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Lexikon der Mathematik: Philosophie der Mathematik

Die Reflexion auf Voraussetzungen, Gegenstand, Methoden und Status der Mathematik bildet seit der Antike ein wichtiges Teilgebiet der Philosophie. Philosophisch ebenso erklärungswie prüfungsbedürftig sind dabei folgende Charakterisierungen: Im Unterschied zu empirischen Urteilen sind wahre mathematische Sätze sicher, apodiktisch gewiß, zeitlos, exakt und klar; ihre durch Beweise zu liefernde Rechtfertigung ist ebensowenig erfahrungsabhängig, wie mathematische Sachverhalte sinnlich wahrnehmbare, raum-zeitliche und kausal wirkende Gegenstände sind; Mathematik läßt sich dennoch anwenden im Bereich der empirischen Wirklichkeit; sie besitzt einen hohen Grad an strenger Systematisierung. Zum klassischen Problembestand der Philosophie der Mathematik (PdM) gehören daher:

  • ontologische Fragen nach der Existenzweise mathematischer Objekte;
  • epistemologische Fragen nach Möglichkeit und Form mathematischer Erkenntnis sowie nach der Begründung mathematischen Wissens;
  • Erklärung der Möglichkeit, daß Mathematik „auf die Gegenstände der Wirklichkeit so vortrefflich paßt“ (A. Einstein 1921);
  • grundbegriffliche Probleme im Ausgang von mathematischen, in ihrer Bedeutung über den innerfachlichen Bereich hinausgreifenden Konzepten wie ‚Zahl‘, ‚Punkt‘ und ‚Unendliches‘.

    Die Entwicklung des Reflexionsstandes der Philosophie im 20. Jahrhundert mit den neuen Zugangsweisen metaphysikkritischer Sprach- und Zeichenphilosophie einerseits sowie die Mathematisiertheit der von Wissenschaft, Technik und Computer geprägten Lebenswelt andererseits messen der PdM besondere Aktualität zu.

    Systematisch wichtige Bezugspunkte bilden typisiert zunächst antike Grundpositionen. Ausgehend von der Platon-Interpretation des Aristoteles ordneten die Platonisten dem ewigen, unbeweglichen, aber im Unterschied zu den primär seienden Ideen vielheitlichen Mathematischen einen eigenen, von den Sinnendingen unabhängigen mittleren Seinsbereich zu. An den mathematischen Gegenständen orientiert verlieh der mythische Weltschöpfer dem All seine mathematische Grundordnung (Platon: Timaios). Demgegenüber versteht Aristoteles Mathematik als Produkt von Abstraktion aus der empirischen Wirklichkeit, auf die sie darum auch wieder anwendbar ist (Aristoteles: Metaphysik). Die bedeutendste Weiterentwicklung der PdM wird dann durch I. Kant geleistet. In seiner kritischen Philosophie werden die Annahme einer vorfabriziert fertigen Welt als sinnwidrig erwiesen und der produktiv konstruktionale Charakter des Erkennens formuliert (Kant: Kritik der reinen Vernunft). In engem Zusammenhang mit dem Erfahrungsgegebenen ist mathematische Erkenntnis zusammenzubringen mit den apriorischen (d. h. jeder Erfahrung logisch vorausgehenden) Anschauungsformen Raum und Zeit. In den seinerzeit als fundamental erachteten mathematischen Disziplinen Geometrie und Arithmetik reicht nach Kant (gegen G.W. Leibniz) Widerspruchsfreiheit nicht zum Existenznachweis aus. Vielmehr sind die Objekte und Sachverhalte nach den formalen Regeln des Verstandes in der Anschauung zu konstruieren, auf deren apriorische Formen die als Realisationsverfahren dienenden Schemata (etwa beim zeitlichen Zählen) zurückgreifen. Zusammengenommen sind mathematische Sätze daher a priori gültig sowie synthetisch, also nicht schon durch ihre Bedeutung (analytisch) wahr. Mathematik ist mithin Konstruktion des menschlichen Geistes, wobei die mathematische Synthesis in diesem transzendentalen Entwurf auf die Möglichkeit von Erfahrung hin begründet ist. Für die Explikation der Anwendbarkeit solchermaßen konstruktiver Mathematik auf eine im Erkenntnisakt strukturierte Natur ergibt sich somit die für die aktuellen Positionen gleichermaßen richtungsweisende wie herausfordernde These, daß die mathematischen Konstruktionen auf Formen der Anschauung und des Denkens beruhen, die zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrungsgegenstände und deren Erkenntnis sind.

