Metzler Lexikon Philosophie: Idee
Grundbegriff der Philosophie Platons, hat von hier aus die Geschichte der abendländischen Metaphysik in mannigfachen Abwandlungen begleitet. Bedeutet I. (griech. idea bzw. eidos) zunächst nicht mehr als »Aussehen«, »Anblick« oder auch »Form«, so wird diese Charakteristik des Seienden bei Platon zum Ausdruck für dessen eigentliches Sein, das es zu erkennen gilt, weil das im Handeln angestrebte Gute als ein wahrhaft Gutes gewusst werden muss. Demnach kann es wirkliches Wissen nur geben, wenn es neben dem veränderlichen Seienden, das durch die trügerischen Sinne wahrgenommen wird, auch unveränderliches Sein gibt, das allein durch vernünftiges Denken erfassbar ist. Eben dieses eigentlich, weil unveränderlich Seiende, und aus demselben Grund auch eigentlich Erkennbare, ist nach Platon die I. Alles andere gilt ihm dagegen nur insofern als Seiendes, als es an seiner I. teilhat bzw. sie abbildet, und kann entsprechend auch nur eingeschränkt erkannt werden. – Nach der einflussreichen Ideenkritik des Aristoteles ist die Annahme von selbständigen I.n nur eine unsinnige Verdopplung des Seienden, weil sowohl die unterstellte Teilhabe wie die Urbild-Abbild-Relation als bloße Metaphern im Grunde nichts erklären. Wie die Unterscheidung verschiedener akzidenteller Kategorien von der Kategorie der Substanz belegen soll, sei die I. recht verstanden nichts anderes als eine Eigenschaft, die bloß deshalb als ein Seiendes betrachtet werden könne, weil sie als etwas Allgemeines letztlich immer von einem einzelnen Ding ausgesagt werde.
Im MA. war die Auffassung der I., wie v.a. der Universalienstreit belegt, weitgehend durch die Spannung zwischen Platon und Aristoteles bestimmt. Richtungsweisend wurde allerdings, dass die I.n, vermittelt durch den Neuplatonismus, bereits bei Augustinus als Urbilder der Dinge gedacht werden, die in der Vernunft selbst enthalten sind. Denn daraus konnte sich im spätma. Nominalismus ein für die Neuzeit weithin prägendes Repräsentationsmodell der I. entwickeln, nach dem sie eine bewusstseinsimmanente Vorstellung sein soll. – So geht etwa Descartes davon aus, dass I.n Gedanken seien, die gleichsam als Bilder der äußeren Dinge aufgefasst werden müssten. Dabei unterscheidet er nach dem Grad der Deutlichkeit dunkle I.n, klare, aber verworrene I.n und distinkte I.n, die als solche immer auch klar sein sollen, und nach ihrem Ursprung erworbene, selbst gebildete und angeborene I.n. Zwar ist besonders seine Annahme angeborener I.n bereits von Locke vehement kritisiert worden. Dies gilt aber nicht für das zugrundeliegende Repräsentationsmodell, das für den Empirismus vielmehr ebenso bestimmend blieb wie für den Rationalismus.
Eine deutliche Verschiebung zeigt sich erst bei Kant, der objektive Erkenntnis nur für möglich hält, wenn aus der Mannigfaltigkeit von Sinnesdaten durch Anschauungsformen und Verstandeskategorien Erfahrungsgegenstände allererst konstituiert werden. Im Ausgang davon versteht er unter I.n Vernunftbegriffe, denen für die Erkenntnis eine notwendige, aber gleichwohl nur regulative Funktion zukommt, sofern sie auf das Ganze der Erfahrung abzielen, das in einer Anschauung niemals gegeben sein kann. Daraus folgt, dass ihre Wirklichkeit durch theoretische Vernunft nicht einzusehen ist. Als wirklich greifbar sind sie nach Kant deshalb allein durch die Postulate der praktischen Vernunft. Werde diese Grenze missachtet, so produzierten die I.n einen dialektischen Schein, der für die Widersprüche der bisherigen Metaphysik verantwortlich sei. Daneben spricht Kant auch von ästhetischen I.n der Einbildungskraft, deren Ausdruck Schönheit sei. – Auf der Grundlage der kantischen Transzendentalphilosophie nähert sich der Deutsche Idealismus noch mehr der antiken Auffassung der I., weil die Unterstellung von Dingen an sich, über die nach Kant nichts zu wissen ist, obwohl sie der Erkenntnis ihr unabdingbares Anschauungsmaterial zu liefern haben, für inkonsequent gehalten wird. So gilt etwa Hegel die I. als sich selbst begreifender Begriff, dessen dialektische Entwicklung er als Grundstruktur alles Seins darzustellen versucht.
Während im Neukantianismus die I. noch einmal als Erkenntnisregulativ für wissenschaftlichen Fortschritt zur Geltung gebracht wird und von Husserl gegen den Psychologismus des 19. Jh. als ein allgemeiner Gegenstand verteidigt wird, der in den intentionalen Akten des Bewusstseins immer mitgemeint sein muss, wenn etwas individuell Reales überhaupt intendierbar sein soll, dient sie im metaphysikkritisch geprägten 20. Jh. weitgehend nur noch als prominentester Titel für das Metaphysische, das man überwunden zu haben glaubt.
Literatur:
- Aristoteles: Metaphysik, A 9, Z 13–16, M 4–5
- E. Cassirer: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. Berlin 1906
- R. Descartes: Meditationen. Hamburg 1977. Bes. Meditat. 3
- Ders.: Principia philosophiae. Hamburg 1965. 1. Teil
- G. W. F. Hegel: Wissenschaft der Logik (Ges. Werke. Bd. 12). 3. Abschnitt
- E. Husserl: Ideen I. Hua III. Den Haag 1950 ff. I, 1
- I. Kant: Kritik der reinen Vernunft. (Transzendentale Dialektik)
- J. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. Hamburg 1981. 2. Buch
- P. Natorp: Platons Ideenlehre. Leipzig 1903
- E. Panofsky: Idea. Hamburg 1924
- E. Tugendhat: TI KATA TINOS. Freiburg 1958
- W. Wieland: Platon und die Formen des Wissens. Göttingen 1982.
WAM
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