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Metzler Lexikon Philosophie: Naturethik

thematisiert den moralischen Status alles Natürlichen, vor allem des organischen Teils der Natur (Bioethik). N. im engeren Sinn befasst sich mit dem moralischen Status der außermenschlichen Natur. In Bezug auf ihren empfindungsfähigen Teil hat sich die Tierethik als eigenständige Disziplin herausgebildet. Die Umwelt- bzw. ökologische Ethik thematisiert den moralischen Status der belebten und unbelebten Natur (Tiere, Pflanzen, Ökosysteme, Landschaften, Materie) unter der Perspektive ihrer Umwelthaftigkeit (Ökologie) für den Menschen. Die der N. zugrundeliegende Frage lautet: Welche Verantwortungspflichten hat der Mensch gegenüber der außermenschlichen Natur und wie lassen sich diese begründen? Die Antwortversuche zu dieser Frage werden gewöhnlich in zwei Grundorientierungen unterteilt, den Anthropozentrismus und den Physiozentrismus.

Der Physiozentrismus geht auf Aristoteles zurück, nach dem der Natur aufgrund ihrer inneren Zielgerichtetheit (Teleologie) ein eigenständiger, von menschlichen Interessen unabhängiger, Wert zukommt. Die späteren religiösen, insbesondere christlichen Konzepte gründen die Werthaftigkeit der Natur auf ihre Schöpfung durch Gott. Analog zur Begründungsfigur des klassischen Naturrechts folgern die wertethischen Ansätze aus der unterstellten Werthaftigkeit der Natur – formallogisch durchaus problematisch (empiristischer, naturalistischer Fehlschluss; Zirkelschluss) –, dass der Mensch Pflichten gegenüber der Natur um ihrer selbst willen habe. Mit dem Aufkommen des neuzeitlichen mechanistischen Naturverständnisses (Natur als wertneutraler Gegenstand der Naturwissenschaft) sind physiozentrische Auffassungen in den Hintergrund getreten. Die Erfahrung tiefgreifender Naturzerstörungen, als Wirkungen und Nebenwirkungen des technologischen Fortschritts (ökologische Krise), hat in den letzten Jahrzehnten jedoch zu einer Renaissance der physiozentrischen Naturethik geführt – freilich ohne dass die Begründungsprobleme damit gelöst worden wären. Gegenwärtig werden drei Versionen des Physiozentrismus vertreten: der Pathozentrismus (insbesondere utilitaristische und konsequentialistische Ansätze: z.B.D. Birnbacher, P. Singer), der allen empfindungsfähigen Lebewesen einen moralischen Wert zuspricht, der Biozentrismus (etwa A. Schweitzers Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben), nach dem die Gesamtheit der Lebewesen als moralisch wertvoll zu betrachten ist, und der radikale Physiozentrismus (u. a. H. Jonas, K. M. Meyer-Abich, A. Naess), nach dem alles Natürliche, entweder jedes Naturelement je für sich oder die Natur im ganzen, einen moralischen Wert besitzt.

Die Ablösung des klassischen Naturrechts durch das neuzeitliche Vernunftrecht (Kant) scheint hingegen eine anthropozentrische N. zu bedingen. Wenn nur Menschen als vernunftfähige Wesen moralische Rechte und Pflichten haben, dann besteht eine Verantwortungspflicht gegenüber der außermenschlichen Natur vermeintlich allein unter der Bedingung, dass Einwirkungen auf die Natur berechtigte Interessen von Menschen tangieren. Kant führt lediglich ein pädagogisches Argument für den rücksichtsvollen Umgang mit der Natur an: Indem dieser den moralischen Charakter bzw. die moralische Empfindsamkeit der Menschen stärke, trage er auch zu einem rücksichtsvollen Umgang der Menschen untereinander bei. Ästhetische Argumente (z.B. M. Seel) verweisen darauf, dass ästhetische Naturerfahrung und eine durch die Natur angeregte ästhetische Kontemplation Voraussetzungen für ein gelungenes menschliches Leben sind. Daher müsse die Natur in ihrer Unversehrtheit, Schönheit und Erhabenheit bewahrt werden. Das gewichtigste anthropozentrische Argument macht geltend, dass ein intakter Naturhaushalt notwendige Bedingung für die Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse etwa nach Nahrung und Gesundheit ist. Noch grundlegender setzt die Ethik der Zukunftsverantwortung (H. Jonas, K.-O. Apel) an. Sie begründet die Pflicht zum Naturschutz mit der Pflicht zur Erhaltung der Menschheit und der Pflicht, den zukünftigen Generationen die Bedingungen für ein menschenwürdiges und verantwortliches Leben zu bewahren. Insgesamt steht der Anthropozentrismus vor dem Problem, Verantwortungspflichten gegenüber der Natur zu begründen, die nicht bloß um der Menschen willen, sondern um der Natur willen zu befolgen sind. Versuche, dieses Problem zu lösen, stützen sich auf die Unterscheidung zwischen einem ontologischen Anthropozentrismus, der Menschen als die alleinigen Träger moralischer Rechte auszeichnet, und einem logischen Anthropozentrismus, der die menschliche Argumentationsgemeinschaft als Geltungsinstanz für die Anerkennungswürdigkeit von Rechten der Natur begreift. Auf diese Weise soll ein ethischer Gradualismus begründet werden, der weder in einen ethischen Speziesismus mündet noch die Gattungsunterschiede einebnet.

Literatur:

  • D. Birnbacher (Hg.): Ökologie und Ethik. Stuttgart 1980
  • A. Brennan: Environmental Ethics. In: E. Craig (Hg.): Routledge Encyclopedia of Philosophy. Vol. 3. London/New York 1998. S. 333–336
  • H. Gronke: Die »ökologische Krise« und die Verantwortung gegenüber der Natur. In: D. Böhler u. a. (Hg.): Zukunftsverantwortung in der Marktwirtschaft. Berlin 1999
  • A. Krebs (Hg.): Naturethik. Grundtexte der gegenwärtigen tier- und ökoethischen Diskussion. Frankfurt 1997
  • Dies.: Naturethik im Überblick. A.a.O., S. 337–379
  • G. Skirbekk: Ethischer Gradualismus: jenseits von Anthropozentrismus und Biozentrismus. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 43 (1995). S. 419–434.

HGR/JPB

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
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HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
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JA Johann S. Ach, Münster
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JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
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JSC Jörg Schmidt, München
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KE Klaus Eck, Würzburg
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MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
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PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
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PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
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REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
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RK Reinhard Kottmann, Münster
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RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
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RS Regina Srowig, Würzburg
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UT Udo Tietz, Berlin
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WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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