Lexikon der Ernährung: Schwangerschaft
Schwangerschaft, Gravidität, Graviditas, Epregnancy, Zeitraum von der Konzeption bis zur Geburt (Dauer im Durchschnitt 266 Tage), der mit deutlich erhöhtem Nährstoff- und Energiebedarf sowie Gewichtszunahme der Mutter einhergeht.
Die Gewichtszunahme in der S. liegt durchschnittlich bei 12–13 kg mit großer Streubreite (9–18 kg Gewichtszuwachs werden als physiologisch angesehen). Untergewichtigen Frauen wird eine höhere Gewichtszunahme empfohlen (bei BMI< 19,8 12,5–18 kg), übergewichtigen Frauen eine geringere (bei BMI von 26,0–29,0 7,0–11,5 kg). Bei einem Gewichtsanstieg von 12,5 kg entfallen ca. 3300 g auf den Fetus, 650 g auf die Placenta, und 800 g auf das Fruchtwasser, die Gewichtszunahme des Uterus beträgt ca. 800 g, die der Brust 405 g und die Zunahme des mütterlichen Blutvolumens (Hypervolämie ) 1200 g.
Die durchschnittliche Gewichtszunahme beträgt bis zur 25. SSW ca. 250–300 g / Woche, danach bis zur 40. Woche 400–500 g / Woche. Bei einem Gewichtsanstieg ab 3 kg pro Monat oder plötzlichen Gewichtssprüngen ist die Ursache abzuklären. Ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Geburtsgewicht des Kindes und der Gewichtszunahme der Mutter besteht nur bei sehr geringer Energieaufnahme (ca. 1500–1800 kcal). Eine engere, positive Korrelation besteht dagegen zwischen dem Ausgangsgewicht der Schwangeren und dem Geburtsgewicht des Kindes.
Die Energie- und Nährstoff-Zufuhrempfehlungen für Schwangere sind der Tabelle zum Stichwort Stillzeit zu entnehmen.
Aufgrund des deutlich höheren durchschnittlichen Mehrbedarfs an Nährstoffen im Vergleich zum zusätzlichen Energiebedarf ergibt sich die generelle Forderung nach einer Erhöhung der Nährstoffdichte während der S., wobei den Nährstoffen Folsäure, Jod und Eisen eine besondere Bedeutung zukommt. Die drastische Steigerung des Eisenbedarfs resultiert aus dem Aufbau des fetalen Organismus, der zum Zeitpunkt der Geburt ca. 300 mg Eisen enthält, sowie aus der Vergrößerung des Blutvolumens der Mutter und des Aufbaus der Placenta. Die empfohlene Zufuhr von 30 mg Eisen pro Tag kann allein mit der Nahrung nicht verwirklicht werden – eine generelle Eisensubstitution wird zur Zeit kontrovers diskutiert (Eisen). Jod stellt ebenfalls einen kritischen Nährstoff in der S. dar, da Jodmangel (Jod) eine Hypothyreose und geistige Retardierung des Kindes (Kretinismus) zur Folge haben kann. Da auch bei Verwendung von jodiertem Salz sowie einer seefischreichen Ernährung die Zufuhrempfehlungen für Schwangere nicht erfüllt werden, wird vom Arbeitskreis Jodmangel eine Jodsubstitution für schwangere Frauen (200 µg / Tag) empfohlen. Auch Folsäure besitzt eine besondere Bedeutung in der S. Die Zufuhrempfehlungen für Folsäure werden bereits für das erste Schwangerschaftstrimenon erhöht. Ein Folsäuremangel scheint das Risiko der Entwicklung von Neuralrohrdefekten und weiteren Fehlbildungen (orale Spalten, Herzfehler, Veränderungen der ableitenden Harnwege) deutlich zu erhöhen. Zur Vorbeugung von Neuralrohrdefekten wird die perikonzeptionelle Folsäuresubstitution empfohlen, die das Risiko um 70–100 % senken kann. Da der Verschluss der Neuralrinne bereits im ersten Schwangerschaftsmonat erfolgt, kann eine Folsäureprophylaxe nur dann wirksam sein, wenn sie sehr früh einsetzt – zu einem Zeitpunkt, an dem die S. oft noch nicht bekannt ist.
