Lexikon der Biologie: Bodenorganismen
Bodenorganismen, Edaphon, Gesamtheit der im Boden lebenden Lebewesen (ohne die Wurzeln Höherer Pflanzen). Sie besiedeln hauptsächlich die luft- und wassergefüllten Hohlräume des streu- und humusreichen Oberbodens (O- und A-Horizont), weniger den Unterboden (B-Horizont). Ihre Haupttätigkeit ist die Humifizierung und Mineralisierung (Mineralisation) toter organischer Substanz; sie beeinflussen hierdurch entscheidend den Nährstoffhaushalt und die Fruchtbarkeit des Bodens (Bodenfruchtbarkeit). Der Anteil der Bodenorganismen an der Masse der gesamten organischen Substanz eines Bodens unserer gemäßigten Breiten ( vgl. Abb. ) beträgt ca. 5% (Humus 85%, Pflanzenwurzeln 10%). Verschiedene Bodeneigenschaften stimulieren oder hemmen die Organismentätigkeit (Feuchtigkeit [Bodenwasser], Bodentemperatur, Bodenreaktion, Porenvolumen usw.). Man teilt die Bodenorganismen in pflanzliche (Bodenflora) und tierische Bodenorganismen (Bodenfauna) ein ( vgl. Tab. ).
1) Bodenflora: Hierzu zählt man allgemein auch alle nichttierischen Mikroorganismen: Bakterien (einschließlich der Actinomyceten), Cyanobakterien (Blaualgen), Pilze, Algen und Flechten. Sie überwiegen sowohl zahlenmäßig als auch mit ihrer Gesamtmasse (75% der Masse der Bodenorganismen) die tierischen Bodenorganismen. Die Bakterien sind mit zahlreichen Gattungen vertreten. Nach Schätzungen übertrifft die Menge der weltweit existierenden, bodenlebenden Bakterien das Gewicht aller Menschen, anderer Säuger und Vögel um das Zehnfache. Nimmt man die anderen pflanzlichen und tierischen Bodenorganismen hinzu, steigt das Verhältnis sogar auf 50:1. Ein einziges Gramm Erde aus der Wurzelzone einer Pflanze kann eine Milliarde Bakterienzellen enthalten – mit einer Vielfalt von 4000–5000 verschiedenen Bakterientypen. Die meisten von ihnen leben saprophytisch, d. h., sie gewinnen ihre Energie durch den Abbau toter organischer Substanz (Pseudomonas,Arthrobacter,Achromobacter,Bacillus, Micrococcus [Micrococcaceae], Flavobacterium und andere). Einige Gattungen sind jedoch Stoffwechselspezialisten. So benötigen manche Bakterien nur anorganische Verbindungen zum Wachstum oder können molekularen Stickstoff assimilieren (Stickstoffassimilation). Die nitrifizierenden Bakterien(Nitrosomonas, Nitrobacter) oxidieren Ammonium (aus Proteinabbau und mineralischen Stickstoffdüngern) und Nitrit zu Nitrat. Dadurch kann der Bodenstickstoff leichter ausgewaschen werden. Schwefelbakterien, Eisenbakterien und manganoxidierende Bakterien vermögen in ihrem chemoautotrophen Stoffwechsel (Chemoautotrophie) S2–-, Fe2+- und Mn2+-Verbindungen zu oxidieren. Die Stickstoffixierer, die den Luftstickstoff binden, stellen eine wichtige Stickstoffquelle des Bodens dar. Sie leben entweder frei (Azotobacter,Azotomonas,Beijerinckia, Clostridium;Clostridien) oder symbiontisch in Leguminosenwurzeln (Rhizobium;Knöllchenbakterien). Pseudomonas denitrificans (Pseudomonas),Achromobacter und andere Bakterien, die bei guter Durchlüftung (aerobe Bedingungen; Bodenluft) eine Sauerstoffatmung ausführen, stellen bei Sauerstoffmangel ihren Stoffwechsel fakultativ auf die anaeroben Bedingungen um. Sie reduzieren dann Nitrat zu molekularem Stickstoff, der in die Atmosphäre entweicht. Schlechte Durchlüftung führt deshalb zu Stickstoffverlusten im Boden (Denitrifikation). Bestimmte Wurzelbakterien, die deleterious rhizobial bacteria (DRB), bilden Toxine, die das Wachstum Höherer Pflanzen artspezifisch hemmen können. Neuere Forschungen gehen der Frage nach, ob diese Bakterien im Feldfruchtanbau auch gegen Unkräuter eingesetzt werden können. Actinomyceten (Actinomycetales) besitzen in humusreichen, ausreichend drainierten und nicht