Lexikon der Neurowissenschaft: Soziobiologie
Soziobiologie w [von latein. socius = gemeinsam, griech. bios = Leben, logos = Kunde], Esociobiology, Zweig der biologischen Verhaltensforschung (Ethologie), der unter diesem Namen durch das Buch "Sociobiology – the new synthesis" von E.O. Wilson bekannt wurde, in den theoretischen Grundlagen aber teilweise älter ist (W.D. Hamilton, J. Maynard Smith u.a.). Die Besonderheit der Soziobiologie ist der Versuch, Verhaltensmerkmale wie andere Merkmale konsequent als in der natürlichen Selektion entstandene Anpassungen zu deuten. Als kritische Phänomene erwiesen sich dabei vor allem solche sozialen Verhaltensweisen, die auf den ersten Blick die Fortpflanzungschancen eines Individuums zu schmälern scheinen und anderen Individuen zugute kommen, z.B. Brutpflege, gegenseitige Hilfe gegenüber Freßfeinden, Teilen von Nahrung usw. (Altruismus). Die Soziobiologie geht paradigmatisch davon aus, daß auch solche Verhaltensweisen einen Selektionsvorteil für das individuelle Erbgut haben müssen, wenn sie überhaupt auftreten. Zu ihrer Erklärung wurden unterschiedliche Ansätze entwickelt ( siehe Zusatzinfo ). Der Ansatz der Soziobiologie faßt die Evolutionsbiologie des Verhaltens, die Tiersoziologie (Sozio-Ökologie) und die Populationsbiologie in einem einheitlichen Theorienrahmen zusammen und hat damit große Erklärungserfolge erzielt. Vor allem in populären Publikationen wurde der Erklärungsanspruch der Soziobiologie jedoch auch stark überzogen, z.B. durch einen biologistischen Reduktionismus in der Diskussion mit den Geisteswissenschaften. Es wurde nicht beachtet, daß die Soziobiologie sich in strenger Form nur auf angeborene Verhaltensmerkmale anwenden läßt und daß für die Entwicklung ontogenetisch erworbenen oder gar kulturell vermittelten Verhaltens eigene Gesetze einer komplexeren Systemebene gelten. Bioethik, Kultur.
Lit.: Dawkins, R.: Das egoistische Gen. Berlin 1978. Lumsden, C.J., Wilson, E.O.: Das Feuer des Prometheus. München 1984. Wilson, E.O.: Sociobiology: the new synthesis. Cambridge 1975.
Soziobiologie
Kin-Selektion (Verwandtenselektion): Ein seltenes Allel, das Helferverhalten veranlaßt, kommt mit einer vom Verwandtschaftsgrad abhängigen Wahrscheinlichkeit auch bei Verwandten vor, z.B. bei Kindern und Geschwistern mit der Wahrscheinlichkeit 1/2, bei Enkeln und Neffen 1/4 usw. Ein Selektionsvorteil für diese Verwandten bildet, gewichtet mit dem Verwandtschaftsgrad, auch einen Selektionsvorteil für das "Helfer-Allel", das sich in der Population verbreiten kann, falls das Helfen tatsächlich den Verwandten zugute kommt und der Selektionsnachteil des Helfers von dem Vorteil der Hilfsempfänger aufgewogen wird.
reziproker Altruismus: Ein "Helfer-Allel" kann sich durchsetzen, wenn es einen Mechanismus gibt, durch den der Helfer ebenfalls Hilfsempfänger wird und durch den einseitiges Helfen verhindert wird.
Das früher stärker benutzte Konzept der Gruppenselektion wird dagegen an enge Vorbedingungen gebunden bzw. abgelehnt.
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