Lexikon der Geographie: Raumordnung
Raumordnung
Klaus Wolf, Frankfurt am Main
Der Begriff Raumordnung ist von der Wortbedeutung her nicht eindeutig definiert und wird in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Zunächst wird darunter die tatsächlich vorhandene Struktur eines Gebietes verstanden. Dazu gehören die natürlichen Ressourcen, die Infrastruktur, die Siedlungsstruktur, ja alle Artefakte menschlichen Handelns im Raum, von der wirtschaftlichen Tätigkeit bis zu den kulturellen und sozialen Einrichtungen, dem Wohnen und der Freizeitgestaltung in Verbindung mit der Raumüberwindung.
Häufiger wird der Begriff der Raumordnung jedoch mit dem Inhalt einer leitbildorientierten zukünftigen Ordnung des Raumes verbunden, z.B. dem Abbau von regionalen Disparitäten, der Verwirklichung gleichwertiger Lebensbedingungen oder einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Raumentwicklung. Der Begriff Raumordnung kann aber auch für die Bedingungen und Handlungen stehen, die zur Verwirklichung einer angestrebten räumlichen Ordnung durchgeführt werden. Dabei ist Raumordnung immer auf größere, überörtliche Gebietseinheiten bezogen und arbeitet mit übergreifenden Konzepten, die Einzelmaßnahmen und fachliche Partialinteressen zu bündeln und auf ein räumliches Gesamtziel hin zu integrieren suchen. Raumordnung kann somit als klassische Querschnittaufgabe bezeichnet werden.
Raumordnung im Sinne der Festlegung von Grundsätzen und Leitlinien für die zukünftige Gestaltung des Raumes und ihre Verwirklichung ist im Grunde so alt wie die Geschichte der Menschheit, wenn auch der Begriff der Raumordnung erst wenige Jahrzehnte alt ist. Zur Sicherung eines Territoriums und der Aufrechterhaltung hoheitlicher Macht wurden z.B. Straßen angelegt, Gelände urbar gemacht, die Wasserversorgung sichergestellt und Verwaltungsstrukturen sowohl immateriell als auch materiell verwirklicht. Besonders in absolutistischen Herrschaftssystemen wurden raumwirtschaftliche Systeme entworfen (absolutistische Stadt), die man auch als staatswirtschaftliche Raumordnung bezeichnen kann.
Seit Beginn der Industrialisierung und dem damit verbundenen Wachstum der Städte und der Industrieregionen seit der Mitte des 19. Jh. klaffte eine Lücke zwischen der Gestaltung der Infrastruktur und der Entwicklung genereller Vorstellungen über die anzustrebende räumliche Ordnung.
Mit der zunehmenden Verstädterung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden, zunächst in Großberlin, dann im Ruhrgebiet und im mitteldeutschen Industrierevier Planungsverbände, die erstmals Gesamtkonzepte für die räumliche Planung größerer zusammenhängender Gebiete entwickelten. Diese Planungen blieben aber zunächst Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung. Dabei wurde aber auch schon erkannt, dass Planung für größere Gebietskategorien nicht nur notwendig ist, sondern dass sie sich nicht nur auf die Planung der Flächennutzung beschränken dürfe, sondern auch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Komponente in die Planung miteinbeziehen müsse.
Während der Nazi-Herrschaft des Dritten Reiches wurde die Raumordnung dem machtpolitischen Streben des totalitären Systems untergeordnet und entwickelte etwa im "Generalplan Ost" schlimmste Auswüchse einer totalitären raumbeanspruchenden Planung. Mit dem Entstehen der Bundesrepublik Deutschland nach dem 2. Weltkrieg entwickelte sich mit dem fortschreitenden Wiederaufbau und einer sich deutlicher artikulierenden Flächeninanspruchnahme aufgrund intensiver Neubautätigkeit im industriell-gewerblichen und privaten Bausektor sowie einer rasch wachsenden privaten Motorisierung mit der daraus folgenden Nachfrage nach weiteren Verkehrsflächen besonders für den straßengebundenen Individualverkehr ein deutlicher werdendes Bewusstsein für eine für das Gebiet der Bundesrepublik insgesamt verbindliche Raumordnung. Aufgrund der föderativen Struktur der Bundesrepublik mit einer starken Stellung der Länder und der Freiheit der kommunalen Selbstverwaltung verzichtete die Bundesregierung zunächst auf das ihr nach dem Grundgesetz zustehende Recht der Rahmengesetzgebung, sie begnügte sich vielmehr zunächst mit dem Abschluss eines am 16. 12. 1957 in Kraft getretenen Verwaltungsabkommens, das sich allerdings als wenig hilfreich erwies, da es keine sachlichen Grundsätze und Ziele für die Raumordnung des Bundes festlegte und sich daher die Gemeinden, die öffentlichen Planungsträger und Landesparlamente nicht an diese Vereinbarung gebunden fühlten.
