Metzler Lexikon Philosophie: Langue/Parole
Die Unterscheidung zwischen L. und P. geht auf den Genfer Sprachwissenschaftler F. de Saussure zurück und begründet letztlich die moderne Sprachwissenschaft und Linguistik. Veröffentlicht wird sie erstmals in dem postum 1916 erschienen Buch Cours de linguistique générale, das Saussures Vorlesungen, die er zwischen 1906 und 1911 über allgemeine Sprachwissenschaft hielt, zusammenfasst. Die zentrale Frage, um die es Saussure geht, lautet: Was ist der Gegenstand einer autonomen Sprachwissenschaft? Die menschliche Rede (langage) ist so vielförmig und ungleichartig, dass sie keinen einheitlichen Gegenstand abgibt. Zu dieser Uneinheitlichkeit kommt es laut Saussure, weil in der langage nicht unterschieden wird zwischen der Sprache (langue) und dem Sprechen (parole). Die L. ist der soziale Teil der langage und damit unabhängig vom Willen und der Intelligenz eines sprechenden Individuums. Sie bildet gleichsam das Repertoire aller Wortbilder und Verknüpfungsregeln, das vollständig nur in der Masse der Individuen einer Sprachgemeinschaft existiert. Ein Individuum kann die L. weder schaffen noch sie umgestalten. Sie ist ein soziales Produkt. Die L. bildet ein System von Zeichen, deren Werte negativ, differentiell durch die umliegenden Zeichen bestimmt sind. Sie ist dort zu finden wo sich im Gehirn Vorstellung (signifié, Signifikat) und Lautbild (signifiant, Signifikant) assoziieren. Diese Verknüpfung ist psychologisch und unabhängig von der lautlichen Realisierung, sie schafft keine Substanz, sondern eine Form. Ein Individuum, das seine Sprechfähigkeit verloren hat, ist trotzdem noch im Besitz der L., solange es das Gehörte versteht. Im Gegensatz zur L. bildet die P. den individuellen Teil der langage. Sie ist der vom Willen des Individuums abhängige Sprachvollzug einschließlich der Lautgebung. L. und P. bedingen sich gegenseitig, das Sprechen ist nur mittels Sprache möglich und umgekehrt. Jede Veränderung der Sprache erfolgt durch das Sprechen. Entsprechend der Unterscheidung zwischen L. und P. nennt Saussure zwei Arten, die menschliche Rede zu untersuchen. Die eine hat die L. als Gegenstand. Sie ist die autonome Sprachwissenschaft schlechthin, denn nur sie kommt ohne Hilfswissenschaft aus. Erst in zweiter Linie gibt es auch eine Wissenschaft des Sprechens, die, weil sie die Lautgebung mitbehandeln muss, die Hilfswissenschaft der Physiologie braucht. Die L. selbst kann nach Saussure auf zwei Weisen thematisiert werden, entweder synchronisch oder diachronisch (Diachronie/Synchronie). – In modifizierter Form erscheint die Differenzierung zwischen L. und P. bei L. Hjelmslev als Dichotomie von Sprachbau (schéma) und Sprachgebrauch (usage), bei N. Chomsky als Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz und in der Kommunikationstheorie als Begriffspaar Kode/Mitteilung. In der allgemeinen Form Struktur/Ereignis wurde sie erfolgreich von C. Lévi-Strauss und R. Barthes auch auf außersprachliche Systeme angewandt.
Literatur:
- R. Barthes: Elemente der Semiologie. Frankfurt 1983
- F. de Saussure: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Berlin 21967.
TF
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