  • Im Zuge der Bemühungen um eine Grundlegung der Mathematik im Sinne einer Begründung ihrer Sicherheit und Notwendigkeit kommt es im 20. Jahrhundert zu stark diskutierten Positionen in der PdM:

    1. Logizismus. Grundlegend ist der schon bei Leibniz anzutreffende Gedanke, daß Mathematik sich vollständig auf Logik zurückführen lasse (G. Frege). Nach Art des platonistischen intelligiblen Seinsbereiches wird angenommen, daß mathematische Objekte unabhängig vom erkennenden Denken und historischen Wissensstand an sich existieren. Der Mathematiker entdeckt bestehende Wahrheiten, die a priori und analytisch sind, insofern die Aussagen und Axiome der Mathematik rückführend als Theoreme der (zweiwertigen) Logik zu begründen sind, welche ihrerseits wahre Aussagen über einen platonistischen Dingbereich darstellen. Die Sicherheit der Mathematik kann so als Folge des Gegenstandsbereichs begründet werden. Dies nimmt die verbreitete Auffassung von der klassischen Mathematik im 19. Jahrhundert auf, welche von Entwicklung strenger Begriffsbildungen in der Analysis und Arithmetisierung gekennzeichnet ist: Der Mathematik eigentümliche Gegenstände seien die natürlichen Zahlen und die aus ihnen mithilfe mengentheoretischer Prinzipien erzeugbaren Objekte. Zur logizistischen Begründung der Arithmetik mit rein logischer Definition des Zahlbegriffes wird auf den Cantorschen Begriff der Menge zurückgegriffen. Zum Scheitern des Begründungsanspruches des Logizismus jedoch und damit zu einer Grundlagenkrise der Mathematik kommt es durch B. Russels Aufdeckungen von Schwierigkeiten mit dem Mengenbegriff (1902). Selbst das durch seine Typentheorie gegebene Auflösen dieser Antinomien macht das logizistische Programm nicht durchführbar: Die notwendige Postulierung von Auswahl- und Unendlichkeitsaxiom führt zu Anteilen, deren rein logischer Charakter zweifelhaft erscheint und die hinsichtlich möglicher weiterer Antinomien Adhoc-Umgehungen darstellen. Verzweigte Typentheorien (Russel, Whitehead) geraten in Schwierigkeiten mit dem Reduzibilitätsaxiom. Hinzu treten die philosophische Skepsis hinsichtlich des metaphysisch vorausgesetzten Bereiches der Logik sowie die erkenntnistheoretische Problematik einer nicht befriedigend zu konzipierenden Zugangsweise zu ihm; so wird durch die Behauptung (Gödel) eines der Perzeption im Bereich der empirischen Gegenstände völlig analogen Vermögens zur ‚Wahrnehmung‘ der Objekte der Mengentheorie und der Wahrheit der Axiome die Problemlage nur verschoben.

    2. Intuitionismus. Gemäß der Position des Intuitionismus (L.E.J. Brouwer, A. Heyting, H. Weyl, M. Dummett) werden – in Anknüpfung an Kant – mathematische Gegenstände durch die geistige Aktivität des Mathematikers erst geschaffen. Die Realität des Mathematischen besteht in mentalen mathematischen Konstruktionsakten, deren Beschreibung durch andere Personen verstehbar und nachvollziehbar ist. Die Gültigkeit einer mathematischen Aussage ist begründet, wenn sie das Ergebnis einer intuitiv klaren gedanklichen Konstruktion beschreibt, der Existenzbeweis ausschließlich durch Erfüllung der Konstruktionsforderung zu leisten. Als Quelle mathematischer Einsicht wird eine Schlüsse und Begriffe unmittelbar einsichtig werden lassende ‚Intuition‘ benannt – nach Brouwer letztlich die mit der Anschauungsform Zeit verbundene Zählintuition, worauf etwa in Konstruktionsverfahren verwendete Wahlfolgen zurückgreifen. Mathematische Erkenntnis ist möglich, da sie es nur mit dem zu tun hat, was durch das Denken selbst bestimmt wurde. Abgelehnt werden daher: imprädikative Begriffsbildungen; Konzepte des Aktual-Unendlichen; die Auffassung von Axiomen als Grundaussagen, statt sie auf die Urintuition des Zählens zu gründen, womit z. B. das Auswahlaxiom nicht verwendet werden kann; die uneingeschränkte Gültigkeit des ‚tertium non datur‘ in der Logik: neben den durch Konstruktionsbeweis als wahr und den durch Herleitung eines Widerspruchs aus ihnen als falsch erwiesenen Sätze ist als dritter Fall der Bereich der nicht entschiedenen Sätze zuzulassen, da mit Wegfall der Annahme eines mathematischen transzendenten Wirklichkeitsbereiches ebenso die Vorstellung entfällt, die Sachverhalte seien schon für sich vorab entschieden. Als Kritik am Intuitionismus wurde von seiten der Mathematiker auf eine Verkomplizierung und ‚Verarmung‘ der bestehenden Mathematik hingewiesen, in der der Bereich des Transfiniten ebenso entfällt wie nur auf indirekte ‚Beweise‘ gestützte Sätze. Philosophisch konnten die von Brouwer gelieferten Begründungen, insb. der Begriff der Intuition, bislang keiner ausreichenden Klärung zugeführt werden, die etwa eine klare Abgrenzung zum Psychologismus zu ziehen vermag, der daran scheiterte, die logische Notwendigkeit mathematischer Sätze in den empirischen Gesetzlichkeiten des Denkens zu verankern.

