Metzler Lexikon Philosophie: Humanismus
(1) Bezeichnung für die von Petrarca und Boccaccio begründete, vorwiegend literarisch ausgerichtete Geistesbewegung, die sich vom Italien des 14. Jh. aus über ganz Europa ausbreitet. Sie entzündet sich an der Abneigung gegen die erstarrte Tradition der Scholastik. Dagegen wird eine Wiedergeburt des Menschen aus dem antiken Geist heraus gefordert. Ins Zentrum des humanistischen Denkens rückt der Mensch selbst, das Studium der Geschichte und der Sprache. Aus den »Bemühungen um das Menschsein« (studia humanitatis) unter Bezug auf die lat. Begriffe humanitas, humanus leitet sich die Bezeichnung für die Bewegung ab. Dabei meint studia humanitatis besonders die umfassende geistige und künstlerische Bildung, wie sie im Leitbild des »uomo universale« zum Ausdruck kommt, dessen Grad an Bildung zugleich Maßstab für seine moralische Integrität ist. Weitere Vertreter des H. sind C. Salutati, L. B. Alberti, L. Valla, Erasmus von Rotterdam, Th. Morus, Michel de Montaigne, C. Celtis, Ulrich von Hutten und P. Melanchthon. – Unter Neuhumanismus versteht man das im 18./19. Jh. z.B. bei Winckelmann, Fr. Schlegel, Goethe, Schiller und Humboldt bestimmende Menschenbild, das die umfassende geistige und sittliche Bildung des Individuums zum höchsten Maß seiner Vollkommenheit und Freiheit zum Inhalt hat. Herder sieht in der Entwicklung zur Humanität das Hauptgesetz der Natur. – Der sog. Dritte H. (W. Jäger) fordert zu Beginn des 20. Jh. die Wiederbelebung der klassischen Studien an den Schulen, weil die antike Kultur die bleibend gültigen Ideen des Menschseins hervorgebracht habe. – (2) Systematisch bezeichnet H. eine Denkrichtung, die auf eine dem Menschen angemessene Gestaltung des Lebens hinzielt. Seit dem jungen Marx ist die Tendenz eines so verstandenen neuen H. kritisch gegen die Voraussetzungen des klassischen H. gerichtet. Der H. soll auf ein neues anthropologisches Fundament gestellt werden und – in Überwindung seines klassisch individualistischen Charakters – auf seine politisch-soziale Wirksamkeit hin bedacht werden. So kann sich der Sozialismus als ein H. begreifen, der auf die Emanzipation des Menschen aus allen ihn erniedrigenden Verhältnissen zielt. Sartre sieht im Existentialismus einen H., weil er den Menschen daran erinnert, dass er sein eigener Gesetzgeber ist, der sein eigenes »humanes Wesen« verwirklicht, indem er sich selbst auf Ziele hin entwirft und sich so als das, was er sein kann, hervorbringt. Das Thema der politischen Relevanz des H. wirft auch die u.a. bei Merleau-Ponty (Humanisme et terreur, 1972) und Camus behandelte Frage nach der Humanität der Mittel auf, die zur Erlangung politischer und sozialer Ziele eingesetzt werden dürfen.
Literatur:
- A. Abusch: Tradition und Gegenwart des sozialistischen Humanismus. Berlin 1971
- K. Delikostantis: Der moderne Humanitarismus. Mainz 1982
- S. Dresden: Humanismus und Renaissance. München 1968
- E. Garin: Der italienische Humanismus. Bern 1947
- E. Grassi: Humanismus und Marxismus. Reinbek 1973
- P.O. Kristeller: Humanismus und Renaissance. 2 Bde. München 1974/1976
- W. Köhnel: Aspekte des Humanismus. Münster 1981
- H. Oppermann (Hg.): Humanismus. Darmstadt 1970
- H. Rüdiger: Wesen und Wandlung des Humanismus. Hildesheim 1966
- R. Schwarz: Humanismus und Humanität in der modernen Welt. Stuttgart 1965.
FPB
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