Lexikon der Ernährung: Retinol
Retinol, all-trans-Retinol (veralt. Axerophtol), Vitamin A, Eretinol, vitamin A. R., Retinylester und Retinal werden als Vitamin A bezeichnet, sie verfügen über alle Wirkungen des fettlöslichen Vitamins. Davon unterscheidet man diejenigen Retinoide (Retinsäure und ihre synthetischen Derivate), die nicht vollständig wie Vitamin A wirken (kein Einfluss auf Spermatogenese und Sehzyklus), da sie nicht zur Ausgangssubstanz R. verstoffwechselt werden können (Abb.).
Eigenschaften: R. ist fettlöslich und kann bei Hitze /Licht isomerisieren. R. ist oxidationsanfällig, der Retinylester ist wesentlich stabiler.
Vorkommen: Retinoide kommen nur in tierischen Produkten vor, Carotinoide (Provitamin A, β-Carotin) hauptsächlich in Produkten pflanzlicher Herkunft. Einen hohen Gehalt haben Leber (15–39 µg RÄ%), Butter (653 µg RÄ%), Ei (190 µg RÄ%), Vollmilchpulver (250 µg RÄ%) und Käse (250–450 µg RÄ%). Mittlere Gehalte findet man in Fleisch (bis 15 µg RÄ%), Fettfischen (100–900 µg RÄ%) und Vollmilch (31 µg RÄ%). Die Zubereitungsverluste betragen etwa 10–30 %, die körpereigenen Reserven reichen für 1–2 Jahre.
Retinoläquivalente (RÄ): Eine Internationale Einheit (IE) Retinol ist definiert wie folgt:
1 IE = 0,3 µg Retinol.
Das entspricht 0,344 µg Retinylacetat, 0,6 µg all-trans-β-Carotin und 1,2 µg anderer Carotinoide mit Provitamin-A-Aktivität.
1 µg RÄ = 1 µg Retinol.
Das entspricht 6 µg all-trans-β-Carotin und 12 µg anderer Carotinoide mit Provitamin-A-Aktivität.
1 mg RÄ = 3.000 IE.
Bedarf (nach DGE): Als Gruppen mit einer kritischen R.-Versorgung gelten Neugeborene, Kinder mit häufigen Infekten (bei Erkrankung an Masern auch Erwachsene) sowie ältere Menschen (Seniorenernährung). Die Referenzwerte für die empfohlene Zufuhr zeigt die Tab. 1.
Resorption, Metabolismus: Vitamin A wird entweder in Form seines Provitamins (meist all-E-β-Carotin) aus Pflanzen oder aber in Form seiner Fettsäureester aus tierischen Produkten aufgenommen. Die Fettsäureester werden von einer Pankreaslipase (Cholesterylesterase) im Intestinallumen gespalten, das entstehende R. von den Mucosazellen aufgenommen. Im Enterocyten wird R. von zwei Enzymen reverestert: Lecithin-Retinol-Acyltransferase (LRAT) verestert R., das nach Resorption an ein Bindungsprotein (CRBPII) gebunden wird, Acetyl-CoA-Retinol-Acyltransferase (ARAT) verestert ungebundenes R. Die so entstandenen Ester werden in Chylomikronen inkorporiert, gelangen über die Lymphbahn in das Blut, werden zu Chylomikronenresten (remnants) abgebaut und gelangen so in die Leber (auf die Speicherung von Vitamin A spezialisierte Zellen der Leber werden Als Ito-Zellen bezeichnet). Teilweise werden die Retinylester während des Transports zur Leber über die Lipoproteinlipase in verschiedene Gewebe aufgenommen (unabhängig vom Transfer in die Leber). In die Leber werden die Chylomikronenreste durch den Remnant-Rezeptor (Apo-E, eventuell Apo-B,E-LDL-Rezeptor) aufgenommen, zu Retinol hydrolisiert und zu den perisinusoidalen Stellatumzellen (Langzeitspeicher) der Leber transportiert, wo sie erneut verestert werden.
Die Abgabe des R. in die Blutbahn erfolgt nach Hydrolyse (spezifische Retinylester-Hydrolase) und Bindung an Apo-Retinol-bindendes Protein (Apo-RBP). Als Holo-RBP wird R. nach Bindung an Transthyretin (TTR) ins Plasma sezerniert. An der Zielzelle wird R. durch ein entsprechendes Bindungsprotein gebunden, teilweise metabolisiert oder reverestert und in dieser Form gespeichert. Der Plasmaspiegel von R. wird homöostatisch reguliert, er bleibt in engen Grenzen konstant, solange der Leberspeicher nicht unter 10 µg / g absinkt, sodass die Bestimmung der Vitamin A-Konzentration im Plasma keine verwertbaren Aussagen zulässt.
Biochemische Funktionen: Es gibt keine einheitliche Wirkungsweise aller Vitamin-A-aktiven Verbindungen, vielmehr zeigen die verschiedenen Derivate teilweise sehr unterschiedliche funktionelle Wirkungen (Tab. 2).