    3. Formalismus. Den formalsprachlichen Zeichencharakter von Mathematik und Logik betonend sieht die Position des Formalismus (D. Hilbert) von inhaltlich gegenständlichen Fragen ebenso ab wie von Begründungsinstanzen außerhalb der Mathematik. Ohne hinsichtlich ihres Ursprunges oder eines ‚Geltungsbereiches‘ thematisiert zu werden, rücken hierbei die Axiomensysteme der Logik und Mathematik in den Blick, die die Grundlage für das Ableitungsprogramm aller Sätze der Mathematik darstellen sollen. Axiomensysteme müssen dabei den Forderungen sowohl nach Widerspruchsfreiheit als auch nach Vollständigkeit genügen. Axiome stellen mithin implizite Definitionen dar, die die strukturellen Eigenschaften vollständig festlegen und mathematische Existenz und Wahrheit aufgrund ihrer Widerspruchsfreiheit konstituieren. Nachdem im Zuge der Entwicklungen der nichteuklidischen und Riemannschen Geometrien im 19. Jahrhundert der Rekurs auf anschauliche Evidenz für die Wahrheitsbegründung von Axiomen bereits an Überzeugungskraft verlor, werden nunmehr etwa in der Geometrie ‚Punkt‘, ‚Gerade‘, ‚Ebene‘zulediglichformalfestgelegtenEigenschafts- variablen innerhalb eines Axiomensystems, die beliebigen zulässigen Interpretationen, Modellbildungen, offen sind. Aus diesem Zugang speist sich die heute häufig vertretene Auffassung von Mathematik als Wissenschaft formaler Systeme (H.B. Curry).

    Die Widerspruchsfreiheit eines Axiomensystems ist in Hilberts Programm in einer Metamathematik nachzuweisen, die den formalisierten Zeichenkalkül zum Gegenstand hat und, dem menschlichen Erkenntnisvermögen Rechnung tragend, nur rein finite konstruktive Mittel verwendet. Abgesehen von der Frage, ob es sich beim metamathematischen Ansatz lediglich um eine Problemiterierung handelt, ist das Scheitern des Formalismus als Begründung der Sicherheit der Mathematik im Rekurs auf ihre formalsprachlichen Bedingungen gegeben durch Gödels Resultate hinsichtlich der Grenzen der Axiomatisierbarkeit:

    (a) für axiomatische Systeme, die mindestens die Arithmetik enthalten, ist ein Widerspruchsfreiheitsbeweis allein mit Mitteln, die in diesem System formalisierbar sind, nicht möglich; es kann nur relative Widerspruchsfreiheit und damit keinen abgeschlossenen Begriff vom ‚mathematischen Beweis‘ geben;

    (b) jedes widerspruchsfreie Axiomensystem (von höhere Stufe als die Prädikatenlogik 1. Ordnung) ist unvollständig, da sich stets wahre Aussagen formulieren lassen, die sich mit den Mitteln des Systems nicht aus den Axiomen ableiten lassen.

