Metzler Lexikon Philosophie: Gen-Ethik
der Teilbereich der angewandten Ethik, der sich mit der Kritik und Begründung von moralischen Werten, Prinzipien und Normen in Bezug auf die Probleme befasst, die sich aus der Anwendung gentechnischer Verfahren am Menschen und an der nicht-menschlichen Natur und insbesondere aus den technischen Möglichkeiten des gezielten Eingreifens und Veränderns des menschlichen, tierlichen und pflanzlichen Genoms ergeben. In der Humangenetik finden gentechnische Verfahren sowohl bei der Diagnose und Prophylaxe (»Gendiagnostik«) als auch bei der Therapie (Arzneimittelproduktion, somatische Gentherapie, Keimbahntherapie) Anwendung. Moralische Probleme ergeben sich vor allem (a) hinsichtlich der durch gentechnische Eingriffe am Menschen induzierten Risiken, ihrer Bewertung sowie der Zumutbarkeit von Risiken, (b) aus der Diskrepanz zwischen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten (die z.B. zu einer Forderung nach einem »Recht auf Nicht-Wissen« geführt hat) und (c) daraus, dass diese Verfahren (insbesondere gentechnische Eingriffe in menschliche Keimbahnzellen) neben der Therapie von Krankheiten auch die Möglichkeit der »Qualitätskontrolle« der menschlichen Erbausstattung eröffnen. Über diese unmittelbar durch die Anwendung gentechnischer Verfahren am Menschen induzierten Probleme hinaus fragt die G. allgemeiner auch nach möglichen gesellschaftspolitischen Folgen (z.B. mögliche »Privatisierung von Krankheitsrisiken« im Hinblick auf Versicherungssysteme und Arbeitnehmer-Schutz) und den Folgen für wichtige medizinische, philosophische und ethische Begriffe (Krankheit/Gesundheit, Behinderung, Natürlichkeit etc.) sowie das menschliche Selbstverständnis (Identität und Integrität menschlicher Personen etc.). – Mitunter wird der Begriff der G. auch allgemeiner für die moralische Auseinandersetzung mit den sog. neuen Gen- und Reproduktionstechnologien verwendet (pränatale Diagnose, In-virto-Fertilisation etc.). Die Anwendung gentechnischer Verfahren in der Tier- und Pflanzenzucht (Tierethik, Umweltethik) führt insbesondere zu ethischen Fragen der Risikobewertung und der Akzeptabilität von Risiken (z.B. bei sog. Freisetzungsexperimenten mit genmanipulierten Pflanzen oder Mikroorganismen), der Erhaltung der Artenvielfalt und des Umwelt- und Naturschutzes. Ob man gezielte Eingriffe in das Genom von Tieren bzw. Pflanzen generell für moralisch bedenklich hält oder nicht, hängt darüber hinaus von den axiologischen Annahmen darüber ab, welchen Arten von Naturwesen über ihren Wert für andere hinaus ein eigener, intrinsischer Moralischer Status zukommt.
Literatur:
- K. Bayertz: GenEthik. Probleme der Technisierung menschlicher Fortpflanzung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1987
- J. Burley/J. Harris (Hg.): A Companion to Genethics: Philosophy and the Genetic Revolution. Oxford 2002.
JA
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