Weitere wichtige Ernährungsempfehlungen für Schwangere betreffen den Genussmittelkonsum. Rauchen hat v. a. aufgrund des vasokonstriktorisch wirkenden Nikotins eine Minderdurchblutung der Placenta und somit eine Unterversorgung an Nährstoffen und Sauerstoff (dieser Effekt wird durch Kohlenmonoxid verstärkt) zur Folge. Kinder rauchender Mütter haben im Durchschnitt ein um 200–300 g geringeres Geburtsgewicht als Kinder von Nichtraucherinnen, das Risiko für Fehl- und Frühgeburten liegt höher. Während der S. sollte daher auf Rauchen möglichst völlig verzichtet werden. Alkohol beeinträchtigt die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes. Alkoholmissbrauch während der S. kann zum fetalen Alkoholsyndrom (Alkoholembryopathie) führen, das durch Mikrocephalie, enge Lidspalten, Wachstumsretardierung, geistige Retardierung, und Störung der Feinmotorik gekennzeichnet ist. Da eine Schädigung auch bei gelegentlichem und mäßigem Alkoholkonsum nicht ausgeschlossen werden kann, sollte auf alkoholische Getränke in der S. ebenfalls vollständig verzichtet werden. Eine schädigende Wirkung größerer Mengen Coffein auf die fetale Entwicklung konnte dagegen bisher nur im Tierversuch beobachtet werden. Coffein führte dabei zu einer Minderdurchblutung der Placenta und damit zur Verschlechterung der Nährstoff- und Sauerstoffversorgung (intrauterine Mangelentwicklung). Obwohl bislang negative Auswirkungen beim Menschen nicht beobachtet wurden, wird eine Beschränkung der täglichen Coffeinaufnahme auf ca. 2–3 Tassen Kaffee empfohlen.
Bereits der Verzehr einer einzigen üblichen Portion Leber kann aufgrund des hohen Gehaltes an Vitamin A (bedingt durch Vitamin A-Tierfutterzusätze) zu Missbildungen beim Fetus führen. Daher rät das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) vom Verzehr von Leber, zumindest im ersten Schwangerschaftsdrittel ab.
Auch bei der Anwendung von Medikamenten ist in der S. besondere Vorsicht geboten. Abgesehen von wenigen teratogen (= Fehlbildungen verursachend) wirkenden oder verdächtig teratogenen Arzneimitteln scheinen die meisten Pharmaka keinen nachteiligen Effekt auf die Entwicklung des Embryos bzw. Feten zu haben. Da eine Schädigung jedoch nie vollständig ausgeschlossen werden kann, sollten Arzneimittel, vor allem im ersten Trimenon, nur nach strenger Indikation durch den Arzt angewendet werden. Es sollten bevorzugt gut erprobte Substanzen verwendet werden, wobei Monopräparate Kombinationspräparaten vorzuziehen sind und die Dosierung möglichst gering gehalten werden sollte. Zu den beim Menschen teratogen wirkenden Arzneimitteln gehören Androgene und Anabolika sowie Steroidhormone mit feminisierender Wirkung, Cumarine, Lithiumsalze, Thalidomid, hochdosiertes Vitamin A (Retinol) oder Vitamin-A-Analoga sowie Zytostatika. Verdacht auf teratogene Wirkung besteht außerdem bei den Antikonvulsiva Phenytoin, Trimethadion und Valproinsäure (und andere Antikonvulsiva) und bei Tetracyclinen.
Besondere Ernährungsempfehlungen in der S. betreffen die Prävention der Toxoplasmose und Listeriose und bestehen darin, bestimmte Lebensmittel und Lebensmittelgruppen, im Wesentlichen rohes bzw. ungenügend erhitztes Fleisch, Rohwurst, Rohmilchprodukte und Weichkäse zu meiden. Auch vom Verzehr von Leber wird abgeraten, da dieser zu einer überhöhten Vitamin-A-Zufuhr mit teratogener Wirkung führen kann (Vitamin A).
Zu den speziellen Problemen der S. zählen die typischen Schwangerschaftsbeschwerden, sowie Gestationsdiabetes und hypertensive Schwangerschaftserkrankungen.
Stillen: Tab. Dauer / Prozentsatz ausschließlichen Stillens in verschiedenen Ländern. Auswertung versch. Studien, daher keine vollständigen Angaben. [Quelle: A. Yngve, M. Sjöström: Breast-feeding in countries of the European Union and EFTA: current and proposed recommendations, rationale, prevalence, duration and trends. Public Health Nutrition4(2B), 631–645, 2001]
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1. | 2. | 4. | 6. | ||||
Österreich (1998) | 92 | 85 | 46 | ||||
Dänemark (1992) | 73 | 68 | 44 | ||||
Finnland (1995) | 68 | ||||||
Deutschland (1997) | 42 | 33 | 10 | ||||
Island (1998) | 75 | 49 | |||||
Italien (1996) | 26 | ||||||
Schweden (1997) | 94 | 81 | 69 | 42 | |||
Großbritannien (1995) | 28 | 21 |
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