Lexikon der Geographie: Gewitter
Gewitter, starke, vertikale Transportprozesse in der Troposphäre, welche mit elektrischen Erscheinungen, Blitz und Donner verbunden sind. Es sind in der globalen Bilanz diejenigen elektrischen Prozesse, welche das Potenzialgefälle zwischen Erdoberfläche und der unteren Ionosphäre in 70 bis 80 km Höhe aufrecht erhalten (atmosphärische Elektrizität). In Gewitterzellen erfolgen Ladungstransporte, welche den Strom J in der Atmosphäre (im globalen Mittel ca. 1500 A) ausgleichen, sodass der Grundzustand der atmosphärischen Elektrizität konstant bleibt. Im Gewitter wirken meteorologische und luftelektrische Prozesse zusammen.
Zur Entstehung einer Gewitterzelle muss die Atmosphäre feuchtlabil geschichtet sein. Mächtigkeit und Labilität bestimmen den Showalter-Index, eine Kennzahl, welche die Wahrscheinlichkeit gewittriger Entladungen quantifiziert. Die vertikale Mächtigkeit dieser Schichtung muss so hoch sein, dass innerhalb der Gewitterwolke eine Temperatur von -20°C unterschritten wird, sodass es zur Vereisung der Wolkentröpfchen kommt. Ferner muss in ausreichender Menge Wasser in der Atmosphäre vorhanden sein. Diese Voraussetzungen sind bei den typischen Gewitterwolken, den Cumulonimben (Wolken) erfüllt. Beim Luftmassengewitter oder Wärmegewitter entsteht die hoch reichende Labilität durch eine starke Aufheizung der Erdoberfläche. Dies bedingt über Land im Tagesgang ein Häufigkeitsmaximum in den Nachmittags- und Abendstunden sowie jahreszeitlich im Hochsommer. Über den Meeren sind analog dazu Gewitter nachts und im Winter relativ häufiger (Wintergewitter). Günstige Voraussetzungen sind ferner feuchtwarme Luft und geringe großräumige Druckgegensätze sowie Isobaren mit zyklonaler Krümmung. Bei erzwungener Hebung feuchtlabiler Luftmassen am Gebirge, welche zur Bildung von Cumulonimben führt, entstehen orographische Gewitter. Ist die erzwungene Hebung der feuchtlabilen Luftmasse durch Aufgleiten an einer Front bedingt, bilden sich Frontgewitter. Sie sind an keine Jahres- und Tageszeit gebunden und haben größere räumliche Dimensionen als Luftmassengewitter. Kaltfrontgewitter findet man im Bereich größter Baroklinität der Front. Ihre Cumulonimben sind mächtiger als an der Warmfront, die Gewitter meist schwerer, da es zu häufigeren Entladungen zwischen Wolke und Erdoberfläche kommt als beim Warmfrontgewitter.
Da Fronten i.A. linienhafte Strukturen aufweisen, können sich zahlreiche Gewitterzellen aneinanderreihen, sodass unter bestimmten Voraussetzungen ein Liniengewitter entsteht.
Im globalen Maßstab ist die innertropische Konvergenzzone (ITCZ) diejenige Zone, in welcher hochreichende Feuchtlabilität und bodennahe Konvergenz am regelmäßigsten auftreten. Daher liegen die größten Gewitterhäufigkeiten über den Landflächen der inneren Tropen. Eine Sonderform von Gewittern ist an Sandstürme gebunden, bei denen es nicht zur Kondensation und zur Ladungstrennung durch Wasser und Eis kommt, sondern durch unterschiedlich geladene Sandkörner. Ebenso kommen Gewitter in den Rauch- und Aschewolken bei Vulkanausbrüchen vor. Dabei laden sich die Ascheteilchen durch Reibung auf.