    4. Konstruktivismus. Durch eine Ersetzung der Finitheitsforderung in der Metamathematik zugunsten einer Konstruktivität der Beweismittel gelangen Widerspruchsfreiheitsbeweise der Arithmetik und verzweigten Typentheorie (ohne Reduzibilitätsaxiom) sowie ein konstruktivistischer Aufbau von Logik, Arithmetik und klassischer Analysis (P. Lorenzen, G. Gentzen). Dabei wird der ‚tertium non datur‘-Grundsatz verwendet, da sich dessen Hinzunahme zur konstruktiven Logik als widerspruchsfrei erweisen läßt. Der durch Lorenzen und die Erlanger Schule vertretene Standpunkt des Konstruktivismus in der PdM teilt operationalistische Positionen H. Dinglers. Das Aufbauprogramm geht von formalen Operationen als dem Gestalten von Zeichenreihen aus, bei der Logik als sog. Dialogspiele, womit als Basis von konstruktionaler Dingkonstitution und Ableitung im Kalkül anschaulich schematisches Operieren unter gewählten zulässigen Regeln auftritt. Im Unterschied zum Formalismus wird in der konstruktivistischen Mathematik Inhaltlichkeit durch Verstehbarkeit verteidigt. Dingler betonte, daß Axiome nicht beliebig und willkürlich seien, sondern auf einer ursprünglichen Ebene des menschlichen Willens aufruhten, einfache Ideen in die Wirklichkeit als Mathematisierung hineinzufertigen, was sich als Normierungshandlung der Frage einer Begründung nicht mehr ausgesetzt sieht. Für Lorenzen sind als Fundament der Mathematik ebenfalls nicht formale Postulate oder unmittelbare Einsichten anzunehmen, sondern Regeln des schematischen Operierens im Sinne von Handlungsanweisungen, auf denen dann Einsichtigkeit und allgemeine Zustimmung beruhen. So kann Geometrie ausgehend von vorwissenschaftlich lebensweltlichen Herstellungspraktiken auch als apriorische ’Protophysik’ der Längenmessung figurieren, die zur Begründung der mathematisierten Physik beiträgt.

    Als Kritikpunkte sind eingewandt worden: Die Anwendung des konstruktivistischen Begründungsbegriffes selbst beruht auf Entscheidung; sodann führt das angeführte normative Argument im Sinne eines Werturteils zur Ablehnung nicht konstruktivistisch begründbarer Teile der Mathematik; ferner fehlt ein von dem Ziel, die klassische Mathematik so, wie sie vorliegt, aufzubauen, unabhängiges Kriterium dafür, was als zulässiges konstruktives Verfahren anzusehen ist.

    Auf dem Hintergrund der nicht erfolgten Einlösung des Grundlegungsanspruches setzte sich einerseits unter dem Einfluß der strukturtheoretisch orientierten Gruppe N. Bourbaki in der expandierenden mathematischen Praxis eine Art pragmatischer Formalismus‘ durch. Andererseits ist philosophisch deutlich geworden, daß Grundlagen des Mathematischen sich nicht innerhalb der Mathematik selbst behandeln lassen. Begründungen beruhen auf Voraussetzungen, die ihrerseits jedoch nicht als absolut gerechtfertigt werden können. Die damit wesentliche Geschichtlichkeit des Mathematikbegriffes sowie mathematischer Erkenntnis ist daher selbst zum Gegenstand gegenwärtiger PdM geworden (I. Lakatos, P. Kitcher, M. Steiner).

    Neuere Entwicklungen. Die gegenwärtige Forschungsentwicklung der PdM ist in ihrer Vielfalt gekennzeichnet von der philosophischen Aufweitung mathematisch disziplinärer Engführungen während des Grundlegungsstreites in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine Reihe von Arbeiten beschäftigt sich mit Weiterentwicklungen des Begriffes der Intuition auch unter Rückgriff auf Kant und die Phänomenologie E. Husserls sowie mit Transformationen des Platonismus, insbesondere im Weggang von einem am Leitbild raum-zeitlicher Gegenstände orientieren Objekt-Platonismus hin zu einem ‚concept platonism‘ (D. Isaacson).

    Auch der Strukturalismus in der PdM geht von platonistischer Invarianz mathematischer Wahrheiten unter Isomorphismen aus und charakterisiert Mathematik als ‚science of patterns‘ (M. Resnik), da die von den mathematischen Konstanten und Quantoren bezeichneten ‚Objekte‘ im Kern aufzufassen seien als Positionen in Strukturen, ohne Identität und Merkmale außerhalb dieser.

    Der Fiktionalismus (H. Field) versucht anti-platonistisch, mathematische Sätze hinsichtlich Referenz, Wahrheit und Bedeutung analog dem fiktionalen Charakter beispielsweise von Romanen zu konzipieren, die einen ähnlichen Bezugsrahmen für die semantischen Merkmale der in ihnen auftretenden Sätze darstellen, wie die Standardmathematik für die Aussage „2 plus 2 ist 4“. Damit geht die These einher, daß aus den Naturwissenschaften prinzipiell mathematische Entitäten wie Zahlen eliminiert werden könnten.

