Lexikon der Mathematik: Arabische Mathematik
Der Begriff Arabische Mathematik bezeichnet diejenige Mathematik, die sich im Gebiet des islamischen Großreiches vom 7. bis zum 15. Jahrhundert entwickelte, so daß auch die Bezeichnung islamische Mathematik üblich ist. Nach der Herausbildung des Islam als monotheistischer Religion auf der arabischen Halbinsel am Anfang des 7. Jahrhunderts entstand aus dem von Muhammad ibn ’Abdallah geschaffenen zentralisierten Staat in den nächsten Jahrhunderten ein Großreich, das den vorderen Orient, große Teile Zentralasiens, Nordafrika und die Pyrenäenhalbinsel umfaßte, sehr bald aber wieder in Teilreiche zerfiel. Im 10. und 11. Jahrhundert erreichte die islamische Wissenschaft ihren Höhepunkt, doch auch danach erlebte sie in einzelnen Teilreichen eine Blütezeit.
In die arabische Mathematik gingen Elemente aus der griechischen, der indischen, der persischen, der mesopotamischen und in geringerem Umfang der chinesischen Mathematik ein. Die arabische Mathematik zeichnete eine deutliche Ausrichtung auf Anwendungen aus, die behandelten Probleme reichten von Fragen des Bauwesens, der Geodäsie, des Handels, des Erbrechts bis hin zu denen der Geographie, der Astronomie und Astrologie, des Staatshaushaltes und der Optik. Ein zweites Charakteristikum war eine stärkere Betonung algebraischer Elemente und der Versuch, entsprechende Beweismethoden zu schaffen.
Die Entwicklung der arabischen Mathematik verlief in mehreren Etappen. Die erste Etappe, die etwa bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts reichte, war durch die Sicherung des wissenschaftlichen Erbes gekennzeichnet. In diesem Bestreben wurden auch zahlreiche noch verfügbare mathematische Schriften aus der griechisch-hellenistischen Antike, aus Persien, Indien und Ägypten gesammelt und ins Arabische übersetzt. Kalif Al-Man
Die zweite Etappe war dann gekennzeichnet durch die Aufnahme eigenständiger mathematischer Forschungen auf der Basis einer verstärkten Kommentierung der erschlossenen Quellen. Die Errungenschaften der islamischen Mathematiker jener Zeit umfassen die Übernahme des dezimalen Positionssystems und der arithmetischen Rechenmethoden aus der indischen Mathematik, die Ausformung des Systems arithmetischer Operationen, wie es im wesentlichen heute noch von uns benutzt wird, die Einführung der Dezimalbrüche, die Entwicklung von Näherungsverfahren, geometrische Konstruktionen sowie die Übernahme und Weiterentwicklung der Sinustrigonometrie der Inder. Die bedeutendsten Vertreter der islamischen Mathematik dieser Periode waren al-
Der aus Choresm (Chiva/Usbekistan) stammende al-
Ab dem 11. Jahrhundert traten astronomische Berechnungen und Fragen der Numerik, speziell Näherungsmethoden, stärker in den Vordergrund. Auch hierbei bildeten die Methoden und Resultate der griechischen Antike den Ausgangspunkt der Betrachtungen. Die Trigonometrie nahm in den Forschungen der islamischen Mathematiker und Astronomen einen hervorragenden Platz ein, stellte sie doch die Verbindung zwischen der Mathematik, der Astronomie, dem Kalenderwesen sowie der Lehre von der Sonnenuhr her, und hatte sich auch bei der Realisierung der umfangreichen geographischen Interessen der islamischen Gelehrten als nützlich erwiesen. Bereits im 8. Jahrhundert übersetzte man eine der indischen „Siddhāntas“ und erschloß damit Teile des Wissens der Inder zur Trigonometrie.
Im 9. Jahrhundert folgten dann Kommentare zum „Almagest“ des Ptolemaios (um 85–um 165), eines der bedeutendsten astronomischen Werke der Antike, das die Astronomie für fast eineinhalb Jahrtausende dominierte, und zur „Sphärik“ des Menelaos. Die islamischen Mathematiker führten die trigonometrischen Verhältnisse Tangens und Cotangens am rechtwinkligen Dreieck ein, übernahmen von den Indern die Verhältnisse Sinus und Cosinus, studierten die Eigenschaften aller vier Verhältnisse und tabellierten sie erstmals im 9. Jahrhundert. Ab ū’l-Wafā’ (940–997/98) definierte dann alle Winkelfunktionen einheitlich am Kreis. Nach und nach behandelte man die verschiedenen Typen ebener und sphärischer Dreiecke und baute die Trigonometrie zu einem geschlossenen Wissensgebiet aus. Nachdem die Trigonometrie lange nur als Hilfsmittel der Astronomie angesehen wurde, gab Na
Die trigonometrischen Forschungen förderten zugleich die Arithmetik, insbes. die Beschäftigung mit Irrationalitäten und Brüchen. Neben Rechnungen im dezimalen Positionssystem mit den indischarabischen Ziffern wurden in zahlreichen Texten das Sexagesimalsystem oder verschiedene regionale Zahlsysteme bzw. eine Mischung mehrerer Systeme benutzt. Die arabischen Mathematiker haben erfolgreich die Vorzüge der einzelnen Systeme analysiert und versucht, diese in ein neues System einzubringen.
An Einzelleistungen seien etwa das Erkennen von π als irrationale Größe durch al-Bīrūnī und die Angabe eines einfachen, aber sehr genauen und schnell konvergierenden Iterationsverfahrens zur Lösung kubischer Gleichungen durch al-Kāšī erwähnt. Seit dem 12. Jahrhundert fanden teilweise auch die negativen Zahlen in algebraischen Texten Anerkennung, vermutlich eine Auswirkung von indischen oder chinesischen Einflüssen.
Auf dem Gebiet der Algebra erzielten die islamischen Mathematiker in jener Zeit ebenfalls beträchtliche Erfolge. Herausragend sind dabei die Schaffung einer geometrischen Theorie zur Auflösung kubischer Gleichungen und die Bemühungen um eine Arithmetisierung der Algebra. Nach ersten vorbereitenden Arbeiten seit dem 9. Jahrhundert wurde diese Theorie von dem Perser al-
Durch die Schriften von al-Kara
Die arabischen Mathematiker stellen das entscheidende Bindeglied zwischen der antiken Mathematik (einschließlich Indien und teilweise China) und der Mathematikentwicklung in Westund Mitteleuropa dar. Sie haben dieses mathematische Erbe gesichert und schöpferisch durch viele eigene Leistungen ergänzt. Dabei erfuhr die Mathematik regional eine unterschiedliche Ausprägung. Man unterscheidet allgemein zwischen der ostarabischen und der westarabischen Mathematik. Während die ostarabische Mathematik ein höheres Niveau erreichte als die westarabische, war letztere von ausschlaggebender Bedeutung für die Überlieferung der mathematischen Errungenschaften der Griechen, Inder und der Araber nach Europa.
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