Das Initialstadium einer Gewitterzelle ist ein Cumulus (Wolken), in welchem die aufsteigende Luft das Kondensationsniveau erreicht, wodurch Kondensationswärme frei wird, was zur weiteren Vertikalbeschleunigung führt. Dadurch strömt Warmluft von der Wolkenbasis und den Seiten in den Cumulus ein. Im Inneren weist die Wolke eine Aufwölbung der Isothermen auf ( Abb. 1). Wird von den Seiten relativ trockene Luft angesaugt, wird relativ weniger Energie zugeführt, weshalb sich der vertikale Wachstumsprozess verlangsamt. Wird jedoch, etwa aus einer benachbarten älteren Zelle, feuchtigkeitsgesättigte Luft angesogen, führt dies Energie zu und das vertikale Wachstum wird verstärkt. Daher ist regelmäßig bei gewittrigen Lagen im Hochsommer zu beobachten, dass die Zellen im Laufe des Tages mit zunehmender Dichte auch vertikal höher wachsen. Erst wenn die obere Troposphäre erreicht ist, werden die Temperaturen so niedrig, dass die Wolke nur noch aus Eis besteht. In der Höhe wird nun auch trockene Luft von der Seite in die Wolke hineingesogen, wodurch es zur Verdunstung und Sublimation des Wolkenwassers und damit zur partiellen relativen Abkühlung kommt. Damit entstehen innerhalb der Wolke starke Fallwinde. Während die fallenden Tropfen bislang durch den Aufwind in der Schwebe gehalten oder noch vertikal transportiert worden sind, werden sie nun mit den Fallwinden nach unten beschleunigt. Die Luftkörper in diesen Abwindzonen (downdrafts) bleiben wassergesättigt und erwärmen sich dadurch nur feuchtadiabatisch, sodass sie weiterhin eine negative thermische Anomalie zu ihrer Umgebung aufweisen. Für das Reifestadium typisch ist ein Nebeneinander von Auf- und Abwindsektoren innerhalb der Wolke. Bei nur zwei Hauptsektoren wird der Aufwindsektor als Vorderseite, der Abwindsektor als Rückseite bezeichnet, orientiert an der Zugrichtung der Wolke. Der Aufwind, der in der mittleren Troposphäre sein Maximum erreicht, kann bis zu 40 m/s betragen. Dadurch ist er in der Lage, auch größere Hagelkörner in der Schwebe zu halten oder empor zu reißen, wodurch deren Verweildauer in der Wolke und damit Größe erheblich zunehmen. Der Hagelfall tritt daher meist im Abwindsektor auf. Der kalte Fallwind erzeugt am Boden ein divergentes Feld, das eine Kaltfront im Mikromaßstab bildet. Ihr Durchgang ist durch eine starke Windböe mit Temperaturabfall gekennzeichnet, der mehr als 10 K betragen kann. Die Änderung der Richtung der Fallwinde an der Wolkenunterseite bewirkt eine Windscherung, durch welche sich an der Wolkenunterseite eine Böenwalze oder ein Böenkragen bildet, welcher der Gewitterwolke vorauseilt. Die Differenzierung von Auf- und Abwindsektoren bedingt in der Wolke starke unregelmäßige Wirbel, welche, da sie zugleich die Vereisungs- und Hagelzone und der Bereich stärkster Abwinde darstellen, der für die Luftfahrt gefährlichste Bereich sind.
Das Ausbreiten der Kaltfront am Boden führt dazu, dass die feuchtwarme Luft am Boden nach außen abgedrängt wird, wodurch sie nicht mehr in die Abwärtsbewegungen der Wolke gelangt. Daher zeigt die Wolke nun nach unten gewölbte Isothermenflächen. Von unten her beginnt jetzt der Auflösungsprozess der Gewitterwolke. Die nachlassenden Aus- und Abwinde vermindern die Hagelgröße und -häufigkeit, der Niederschlag geht vom Starkniederschlag in einen leichten Niederschlag über.