zu sauren Böden (pH 6–8, Humusform Mull) einen ähnlich hohen bodenbiologischen Stellenwert wie die Bakterien. Sie verwerten als aerob lebende Saprophyten unter anderem auch schwer abbaubare pflanzliche Stoffe, wie Cellulose (celluloseabbauende Mikroorganismen), Lignin sowie Chitin und höhermolekulare Humusstoffe. Dabei erzeugen sie, ähnlich wie die Pilze, Humine (zum Teil stickstoffhaltig; Huminstoffe) und verleihen dem Boden den charakteristischen Erdgeruch (Bodengare, Geosmin). Einige Actinomyceten binden in Symbiose mit Nichtleguminosen den Luftstickstoff, z. B. Frankia-Arten (Frankiaceae) in den Wurzeln von Sanddorn und Erle. Actinomyceten finden sich zum Teil aber auch als Symbionten im Darm von Bodentieren. – Die Pilze durchziehen den Boden mit ihrem weitverzweigten Mycel. Sie leben aerob (nur selten partiell anaerob) und heterotroph, meist saprophytisch. In sauren, humosen oder stark gedüngten Böden (Humusform Moder und Rohhumus) sind Bodenpilze gewöhnlich zahlreicher als Bakterien vertreten. Einige Vertreter der Schimmelpilze (Penicillium,Aspergillus, Mucor;Mucorales) erzeugen vermutlich im Boden Antibiotika. Zersetzt ( vgl. Abb. ) werden Cellulose, Pektine, Hemicellulose; einige Ständerpilze (Basidiomyceten) können auch Lignin abbauen. Eine große Zahl von Pilzen lebt als Mykorrhiza in Symbiose mit Pflanzenwurzeln (Wurzel). – Photosynthetisch aktive Mikroorganismen, vor allem Algen (einzellig bis fädig), finden sich wegen ihres Lichtbedarfs nur an der Oberfläche oder im Wasser überschwemmter Böden. Am häufigsten sind Blaualgen (Cyanobakterien), Grünalgen, seltener die Kieselalgen oder phototrophe Bakterien. Einige Cyanobakterien und Algen sind befähigt, außergewöhnliche Bedingungen, wie Austrocknung oder hohe und tiefe Temperaturen, zu überdauern. Sie können deshalb als Pioniere Extremstandorte, z. B. Gesteine, besiedeln und die Bodenbildung (Bodenentwicklung) einleiten. Viele Blaualgen (z. B. Nostoc,Calothrix,Anabaena) besitzen auch die Fähigkeit, den Luftstickstoff zu binden. Krankheitserregende Mikroorganismen kommen ebenfalls im Boden vor, z. B. der Erreger des Wundstarrkrampfes (Clostridium tetani;Clostridien), des Gasbrandes(Clostridium-Arten; Gasbrandbakterien) und auch viele pflanzenschädigende Bakterien (z. B. Agrobacterium) und Pilze. – Die Flechten, eine symbiontische Verbindung aus Algen und Pilzen, haben unter gemäßigten Bedingungen nur wenig Anteil am Bodenleben. Wegen ihrer außerordentlichen Widerstandskraft und Anspruchslosigkeit dringen sie aber als Vorposten des Lebens am weitesten in die Kältewüsten der Hochgebirge und der arktischen Klimazonen vor und besiedeln dort Gesteine und Rohböden. – Die konkrete standörtliche Ausbildung der Mikroflora ist vom Klima, Bodentyp, von der Art der Abbauprozesse und Bodenbearbeitung abhängig. Auch ein jahreszeitlicher Wechsel ist festzustellen: feuchtigkeitsabhängige Bakterien und Actinomyceten zeigen ein Maximum im Frühjahr und Herbst, während Pilze häufig im Sommer dominieren. Die höchste Aktivität der Bodenflora findet sich dicht unter der Bodenoberfläche, wo hohe Temperaturen, gute Durchlüftung und ein hoher Gehalt an organischer Substanz mit einer schon relativ konstanten Feuchtigkeit verknüpft sind. In tieferen Bodenschichten nehmen Anaerobier relativ zu. Ein saures Bodenmilieu (pH 3–5) fördert das Pilzwachstum, hemmt dagegen die Stickstoffbindung und Nitrifizierung. Durch die Bodenbearbeitung ist die Artenvielfalt von Bakterien und Pilzen in kultivierten Böden höher als in nicht bearbeiteten Böden, z. B. in denen von Grünlandgesellschaften. Während sie dort lokale Populationen und Gesellschaften bilden können, werden sie in einem bestellten Boden gleichmäßig verteilt.
