternehmen an: »Was können Teams & Führungskräfte von Ameisen lernen?«, fragt sie und schlägt so dann doch irgendwie den Bogen zu ihrem »alten Leben«.

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