Metzler Lexikon Philosophie: Spieltheorie
mathematische Theorie, deren Gegenstand die Analyse von strategischen Entscheidungssituationen von Personen (Spielern) ist, wobei das Ergebnis der Entscheidung eines Spielers für eine mögliche Handlung von der Entscheidung seiner Mitspieler nicht unabhängig ist. Die S. findet in den Sozialwissenschaften Anwendung und wird neben der Entscheidungstheorie und deontischen Logik auch zur formalen Analyse in der praktischen Philosophie eingesetzt. Ein Spiel ist vollständig beschrieben durch (a) die Menge der Spieler, (b) den Strategieraum, d.h. die Menge der möglichen Handlungen (H={h1…hn}) und bei wiederholten Spielen ggf. ihrer Kombinationen, (c) die Auszahlungsfunktion jedes Spielers, die jeder möglichen Strategie eine Auszahlung (Nutzen) zuordnet und (d) die Spielregeln des Spieles oder der Rationalitätsannahmen, die für das Verhalten aller oder einzelner Spieler getroffen werden. In der Regel wird unterstellt, dass (a)-(d) gemeinsames Wissen aller Spieler ist. Es lassen sich also mit der S. Interaktionen zwischen mindestens zwei Spielern rekonstruieren. Man unterscheidet dabei kooperative und nichtkooperative Spiele. In kooperativen Spielen können ex ante gemeinsame verbindliche Regeln festgelegt werden. Diese Annahme wird in der häufiger verwendeten Form des nicht-kooperativen Spieles fallengelassen. Im Gegensatz zur Entscheidungstheorie entstehen in der nicht-kooperativen S. keine Probleme der Vergleichbarkeit der Auszahlungen verschiedener Spieler. Das einfachste Spiel ist das 2-Personen Spiel, das auch auf nicht-natürliche Personen wie Staaten oder Unternehmen übertragen wird. N-Personen Spiele erlauben zusätzlich die Rekonstruktion von Entscheidungen in Koalitionen. Jedes Spiel lässt sich entweder in einer strategischen Normalform (Matrix) oder in einer extensiven Form (Folge von Entscheidungsknoten) abbilden. Beide Formen erlauben durch entsprechende Kennzeichnung die Analyse von gleichzeitigen Wahlhandlungen, also solchen die in Unkenntnis der Entscheidung des Mitspielers getroffen werden (imperfekte Information), oder von Entscheidungsfolgen. Ein bekanntes Beispiel für ein einfaches 2-Personen Spiel ist das Prisoner’s Dilemma: Zwei eines schweren Verbrechens Verdächtige werden in Einzelhaft genommen. Der Staatsanwalt weist jeden der Gefangenen in der Vernehmung auf das mögliche Strafmaß der beiden alternativen Handlungen »Nicht-Gestehen« (h1) oder »Gestehen« (h2) hin: Gesteht keiner von beiden werden beide wegen minderschwerer Delikte zu drei Jahren Haft verurteilt, gesteht einer und sagt als Kronzeuge gegen den anderen aus, wird der Geständige freigelassen, der andere wird zu sieben Jahren Haft verurteilt, gestehen beide werden beide zu je fünf Jahren Haft verurteilt. Es lässt sich spieltheoretisch zeigen, dass die Gefangenen, verhalten sie sich rational, beide gestehen werden, also eine pareto-inferiore Strategie wählen – deshalb »Prisoner’s Dilemma«. Dieses Spiel kann formal wie folgt dargestellt werden:
Bei den Auszahlungen gibt die erste Zahl den Wert für Spieler 1, die zweite den für Spieler 2 wieder; eine niedrige Zahl ist aufgrund des besonderen Spieldesigns besser als eine höhere Zahl (also 0>3>5>7). In der extensiven Form kennzeichnet die gestrichelte Linie zwischen den beiden Entscheidungspunkten von Spieler 2, dass die beiden Situationen zu einem Entscheidungsset gehören; Spieler 2 also bei gleichzeitiger Wahl nicht weiß, welche Handlung Spieler 1 wählt. Die Spieler wählen (hier) diejenige Handlung, die gegeben die Handlung des je anderen die niedrigste Auszahlung ergibt (dominante Strategie). Im obigen Spiel ist h2 für beide Spieler die dominante Strategie. Das Ergebnis h2/h2 bezeichnet man als (Nash)Gleichgewicht. Jedes eindeutig definierte Spiel hat mindestens ein Nash-Gleichgewicht. Die gegeben die Spielregeln erreichbare Gleichgewichtslösung erweist sich in diesem Spiel im Ergebnis für beide Spieler als suboptimal. In anderen Spielen gibt es mehrere Gleichgewichtslösungen, so dass nicht eindeutig bestimmt werden kann, welche Entscheidung die Spieler treffen (sollen). Diese kontraintuitiven Resultate (Dilemmata) haben zu einer Vielzahl von Variationen in der S. geführt. Zum einen versucht man die Entscheidungsregel so anzupassen, dass entweder mehr Lösungen zulässig sind oder aus einer Reihe zulässiger Lösungen eindeutig eine ausgezeichnet werden kann. Zum anderen betrachtet man wiederholte Spiele (sog. iterierte Spiele), die den Spielern erlauben, durch Drohung mit zukünftigem Verhalten die Wahl des Mitspielers zu beeinflussen oder auf der Basis vergangener Spiele weitergehende Annahmen über Verhaltensdispositionen der Mitspieler zu machen, die von der Wahl der dominanten Strategie abweichen (Lernen). Neuere Ansätze verknüpfen die S. mit der Verhandlungstheorie (theory of bargaining) oder erweitern die zulässigen Annahmen über das Verhalten der Spieler, so dass auch moralische Normen und Konventionen abbildbar sind.
Literatur:
- R.B. Braithwaite: Theory of Games as a Tool for the Moral Philosopher. Cambridge/Mass. 1955
- M. Holler/G. Illing: Einführung in die Spieltheorie. Berlin/New York 1991
- D. M. Kreps: Game Theory and Economic Modelling. Oxford 1990
- R. Selten (Hg.): Game Equilibrium Modells II. Berlin/New York 1991.
KRL
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