Mangel: Retinolmangel ist eine der häufigsten Vitaminmangelerkrankungen, die durch Fehlen des Vitamins in der Nahrung und / oder Proteinmangel (unzureichende Synthese von Retinol-bindendem Protein (RBP, s. Abschnitt Resorption) vor allem in unterentwickelten Ländern hervorgerufen wird. Klinische Symptome betreffen die Augen (Xerophtalmie, Bitot-Flecken, Keratomalazie, Erblindung), Haut und Schleimhäute (Degenerierung, Verhornung), Knochen und Zähne (Störung des Wachstum und der Zahnbildung) und die Keimdrüsen (Störung der Spermatogenese). Außerdem kann es beim Fötus zu Missbildungen kommen. Eine suboptimale Versorgung zeigt sich in Schleimhautveränderungen und einer Störung der Dunkeladaptation (Nachtblindheit).
Überdosierung: Für R. ist eine akute Toxizität im Zusammenhang mit dem Verzehr von Fisch-, und Seehundleber beschrieben worden. Symptome sind Kopfschmerzen, Schwindel, Benommenheit und Erbrechen, die Zufuhr liegt dann bei 2–5 Mio. IE / d (600–1.600 mg RÄ / d) bei Erwachsenen (Kinder: 75.000–300.000 IE / d bzw. 25–100 mg RÄ / d). Chronische Toxizität, die meist durch Supplementierung verursacht wird, zeigt sich v. a. bei Kindern in Appetitverlust, einem Austrocknen der Haut, Haarausfall, Mundwinkelrhagaden, Knochenschmerzen, Hirndrucksymptomatik und Wachstumsverzögerung. Diese Symptome treten bei einer Zufuhr von 100.000 IE / d (30 mg RÄ / d) bei Erwachsenen und 18.000–60.000 IE / d (6–20 mg RÄ / d) bei Kindern auf. R. hat außerdem eine teratogene Wirkung. So sind Missbildungen des Föten (Mikrotie, Mikrognathie, Gaumenspalte, Herz- und Gefäßanomalien, Thymusdefekte, Sehnerven-, ZNS-Anomalien) nach Einnahme von Isotretinoin (13-cis-Retinsäure) zur Behandlung cystischer Akneformen während der Schwangerschaft beschrieben worden. Diese Effekte waren aber nur bei synthetischen Retinoiden zu beobachten, Zufuhrempfehlungen während der Schwangerschaft stützen sich ausschließlich auf epidemiologische Daten. Leber, Schwangerschaft.
Statusbestimmung: Der Retinolstatus wird mittels HPLC oder durch photometrische Messungen bestimmt. Die Normalwerte liegen bei 50–85 mg / dl (Erwachsene). Der Plasmaretinolspiegel wird über mehrere Tage hin gemessen, ein Abfall zeigt ein Defizit an. Bei einem RDR-Test (relative dose response Test) wird der Plasmaspiegel vor und 5 h nach einer Einmaldosis (25.000 IE) ermittelt. Ein Anstieg > 15 %weist auf ein Defizit hin.
Retinol: . Strukturformeln von Retinol und Retinoiden. Retinol
Retinol: Tab. 1. Empfohlene Zufuhr an Retinol-Äquivalenten (RÄ). [Quelle: DACH, Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, Umschau-Braus Verlag, Frankfurt, 2000]
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Männer | Frauen | ||
bis 4 Monate1 | 0,5 | ||
4–12 Monate | 0,6 | ||
1–4 Jahre | 0,6 | ||
4–7 Jahre | 0,7 | ||
7–10 Jahre | 0,8 | ||
10–13 Jahre | 0,9 | ||
13–15 Jahre | 1,1 | 1,0 | |
15–19 Jahre | 1,1 | 0,9 | |
19 Jahre und älter | 1,0 | 0,8 | |
Schwangere ab 4. Monat | 1,1 | ||
Stillende2 | 1,5 |
1 = Schätzwert, 2 = ca. 70µg RÄ / 100 g sezernierte Milch
Retinol: Tab. 2. Biochemische Funktionen von R. und seinen Vitameren.
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Retinylester | Speicherformen vor allem in der Leber, vorwiegend Retinylpalmitat, aber auch Retinylstearat und -oleat | |
11-cis- und all-trans-Retinal | Wirkung im Rhodopsinzyklus des Auges: Rhodopsin (11-cis-Retinal + Opsin) → Opsin + all-trans-Retinal. Dieses setzt eine Reaktionskaskade in Gang über Aktivierung eines G-Proteins zur Aktivierung von Phosphodiesterase, zur Senkung der cGMP-Konzentration, damit zum Schließen der Na+-Kanäle und schließlich zur Hyperpolarisation. Für den Zerfall von Rhodopsin wird Energie benötigt. | |
Retinsäure | Ausgeprägte Wirkung auf Proliferation und Differenzierung verschiedener Gewebe (Respirationsepithel, Darmschleimhaut, Haut, div. Tumorzellen), die durch Interaktionen mit zwei Subfamilien nucleärer Retinsäurerezeptoren, RAR (α,β,τ) und RXR (α,β,τ) erklärt werden (Familie der Steroid-Thyroid-Rezeptoren). Nach Bindung der Retinsäure wirkt der Retinoidrezeptor als Transcriptionsfaktor durch Bindung an spezifische DNA-Sequenzen (RARE, retinoic acid responsive element, TRE, thyroid responsive element). Dies führt zur Expression vieler Faktoren die in Wachstum und Differenzierung von Zellen und Geweben eingreifen (Wachstumshormonrezeptoren, Oncogene, Interleukine, Cytokine, Zell-Zell-Interaktionsfaktoren). | |
glucuronidierte Verbindungen des Retinols | Ausscheidungsprodukte mit biologischer Wirkung auf Wachstum und Differenzierung in vitro. |
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