Lexikon der Kartographie und Geomatik: Aufmerksamkeit
Aufmerksamkeit, E attention, Selektionsmechanismus, der sich auf Regionen im visuellen Raum richtet und eine gezielte, kontinuierliche Wahrnehmung der jeweils relevanten Umweltausschnitte gestattet. Die Funktion von Aufmerksamkeit ist es, eine adäquate wahrnehmungsmäßige Verarbeitung der im Augenblick wichtigen sensorischen Signale sicherzustellen. Dabei tritt auf der Objektseite ein Herausheben bestimmter Teilinhalte, auf der Subjektseite ein erhöhter, konzentrierter Einsatz des Wahrnehmungsapparates ein. Unterschieden wird zwischen der unwillkürlichen und der willkürlichen Aufmerksamkeit. Die unwillkürliche Aufmerksamkeit wird z. B. durch neuartige, auffällige Umgebungsreize geweckt. Die willkürliche Aufmerksamkeit wird von Interessen, Bedürfnissen, Gedanken usw. gelenkt. Die Grenzen zwischen der unwillkürlichen und willkürlichen Aufmerksamkeit sind fließend. Erstere kann in letztere übergehen und umgekehrt.
Im Zusammenhang mit der Wahrnehmungkartographischer Informationen ermöglicht Aufmerksamkeit vor allem eine gezielte Selektion der visuellen Informationen, die zu Inhalten der bewussten Wahrnehmung werden sollen. Um die Bedeutung dieser Selektion zu verstehen ist es notwendig, sich zu vergegenwärtigen, dass auf der Ebene der Sinnesorgane ein ständiges Überangebot an sensorischer Information besteht. Diese Reizflut übersteigt die Verarbeitungskapazität. Der Umfang der Aufmerksamkeit wird durch die Anzahl gleichartiger Gegenstände (z. B. Kartenzeichen) bestimmt, die mit einem Blick, d. h. in etwa 0,2 Sekunden, wahrgenommen werden können. Bei Erwachsenen sind das 6 bis 12, im Mittel etwa 8 Objekte, bei Kindern weniger. Der Umfang der Aufmerksamkeit hängt zudem ab von der Art der wahrzunehmenden Gegenstände (auch der Kartenzeichen), von ihrer Bekanntheit, von der Beleuchtungsintensität und von der Motivationslage sowie der Verfügbarkeit erlernter Verhaltensweisen und Fertigkeiten des Kartennutzers.
Aufmerksamkeit als systematischer Such- und Steuerungsprozess sorgt dafür, dass die erforderliche Reduktion und Auswahl der Informationen nicht zufällig erfolgt, sondern sich an den in der jeweiligen Situation bestehenden Erfordernissen oder Interessen orientiert. Das heißt, bestimmte Reize werden im Dienste der Handlungssteuerung bevorzugt berücksichtigt und in den Handlungsablauf integriert, während andere irrelevante Reize nahezu vollständig ignoriert werden.
Für die Modellierung aufgaben- und benutzerorientierter kartographischer Medien sind Erkenntnisse über Aufmerksamkeitsprozesse von weitreichender Bedeutung. Sie bilden die Grundlage für eine ergonomisch effektive Kartengestaltung und erlauben den gezielten Einsatz von Kartengraphik zur Aufmerksamkeitsfokussierung. Durch die Veränderung von Zeichen oder Zeichenelementen in der Karte sowie die Überlagerung der Kartengraphik mit zusätzlichen, spezifisch wirkenden Zeichen ist es möglich, die Aufmerksamkeit des Kartennutzers auf bestimmte, für die aktuelle Phase des Nutzungsprozesses benötigte Zeichen oder Zeichenmuster in der Karte zu lenken bzw. für die jeweilige Nutzungsphase unwesentliche Informationen in den Hintergrund zu stellen. So ist es beispielsweise möglich, Zeichen in der Karte mit Hilfe graphischer Mittel wie der Veränderung der Linienbreite oder durch die Vergrößerung des Zeichens optisch hervorzuheben. Größere Objekte wirken wichtiger und werden schneller wahrgenommen. Ebenso kann die Verstärkung des Kontrasts dazu beitragen, ein spezifisches Zeichen in den Vordergrund zu heben. Auch der Einsatz von hinweisenden Pfeilen verfolgt das Ziel, den Blick des Kartennutzers auf ein bestimmtes Objekt in der Karte zu lenken. Pfeile können zum Beispiel auf Minimum- oder Maximum-Werte, Regelmäßigkeiten/Unregelmäßigkeiten, Häufigkeiten oder die Abweichung von Grenzwerten hinweisen (vgl. Arbeitsgraphik).
In Bildschirmkarten kommen im Rahmen der Aufmerksamkeitsfokussierung dynamische Konzepte wie die Veränderung oder Bewegung von Objekten in der Karte zunehmend zur Anwendung. Blinkende Zeichen erlauben insbesondere, den Blick des Kartennutzers auf ein bestimmtes Zeichen zu lenken, auch wenn es in der Peripherie des Blickfeldes liegt. Außerdem können Zeichen in der Karte animiert werden und sich in Größe, Form oder Farbe verändern. Insgesamt lassen sich mit dynamischen Zeichen, die in Abhängigkeit von einem Zustand oder Prozess, Umriss, Farbe, Lage oder Form verändern, Aufmerksamkeitsprozesse steuern. Derartige Veränderungen unterstützen visuell-kognitive Prozesse, wie das Identifizieren und Verorten von Zeichen oder Zeichenmustern in der Karte.
FHN
Literatur: NEUMANN, O. & SANDERS, A.F. (Ed.) (1996): Aufmerksamkeit. (= Enzyklopädie der Psychologie, C, II, Bd. 2), Göttingen et al.
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