Metzler Lexikon Philosophie: Selbst
Das »S.« gibt es im Sinne eines Gegenstands nicht, und die Substantivierung ist problembehaftet (Tugendhat). Als reflexives Indikatorwort zeigt »selbst« eine Operation an, die auf Eigentlichkeit abzielt. »S.« begründet die engstmögliche Zuschreibung und Sicherung welcher Entität auch immer und verweist so auf Identität. Aus der relativ unproblematischen, intentionalen Verweisungsstruktur entspringt dennoch die Grundproblematik des S., insofern, erstens, auf der Objektebene die Identität als Differenz: »a« qua »a«, auftritt (Heidegger), dieses Selbstverhältnis aber, zweitens, in Abhängigkeit von einem weltoffenen Subjekt steht. Damit gewinnt »S.« erst seine spezifische, wenngleich problematische Kennzeichnung durch Bewusstsein und Ichbezug. Die Formel: »a« versteht »a« qua »a«, kann als Strukturbeschreibung von Kierkegaards Bestimmung des S. als »Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält« (Die Krankheit zum Tode) gelesen werden, aber auch in Heideggers, gegen die Auffassung des S. als Substanz gerichteter Bestimmung des Daseins als »Selbständigkeit« des existierenden S. in der Sorge um sein Sein (Sein und Zeit) wiedergefunden werden. Sucht man die Substanzialisierung der Subjektstelle (Descartes) wie die Auflösung in Assoziationsbündel von Wahrnehmungen (Hume) zu vermeiden, so wäre »S.« am ehesten als Prozess der konstituierenden Vergewisserung von Ursprung als eigentlichem Ziel zu verstehen. Die Fragen nach »S.« und »Ich« überkreuzen sich hier. W. James unterschied das S. als Objekt, »me«, den im weitesten Sinn (material, sozial und geistig) empirischen Gegenstand des Selbstverständnisses, von dem S. als Subjekt, »ego«, das die personale Identität im Wissen des Objekt-Selbst leistet. Neben Konzeptionen in denen »S.« mit »Ich« strukturanalog gesehen wird, nützt z.B. Nietzsche, der »S.« als Arche und Telos in der Formel »werde der du bist« fasst, die Gegenstellung der Begriffe konzeptionell. Das positiv konnotierte S. versteht er aus dem Gegensatz zu dem negativ konnotierten Ich des Bewusstseins als reine Antriebskraft vor jeder Gegenstandsbestimmung. Heideggers Denkfigur der Eigentlichkeit und Entschlossenheit steht analog zu Nietzsche im Gegensatz zum Ich-sagen und dem entsprechenden, uneigentlichen »Man-Selbst« einer öffentlichen Rolle. Die »Selbigkeit des eigentlich existierenden Selbst« ist dabei für Heidegger durch eine Kluft getrennt von der »Identität des in der Erlebnismannigfaltigkeit sich durchhaltenden Ich«. Ricœur artikuliert mit seiner analytischen Aufspaltung der Identität in »Idem-Identität« und »Ipse-Identität« eine Unterscheidung, die es ermöglicht, das S. als vermittelte Unmittelbarkeit über den/das Andere zu bestimmen, und es hermeneutisch jenseits der Dichotomien zu situieren, wodurch dem Anliegen, S. als ethische Referenzstelle zu gewinnen, Rechnung getragen wird. Selbstbewusstsein, Selbstsein, Identität, personale.
Literatur:
- W. James: Principles of Psychology (1890)
- B. Kienzle/H. Pape (Hg.): Dimensionen des Selbst. Frankfurt 1991
- Ch. Taylor: Quellen des Selbst. Frankfurt 1996
- E. Tugendhat: Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung. Frankfurt 41989
- P. Ricœur: Soimeme comme un autre. Paris 1991
- Ders. Das Selbst als ein Anderer. München 1996.
JR
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