Trotz erheblicher Bedenken und Widerstände der Länder und marktwirtschaftlich denkender Gruppen in den Regierungsparteien, die durch die Verabschiedung eines Raumordnungsgesetzes eine erneute Einführung staatlicher Planwirtschaft befürchteten, konnte am 8. 4. 1965 das erste Raumordnungsgesetz (ROG) der Bundesrepublik Deutschland von der Bundesregierung verabschiedet werden.
Die Raumordnung der Bundesrepublik Deutschland als eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats hat wesentliche Grundrechte und Rahmenbedingungen dieser rechtsstaatlichen Verfassung und der daraus entwickelten gesellschaftlichen Strukturen zu berücksichtigen. Dazu gehören vor allem die im Grundgesetz (GG) Artikel (Art.) 1- 19 niedergelegten Grundrechte der Bürger gegenüber dem Staat, die auch für jede Planung und Raumordnung verbindliche Rahmenbedingung sind. Besonders ist hier neben der Unantastbarkeit der Würde des Menschen (Art. 1 GG) auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 und 5 GG), auf die Gewährung von Freizügigkeit (Art. 11 GG) oder auf die Rechtsstellung des Eigentums, auch in seiner dem Gemeinwohl dienenden Verpflichtung (Art. 14 GG), zu achten. Schon daraus leiten sich wesentliche Leitvorstellungen für die Raumordnung ab, die sich etwa in dem Ziel der Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Teilräumen Deutschlands im ROG niederschlagen.
Ebenso ist der föderative Staatsaufbau (Art. 28 GG) Grundlage der Raumordnung in Deutschland oder der in das Grundgesetz eingefügte Art. 20a, der den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen im Grundgesetz verankert hat.
Gleichermaßen ist die Raumordnung durch die grundgesetzlichen Festlegungen zum Finanzwesen, besonders im Rahmen des Finanzausgleichs zwischen den Ländern (Art. 107 GG), geprägt.
In ökonomischer Hinsicht gilt in Deutschland das Prinzip der "sozialen Marktwirtschaft", das vom Grundsatz her den Markt nach den Regeln des Wettbewerbs entscheiden lässt, gleichzeitig aber soziale Benachteiligungen minimieren soll. Da sich besonders die wirtschaftliche Entwicklung heute über nationalstaatliche Grenzen hinweg setzt, Informations-, Fertigungs- und Verteilungsentscheidungen hinsichtlich ihrer Standortwahl von Unternehmensseite weltweit getroffen werden, sind hier für Ziele und Durchsetzung der Raumordnung auf nationaler Ebene trotz Regulierungsbehörden und kartellrechtlicher Kontrollfunktionen Rahmenbedingungen erwachsen, die die Konzeptionen und Vorgaben für die Raumordnung und -planung auf den nachgeordneten räumlichen Ebenen zusehends erschweren. Ob das 1999 verabschiedete Europäische Raumentwicklungskonzept (EUREK), das die Länder der Europäischen Gemeinschaft lediglich auf die Selbstverpflichtung der Beachtung in ihren jeweiligen Territorien festlegen konnte, ein taugliches Instrument ist, dieser "Global-Player"-Entwicklung raumordnerische Akzente entgegenzusetzen, bleibt abzuwarten.