    Von großer Wirkung ist die Position von W.V.O. Quine in der PdM: Seine Kritik an der analytisch/synthetisch-Trennung löst auch die strenge Dichotomie a priori/a posteriori auf. Dies führe in Situationen, in denen Beobachtungsdaten wissenschaftlichen Hypothesen widerstreiten, dazu, in dem holistischen Gefüge von Logik, Mathematik, Theoriennetzwerk und Hypothesen die mathematisch-logischen Bereiche trotz tiefer Verankerung prinzipiell nicht immun gegen Revision halten zu können. Letztlich gebe es daher keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen Sätzen der Mathematik und der theoretischen Physik.

    In vielen Varianten des Naturalismus wird hieran anschließend versucht, Mathematik als Grenzfall von Erfahrungswissenschaft zu konzipieren. Darüberhinaus vertritt Quine (zusammen mit frühen Arbeiten H. Putnams) hinsichtlich der Ontologie der Mathematik die These, daß ähnlich wie bei der Abhängigkeit von Existenzbehauptungen im theoretisch-wissenschaftlichen und natürlichsprachlichen Zusammenhang vom grundbegrifflichen Schema auch die Existenz mathematischer Entitäten wie Zahlen durch ein ‚indespensibility argument‘ anzunehmen ist. Sie treten auf als Referenten der in gut bestätigten Theorien unverzichtbar enthaltenen mathematischen Ausdrücke und bilden relativ zu diesem Hintergrund von Überzeugungen ein ‚ontological commitment‘.

    Zunehmend werden in ihrer Bedeutung auch die Beiträge zur PdM von L. Wittgenstein erkannt. Insbesondere stellt er in seiner Kritik sowohl an platonistischen wie mentalistischen Positionen das Anliegen einer Begründung von Mathematik und Logik selbst in Frage. So betont er in seiner philosophischen Analyse der Regelverwendungspraxis, daß bei formel- bzw. regelgeleiteten mathematischen Übergängen nicht noch eine dahinterstehende Garantieinstanz für die Richtigkeit der Regelverwendung neben der Formel selbst notwendig oder konzipierbar ist. In diesem Sinne brauchen die mathematischen Sätze keine Grundlegung, sondern eine ‚Klarlegung ihrer Grammatik‘. Ferner gehe die Auffassung fehl, daß mathematische Schlüsse in formale logische Operationen überführt werden müßten. Philosophisch relevant ist vielmehr, daß in Beweisen geeignete Zeichenprozesse vollzogen werden, die den bislang in seiner Geltung nicht einsehbaren Satz in einen Zeichenkomplex überführen, von dem man sieht, daß er stimmt. Mithin spielen in Aufnahme von Kant auch Komponenten der Anschauung bzw. Ästhetik eine zentrale Rolle. In Hinblick auf die naturwissenschaftliche Erfahrung betont Wittgenstein die Rolle des zugrundliegenden mathematischen ‚Bildes‘, das die Form der Tatsachen bestimmt und in einen überschaubaren Zusammenhang bringt (Wittgenstein: Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik).

    Insbesondere Putnam betont in Aufnahme von Wittgenstein, daß die Gewißheit logischer Wahrheiten nicht selbst noch einmal ausgeprochen und fundamental begründet werden kann. Bezogen auf den tiefliegenden und mit unserer Lebensform verbundenen Hintergrund, aus dem heraus wir sinnvoll die Unterscheidung zwischen ‚empirisch‘ und ‚notwendig‘ machen, können wir entgegen dem Naturalismus nicht beliebig von Revidierbarkeit der Logik durch Erfahrung sprechen, insofern wir dann die Begriffe ‚Rechtfertigung‘ und ‚Bestätigung‘ selbst zu verlieren drohen, wenn Erfahrung alles in Frage stellen könnte, was wir als sicher annehmen.

    Literatur

    [1] Benacerraf, P.; Putnam, H. (Hgg.): Philosophy of mathematics, 2. Aufl.. Cambridge, 1983.

    [2] Hart, W.D. (Hg.): The Philosophy of Mathematics. Oxford, 1996.

    [3] Körner, S.: Philosophie der Mathematik. München, 1968.

    [4] Meschkowski, H.: Wandlungen des mathematischen Denkens, 5. Aufl.. München, 1985.

    [5] Schirn, M. (Hg.): The Philosophy of Mathematics Today. Oxford, 1998.

    [6] Thiel, C. (Hg.): Erkenntnistheoretische Grundlagen der Mathematik. Hildesheim, 1982.

    [7] Thiel, C.: Philosophie und Mathematik. Darmstadt, 1995.

    [8] Tymoczko, T. (Hg.): New Directions in the Philosophy of Mathematics. Princeton, 1998.

    • Die Autoren
    - Prof. Dr. Guido Walz

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