Für den Aufbau der Gewitterwolke ist die Ladungstrennung und die Neutralisierung durch Blitzentladung charakteristisch. Ladungstrennungen können durch sehr unterschiedliche Prozesse im Cumulonimbus erfolgen. Sie setzen die Parallelität von Auf- und Abwinden, von unterkühlten Wolkentröpfchen und Eiskristallen, Kollisionen, Gefrier- und Auftauvorgänge sowie Massetransporte voraus und begründen unterschiedliche Theorien der Gewitterentstehung. Gesichert ist, dass es unterschiedliche Prozesse der Ladungstrennung gibt, welche teilweise gegenläufige Ladungstransporte zur Folge haben. Die wichtigsten ladungstrennenden Effekte sind folgende:
a) Die Tropfen erreichen durch die lange Verweildauer in der Wolke den Platzpunkt, wodurch eine Ladungstrennung zwischen den kleinen negativ geladenen Tropfen und einem positiv geladenen größeren Resttropfen entsteht (Lenard-Effekt).
b) Wesentlich stärker wirkt der Vergraupelungseffekt. Beim Gefrieren eines stark unterkühlten Tropfens lädt sich dieser negativ, ein schwach unterkühlter Tropfen positiv auf.
c) Eiskristalle der Wolke laden sich bei Anströmung mit feuchter Luft bei der Anlagerung von Reif positiv auf.
d) Im Bereich der Mischwolke, in welcher Eis und Wasser parallel vorkommen, nimmt die Kollisionshäufigkeit zwischen Graupelkörnern und Wassertropfen zu. Die bei Kollisionen abspritzenden kleinen Wassertropfen sind negativ geladen, während sich der Graupel immer stärker positiv auflädt (Faraday-Sohnke-Effekt).
e) Beim Prozess des Gefrierens im starken Aufwind zerspringt die dünne Eiskruste kleiner Tröpfchen, wobei die positiv geladenen Eissplitter mit dem Aufwind stärker nach oben transportiert werden als die negativ geladenen Wassertropfen. Durch die Reibung von Eiskristallen aneinander entsteht Reibungselektrizität, wodurch es zu einer Ladungstrennung zwischen Eis und umgebender Luft kommen kann. Das Eis lädt sich negativ auf und transportiert negative Ladung.
f) Steigende und fallende Tropfen nehmen in der Atmosphäre in unterschiedlichem Maße Ionen aus der Atmosphäre auf und führen dabei zu einer Ladungsdifferenzierung, indem der fallende Tropfen mehr negative Ladung aufnimmt und gegen das Erdfeld transportiert (Wilson-Effekt). Dadurch entstehen an der Wolkenunterseite und am Boden horizontale Ladungsunterschiede.
Die genannten Prozesse haben unterschiedliche ladungstrennende Wirkungen. Welcher Prozess bei welcher Gewitterform dominiert, ist nicht geklärt. Auch kommt es nicht nur in vertikaler, sondern auch in horizontaler Richtung zur Ladungsdifferenzierung. Im Ergebnis ergibt sich jedoch regelmäßig ein überwiegend positiv geladener Wolkenteil im Vereisungsniveau (ab ca. -20°C) und ein überwiegend negativ geladener unterer Wolkenteil mit einem Überwiegen von Wassertröpfchen ( Abb. 2).
In der Summe führt daher die Ladungstrennung in der Gewitterwolke dazu, dass Ladungen entgegen den Prozessen der ungestörten atmosphärischen Elektrizität transportiert werden, welche den stabilen Grundzustand des gesamten Systems Erde-Atmosphäre aufrecht erhalten. Ein Gewitter entspricht einem mittleren Dauerstrom von 0,8 bis 1 A. 1500 gleichzeitig auf der Erde stattfindende Gewitter würden daher ausreichen, das elektrische Feld in der Atmosphäre dauerhaft zu erhalten. Diese Zahl entspricht den durch Beobachtung gestützten Schätzungen, wobei es erhebliche globale Unterschiede gibt. Blitze sind die kurzzeitigen Entladungen, wenn die Ladungsunterschiede kritische Grenzen übersteigen. Dies kann zwischen unterschiedlich geladenen Teilen der Wolke geschehen (Wolkenblitze), zwischen Wolkenteilen und der Erdoberfläche (Erdblitze) oder auch zwischen der Wolke und Luftkörpern außerhalb der Wolke.
JVo
Lit: [1] DEUTSCHER WETTERDIENST (Hrsg.) (1987): Allgemeine Meteorologie. – Offenbach. [2] LEIDEL, J.(1977): Blitz und Donner. In: Promet 3. S. 9-12. [3] MÜHLEISEN, R.(1977): Entstehung der Gewitterelektrizität. In: Promet 3. S. 7-9.
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