Die seit 1965 gesetzlich verankerte Raumordnung der Bundesrepublik Deutschland hat die Aufgabe, die für die räumliche Entwicklung maßgeblichen Aktivitäten der Gebietskörperschaften, also von Bund, Ländern und Kommunen, im Rahmen übergreifender Konzepte aufeinander abzustimmen. Der Bundesraumordnung obliegen dabei Aufgaben sowohl auf horizontaler Ebene – also innerhalb der Aufgaben des Bundes, soweit sie räumliche Relevanz haben – als auch in vertikaler Richtung, also gegenüber der Europäischen Union (EU) einerseits und den Ländern und Gemeinden andererseits. Der Bund nimmt über eine Vielzahl von unmittelbar oder mittelbar wirkenden Maßnahmen auf die räumliche Entwicklung Einfluss – sei es durch Gesetzgebung, durch Förderungsprogramme, durch steuerliche Rahmenbedingungen oder auch durch Bundesfachplanungen und durch raumrelevante Entscheidungen von bundeseigenen Verwaltungen (Behördenstandorte, Bundesliegenschaften). Die Zuständigkeit des Bundes für die Raumordnung ist damit folgendermaßen gekennzeichnet: "Der Bund hat eine Rahmenkompetenz für die Gesetzgebung der Länder sowie eine Vollkompetenz für eine Raumplanung für den Gesamtstaat.
Die Bundesraumordnung hat ihre Aufgaben im ROG vor allem mit der Formulierung von generellen Grundsätzen definiert. Sie hat mit dem ROG ein System der Verwirklichung der raumordnerischen Grundsätze für die Ebenen des Bundes und der Länder entwickelt und darüber hinaus ein Koordinatensystem für die verschiedenen Verantwortungsebenen von Raumordnung und Landesplanung geschaffen".
Die allgemeinen Vorschriften der Bundesraumordnung sind im Raumordnungsgesetz in seiner Fassung vom 18.8.1997 in den §1 (Aufgabe und Leitvorstellungen der Raumordnung) und 2 (Grundsätze der Raumordnung) niedergelegt. Dabei tritt neben die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilräumen als wesentliche neue Aufgabe und Leitvorstellung der Raumordnung die nachhaltige Raumentwicklung (Nachhaltigkeit), die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung führt (§ 1). Neu sind in der Fassung vom 18.8.1997 die in § 2 formulierten 15 Grundsätze der Raumordnung, die im Sinne der Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung nach § 1, Absatz 2 anzuwenden sind. Zu diesen Grundsätzen gehört u.a. die Entwicklung einer ausgewogenen Siedlungs- und Freiraumstruktur im Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland, die Erhaltung einer leistungsfähigen dezentralen Siedlungsstruktur, eine Infrastruktur, die mit der Siedlungs- und Freiraumstruktur in Übereinstimmung steht, die Sicherung verdichteter Räume als Wohn-, Produktions- und Dienstleistungsschwerpunkte, eine räumlich ausgewogene, langfristig wettbewerbsfähige Wirtschaftsstruktur, die Gewährleistung der Wohnraumversorgung der Bevölkerung, die Erhaltung einer leistungsfähigen Land- und Forstwirtschaft, nicht zuletzt zur Pflege und Gestaltung von Natur und Landschaft, der Schutz von Natur und Landschaft einschließlich Gewässer und Wald (Naturschutz) oder die gute Erreichbarkeit aller Teilräume untereinander durch Personen- und Güterverkehr (Verkehrsplanung).
Die verfasste Raumplanung in der Bundesrepublik Deutschland ist in vier Stufen gegliedert, in die Bundesraumordnung, die Landesplanung, die Regionalplanung und die Bauleitplanung der Gemeinden. Die Raumplanung selbst obliegt den Ländern, die an die Rahmengesetzgebung des Bundes (Art. 75,4 GG) gebunden sind, während Regional- und Bauleitplanung jeweils die Vorgaben von Bundesraumordnung, Landesplanung und Regionalplanung zu beachten haben. Die Abschnitte 2 und 3 des ROGes enthalten die entsprechenden Rechtsgrundlagen für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet der Raumordnung.
Zur Wahrnehmung der raumordnerischen Aufgaben auf Bundesebene wurde 1972 das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau geschaffen; seit 1998 ist es mit dem Bundesministerium für Verkehr zusammengelegt zum Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, sodass die Raumordnung auf ministerieller Ebene geschwächt wurde. Für die Raumordnung, besonders in dem erweiterten derzeitigen Ministerium, ist es schwierig, der Querschnittsaufgabe der Raumordnung, die in viele Ressorts, vom Verkehr über Wirtschaft, Umwelt, Finanzen, Landwirtschaft, Forschung u. a. hineinreicht, gerecht zu werden, zumal jeder Minister gemäß Grundgesetz (Art. 65 GG) seinen Verantwortungsbereich innerhalb der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers selbstständig leitet. So entstehen immer wieder Interessensgegensätze zwischen dem für die Raumordnung zuständigen, auf die Lösung von Querschnittsaufgaben ausgerichteten Ministerium und den einzelnen Fachressorts.