2) Bodenfauna: wird nach der Größe der Bodenorganismen eingeteilt ( vgl. Tab. ). Zur Mikrofauna (kleiner als 0,2 mm) zählen Protozoen (Einzeller) und Nematoden (Fadenwürmer). Der Lebensraum der einzelligen Protozoen (Geißeltierchen, Wimpertierchen, Wurzelfüßer) sind die wassergefüllten Bodenporen (Porung). Sie ernähren sich saprophytisch von Tier- und Pflanzenrückständen oder räuberisch von Bakterien. Bei ungünstigen Bedingungen, z. B. Trockenheit, bilden sie Chitinkapseln (Cysten), in denen sie jahrelang überdauern können. In 1 g Wiesenboden wurden 50 000 Protozoen und 90 000 Protozoencysten gefunden. Nematoden leben saprophytisch oder parasitisch von Pflanzenwurzeln. In ackerbaulichen Monokulturen können sie wegen starker Vermehrung Schäden anrichten. Dem sucht man mit Fruchtwechsel (Fruchtwechselwirtschaft) oder chemischen Mitteln (Nematizide) zu begegnen. Zur Mesofauna (0,2 mm bis 2 mm) rechnet man größere Nematoden, Mikroarthropoden (Gliederfüßer) mit Milben, insbesondere Hornmilben, und Springschwänzen als Hauptvertreter, ferner Bärtierchen, Rädertiere und kleine Borstenwürmer (Oligochaeta, Polychaeta). Sie leben saprophytisch oder als Räuber von der Mikrofauna und -flora. Die Makrofauna (2 mm bis 20 mm) umfaßt Borstenwürmer, Schnecken und den großen Tierstamm der Gliederfüßer mit Spinnen, Tausendfüßern, Landasseln und Insekten. Viele Insekten verbringen lediglich ihre Larven- oder Puppenstadien im Boden, sind also nur temporär Bodentiere. Die zur Makrofauna gehörenden Bodenorganismen haben außerordentlich vielfältige Lebensformen und Lebensweisen entwickelt. Ihr Einfluß auf die Bodenentwicklung ist deshalb vielgestaltig. Als Megafauna (größer als 2 cm) bezeichnet man große Schnecken, Regenwürmer, Großarthropoden und Wirbeltiere, die ganz oder teilweise im Boden leben (Wühlmäuse, Maulwürfe, Kaninchen, Hamster, Ziesel, Spitzmäuse, diverse Mausarten und einige Großsäuger). Die Regenwürmer machen den größten Teil der Megafauna aus und nehmen im Bodenleben einen wichtigen Platz ein. Sie graben bis über 2,50 m Tiefe reichende Röhren und verbessern damit die Wasserführung und Belüftung des Bodens. Organische und mineralische Bodenbestandteile werden im Wurmdarm aufs innigste vermischt und als Kotballen (Wurmlosung) auf der Bodenoberfläche zurückgelassen. Wühlende und grabende Wirbeltiere lockern und durchmischen ebenfalls die oberen Bodenhorizonte (Bioturbation). Sie sind wesentlich an der Bildung von tiefgründigen Schwarzerden (Tschernosem) beteiligt. Bodenbiologie, Bodenschädlinge, C/N-Verhältnis, Dünger, Edaphon, Francé (R.H.), regressive Evolution, Streuabbau, Wurzelausscheidungen.
R.K./A.Se.
Lit.: Brauns, A.: Praktische Bodenbiologie. Stuttgart 1968. Brauns, A.: Taschenbuch der Waldinsekten. Grundriss einer terrestrischen Bestandes- und Standort-Entomologie. Stuttgart 41991. Eisenbeis, G., Wichard, W.: Atlas zur Biologie der Bodenarthropoden. Stuttgart 1985. Wichard, W., Arens, W., Eisenbeis, G.: Atlas zur Biologie der Wasserinsekten. Stuttgart 1994. Franz, H.: Die Bodenfauna der Erde in biozönotischer Betrachtung. 2 Teile. Wiesbaden. Herbke, G., u. a.: Die Beeinflussung der Bodenfauna durch Düngung. Hamburg 1962. Kühnelt, W.: Bodenbiologie. Wien 1950. Schaefer, M.: Die Bodenfauna von Wäldern: Biodiversität in einem ökologischen System. Wiesbaden 1996. Schaller, F.: Die Unterwelt des Tierreichs. Heidelberg 1962. Topp, W.: Biologie der Bodenorganismen. Heidelberg 1981.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.