Lexikon der Geographie: Waibel, Leo Heinrich
Waibel, Leo Heinrich, , deutscher Geograph, geb. 22.2.1888 Kützbrunn/Baden, gest. 4.9. 1951 Heidelberg. Waibel studierte 1907-1911 zuerst in Halle Biologie, dann bei Penck in Berlin und bei Hettner in Heidelberg Geographie. Er wurde 1911 in Heidelberg mit einer Dissertation über "Lebensformen und Lebensweisen der Waldtiere im tropischen Afrika" promoviert und war einer der bekanntesten Schüler von Hettner. 1911 begleitete er Thorbecke auf eine Kamerun-Expedition, 1913 unternahm er eine Reise nach Südwestafrika, wo er vom Ausbruch des 1. Weltkrieges überrascht und bis 1919 festgehalten wurde. 1920 habilitierte er sich in Köln mit der Arbeit "Winterregen in Südwestafrika". Nach kurzer Tätigkeit als Assistent von Penck in Berlin erhielt er 1922 einen Ruf an die Universität Kiel. 1925/26 bereiste er Mexiko, die Südweststaaten der USA und die Azoren. Die Auswertungen dieser Forschungsreisen wurden wegen ihrer neuartigen Methodik und der Einführung des Begriffes der Wirtschaftsformation wegweisend für die Wirtschaftsgeographie.
Grundlage zur Erfassung der Pflanzenwelt als bestimmende Erscheinung des Landschaftsbildes war für ihn die Erarbeitung von Vegetationsformen und -formationen, d.h. eine Systematisierung der Vegetation nach Dichte, Höhe und Habitus.
Den Begriff der Wirtschaftsformation stellte Waibel erstmals in Analogie zu dem von ihm bereits früher verwendeten Begriff der Vegetationsformation in seinen Arbeiten über die Sierra Madre Südmexikos auf. Neben die ökologisch-physiologischen Prinzipien zur Interpretation von Lebensformen und Lebensweisen treten bei Waibel die großen raumordnenden wirtschaftlichen Prinzipien wie Marktlage, Marktorientierung, Betriebsformen und Produktionsziele. Fortan wird für ihn das Einwirken des Menschen auf die Natur zu einer zentralen Fragestellung. 1929 übernahm er den Lehrstuhl für Geographie an der Universität Bonn. In seiner Bonner Zeit schrieb er sein bedeutendstes Werk "Probleme der Landwirtschaftsgeographie" und entwickelte zusammen mit seinen Schülern neue Methoden der landwirtschaftsgeographischen Kartierung, die später von Credner und Troll weitergeführt werden sollten. Damit setzte Waibel Akzente für die systematische Entwicklung der modernen Agrargeographie. Da er sich nicht von seiner jüdischen Frau trennen wollte, wurde er 1937 zwangspensioniert und emigrierte 1939 in die USA. Dort war er bis 1945 sowie 1950/51 in Forschung und Lehre tätig (Johns Hopkins University; University of Wisconsin, Madison; University of Minnesota, Minneapolis). 1946 beauftragte ihn der Conselho Nacional de Geografia für fünf Jahre mit Forschungsaufgaben über die Agrarkolonisation und Entwicklungsmöglichkeiten in Brasilien. Einen Ruf nach Heidelberg lehnte er aus gesundheitlichen Gründen ab. 1951 kehrte er nach Deutschland zurück, starb allerdings wenige Wochen nach seiner Ankunft. Neben wirtschaftsgeographischen Arbeiten über Tropen und Subtropen sind seine Beiträge zur Agrargeographie von zentraler Bedeutung. Er behandelte auch interessante sozialgeographische Fragestellungen. Im Buch "Probleme der Landwirtschaftsgeographie" ist ein Kapitel "Treckburen als Lebensform" enthalten, das in anschaulicher Weise schildert, wie die Buren, die Nachfahren holländischer, deutscher und französischer Einwanderer in Südafrika, nach ihrem Treck in die Steppengebiete des südafrikanischen Hochlandes unter dem Druck der Lebensbedingungen und wegen der langen Isolation ihre Lebensform (Wirtschaftsweise, Wohnplätze, Hausrat, Kleidung, Nahrung) jener der Hottentotten anpassten. Er beschreibt (allerdings nicht ohne Vorurteile), wie im Laufe der Zeit ihre Sprache verarmte, ihre Bildung verkümmerte und sich ihre Moral- und Wertvorstellungen veränderten. Aus tüchtigen Ackerbauern wurden einfache, nomadisierende Hirten, aus einem beruflich stark differenzierten Händlervolk wurde ein armes, sozial wenig differenziertes Volk von nomadisierenden Viehzüchtern, die wenig Wert auf Schulbildung legten und in 250 Jahren keine Zeitung, kein literarisches Werk und keinen einzigen Künstler hervorgebracht hatten.
AMe, HB
Waibel Waibel, Leo Heinrich
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