Zur Wahrnehmung und Verwirklichung der allgemeinen Grundsätze des Raumordnungsgesetzes hat das für Raumordnung zuständige Ministerium im Jahre 1992 einen Raumordnungspolitischen Orientierungsrahmen vorgelegt, der nicht zuletzt aufgrund der Wiedervereinigung Deutschlands Perspektiven, Leitbilder und Strategien für die räumliche Entwicklung des Bundesgebiets aus der Sicht der Bundesraumordnung enthält. Er kennzeichnet die künftige Raumstruktur anhand von fünf Leitbildern: Siedlungsstruktur, Umwelt und Raumnutzung, Verkehr, Europa sowie Ordnung und Entwicklung. Durch die Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) wurde am 8.3.1995 in Folge dieses Orientierungsrahmens der Raumordnungspolitische Handlungsrahmen zur Koordination und Moderation komplexer räumlicher Entwicklungen durch Projekte und Aktionen beschlossen, um positive Anstöße zur Weiterentwicklung der Raum- und Siedlungsstruktur zu geben. Er umfasst vier Themenbereiche, die in einzelne Schwerpunkte untergliedert sind: die Region als Umsetzungsebene raumordnerischer Aktivitäten, die europäische Dimension von raumordnerischem Handeln, Fachplanungen von raumwirksamer Bedeutung sowie die Erfordernis eines modernen Planungsrechts. Wesentliche, diesen Themenbereichen zugeordnete Schwerpunkte sind z.B. die sog. regionalen Entwicklungskonzepte, Städtenetze, Ressourcenschutz in den großen Verdichtungsräumen und ihrem Umland oder die Bedeutung europäischer Metropolregionen für die Raumentwicklung in Deutschland und Europa.
Zur Klärung grundsätzlicher Fragen der Raumordnung und Landesplanung und zur gegenseitigen Unterrichtung zwischen Bund und Ländern ist die Ministerkonferenz für Raumordnung zuständig, deren wesentliche Sacharbeit im Hauptausschuss geleistet wird. Auch wenn die MKRO keine für Bund und Länder verbindlichen Festlegungen treffen kann, spiegeln die Entschließungen der MKRO übereinstimmende Positionsbestimmungen der für die Raumordnung zuständigen Ministerien aus Bund und Ländern.
Die Arbeit des für die Raumordnung zuständigen Ministeriums wird durch den Beirat für Raumordnung unterstützt, der den Bundesminister in Grundsatzfragen berät.
Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung erstattet in regelmäßigen Abständen gegenüber dem für Raumordnung zuständigen Bundesministerium zur Vorlage an den Deutschen Bundestag Raumordnungsberichte über die räumliche Entwicklung des Bundesgebiets.
Die Raumordnung und die ihr nachgeordnete Landes-, Regional- und Bauleitplanung, für die in planungsrechtlicher Hinsicht als Oberbegriff oder als synonyme Bezeichnung der Begriff Raumplanung Verwendung findet, ist ein integrativer Bestandteil staatlichen Handelns in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung, deren Leitbilder und ihre Verwirklichung zur Erhaltung und Bewahrung einer menschengerechten räumlichen Ordnung unabdingbar notwendig sind, auch wenn aufgrund der mittel- und langfristigen Handlungskonzepte der Raumordnung und des hohen Abstraktionsgrades ihrer Leitvorstellungen und Instrumente zur Durchsetzung, manchmal auch aufgrund höher bewerteter fachlicher Partikularinteressen der Raumordnung zurzeit nicht immer die Aufmerksamkeit beschieden ist, die notwendig wäre, um eine Raumentwicklung zu erhalten, die im wirklichen Sinne als nachhaltig zu bezeichnen ist.
Literatur:
[1] ERNST, W. (1995): Raumordnung. In: Handwörterbuch der Raumordnung. [2] AKADEMIE FÜR RAUMFORSCHUNG UND LANDESPLANUNG (Hrsg.)(1999): Grundriss der Landes- und Regionalplanung. [3] KRAUTZBERGER, M. (1995): Bundesraumordnung. In: Handwörterbuch der Raumordnung.
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