Metzler Lexikon Philosophie: Semiotik
Die S. beschäftigt sich mit den Gegenständen, die an einem Zeichenprozess beteiligt sind. Der Terminus wird seit der griech. Antike für die »Lehre von den Zeichen« verwendet. Wenn man die Erörterungen über die Natur der Zeichen, über die Beziehung von Bezeichnendem und Bezeichnetem, über die Rollen von Sprecher und Hörer, über die Kombinierbarkeit der Wörter u. a.m., wie sie auch schon in der Antike angestellt wurden, in Rechnung stellt, dann könnte man die Überlegungen der Vorsokratiker, der Sophisten und Platons bereits als semiotische Untersuchungen bezeichnen. Die differenzierten sprachphilosophischen Untersuchungen der Scholastik (Significado, Supposition) sind ebenso dazu zu zählen wie die Ausführungen zum Verhältnis von Wort-Ideen-Gegenständen von Locke, Leibniz, Berkeley, Hume (Sprachphilosophie, Erkenntnistheorie).
Die moderne S. wird durch die Abhandlung von Peirce »On a New List of Categories« (1867) begründet. In der weiteren Entwicklung seiner Überlegungen beantwortet er die Frage, was ein Zeichen sei, mit der These, dass sich das Zeichen logisch als eine dreistellige Relation darstellt. Jedes Zeichen weist diese Aspekte auf: (1) das Zeichen selbst, (2) das Zeichen in Beziehung zu seinem Objekt, (3) das Zeichen in Beziehung zu seinem Interpretanten. Die Besonderheit der Peirce’schen S. stellt der Interpretant dar. Er ist das, was ein Zeichen in einem Interpreten erzeugt, indem es ihn zu einem Gefühl, einer Handlung oder einem Zeichen determiniert. Für den Zeichenprozess ist die weitere Differenzierung des Interpretanten von besonderer Bedeutung. Peirce benennt einen unmittelbaren, einen dynamischen und einen finalen Interpretanten: Der unmittelbare beruht auf dem Umstand, dass jedes Zeichen seine eigene besondere Interpretierbarkeit besitzt – er zeigt sich im richtigen Verstehen des Zeichens, d.h. in der Bedeutung; der dynamische Interpretant ist ein aktuelles singuläres Ereignis, d.h. das, was in jedem Interpretationsakt verschieden bzw. auf spezifische Weise erfahren wird – er zeigt sich in der tatsächlichen Wirkung, d.h. der Reaktion, die das Zeichen hervorruft. Der finale Interpretant ist das interpretative Ergebnis, zu dem jeder Interpret gelangen müsste, wenn er das Zeichen nur hinreichend betrachtet – er zeigt sich in der Wirkung, die das Zeichen in jedem Bewusstsein hervorrufen würde, wenn die Umstände die volle Entfaltung des Zeichens zuließen. Das Zeichen kann nur dann als Zeichen fungieren, wenn es von dem dritten Element, dem Interpretanten, vermittelt wird. Dieses dritte Element macht das Zeichen zu einem Phänomen der Konvention, der Auslegung, der Gesellschaftlichkeit. Peirce nimmt noch weitere Differenzierungen vor: Der Zeichenaspekt gliedert sich in das Qualizeichen (d.h. die sinnliche Qualität, seine punktuelle wahrnehmbare Erscheinung), das Sinzeichen (d.h. die individuelle singuläre Gegebenheit eines Zeichens wie bspw. ein Straßenschild) und das Legizeichen (d.h. ein genereller Typus eines Zeichens wie bspw. das Wort »Baum«). Den Objektbezug unterscheidet er nach dem Ikon, dem Index und dem Symbol. Ein Ikon ist ein Zeichen, das mit seinem wirklichen oder fiktiven Objekt eine Ähnlichkeit besitzt (bspw. ein Bild, ein Schema oder ein Diagramm). Das Index-Zeichen steht in einer realen Beziehung (als Hinweis) zu seinem Objekt (bspw. ein Wegweiser oder ein Wetterhahn oder das Symptom einer Krankheit). Das Symbol wird objekthaft interpretiert (bspw. eine Fahne). Die Beziehung zum Interpretanten unterteilt er in: Rhema (bzw. den Term) – das Zeichen kann weder wahr noch falsch sein (bspw. ein einzelnes Wort), Dicent (bzw. Proposition) – ein Zeichen, das als Aussage übersetzbar ist, und Argument – ein Zeichen, das als vernunftnotwendig erkennbar ist. Die dreistellige Relation bringt es mit sich, dass ein Zeichen immer nur in Verbindung mit anderen Zeichen existiert. Jedes Zeichen muss interpretiert werden und jede Interpretation setzt ihrerseits wieder Zeichen voraus. Daraus resultiert die prinzipielle Unabgeschlossenheit des Zeichenprozesses und die Unabschließbarkeit aufgrund des Vorbehalts der Täuschungsmöglichkeit (Fallibilismusvorbehalt). – Morris kommt auf der Grundlage der dreistelligen Zeichenrelation zwischen Zeichenträger, Designat und Interpret zu der Unterscheidung der semantischen, der syntaktischen und der pragmatischen Dimension des Zeichenprozesses: Die semantische Dimension zeigt sich in der Beziehung zwischen den Zeichen und den bezeichneten Gegenständen, die syntaktische Dimension in der Beziehung der Zeichen zu anderen Zeichen, die pragmatische in der Beziehung zwischen Zeichen und Interpret. Morris führt für die Bezeichnung der speziellen Relationen eigene Termini ein: (a) für die Beziehung Zeichen-Zeichen den Terminus »impliziert«, d.h. syntaktische Regeln legen die zulässige Zeichenkombination von Zeichenklassen (Individuen- und Prädikatenkonstanten, Individuen-und Prädikatenvariablen, Operatoren usw.) und zulässige Objektzusammenstellung als selbständige Kombination (von Sätzen) fest (Formationsregel, Transformationsregel); (b) für die Beziehung Zeichen-Objekt die Termini »designiert« und »denotiert«, d.h. die semantischen Regeln geben die Bedingungen an, unter denen ein Zeichen auf einen Gegenstand oder einen Sachverhalt anwendbar ist; (c) für die Beziehung Zeichen-Interpret den Terminus »ist Ausdruck von«, d.h. die semantische Dimension wird mit dem Verhalten des Interpreten, von den bezeichneten Dingen Notiz zu nehmen, in Beziehung gesetzt und die syntaktischen Regeln mit den Konventionen des Zeichengebrauchs durch Interpreten und den tatsächlich verwendeten Zeichenkombinationen.
Literatur:
- A. Eschbach: Pragmatische Semiotik und Handlungstheorie. In: Ch. W. Morris: Pragmatische Semiotik und Handlungstheorie. Frankfurt 1977. S. 11 ff
- Ders.: Grundlagen der Zeichentheorie. München 1972. S. 21 ff
- W. Nöth: Handbuch der Semiotik. Stuttgart 1985
- K. Oehler: Idee und Grundriß der Peirceschen Semiotik. In: Zeitschrift für Semiotik 1 (1979). S. 9–22
- Ders.: Charles Sanders Peirce. München 1993
- Ch. S. Peirce: Prolegomena zu einer Apologie des Pragmatizismus. In: Ch. S. Peirce: Semiotische Schriften. Bd. 3. Frankfurt 1993. S. 75 ff
- Ders.: Die Grundbegriffe der Semiotik und formalen Logik. In: Semiotische Schriften Bd. 1. Frankfurt 1986. S. 336 ff.
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