Metzler Lexikon Philosophie: Tatsache
Der Ausdruck »T.« wird umgangssprachlich häufig mit dem Ausdruck »reale Existenz« gleichbedeutend gebraucht. Das erklärt sich aus dem Verständnis, dass eine Tatsache das sei, was wirklich existiert. Semantisch korrekt wäre dagegen die unterscheidende Formulierung: Ein Ding existiert, eine T. ist der Fall, nicht aber: sie existiert. Die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Ding und Tatsache ergibt sich daraus, dass zu jedem wahren Urteil eine bestimmte Tatsache gehört. Da aber auch falsche Urteile Objekte haben, ist eine Differenzierung zwischen zwei Arten von Urteilsobjekten notwendig.
Entsprechend der Korrespondenztheorie der Wahrheit ist der Terminus T. eine Bezeichnung für das, was einer Aussage (wenn sie wahr ist) in einer nichtsprachlichen Wirklichkeit entspricht (wobei diese Annahme einer nicht-sprachlichen Wirklichkeit noch näher zu bestimmen wäre). Nach Russells Erklärung sind mit T.n Dinge gemeint, die eine Aussage wahr (oder falsch) machen. Bspw. Für die Aussage »es regnet« ist der Zustand des Wetters, der diese Aussage wahr macht, dasjenige was man T. nennt. In Wittgensteins Erklärung stellt die T. einen bestehenden Sachverhalt dar: Die Welt ist die Gesamtheit der T.n, d.h. die Gesamtheit aller und nur der bestehenden T.n. Während die T. stets etwas betrifft, was der Fall ist, stellt ein Sachverhalt etwas dar, was bloß möglicherweise der Fall ist. Was ein beliebiger, nicht rein logisch gültiger Satz behauptet, ist somit stets ein Sachverhalt. Ist der Satz wahr, dann besteht dieser Sachverhalt, der dann T. genannt wird. – Die Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie thematisieren den Begriff der T. hinsichtlich des spezifischen Phänomenbereichs der unterschiedlichen Wissenschaften. Nach dem naturwissenschaftlich-empiristischen Verständnis beruhen Tatsachenaussagen auf der empirisch-deskriptiven Methode, die sich auf das Feststellen von empirisch wahrnehmbaren Daten beschränken. Ein erweiterter Begriff von T. bezieht sich auf soziale Institutionen (wie bspw. eine Taufe, ein Vertrag, eine Eheschließung). Aussagen über solche T.n lassen sich nicht auf deskriptive Aussagen über physische oder psychische Eigenschaften bestimmter Sachverhalte zurückführen. Searle schlägt die Unterscheidung zwischen natürlichen und institutionellen T.n vor. Institutionelle T.n setzen ein System konstitutiver Regeln voraus, die eine bestimmte Tätigkeit (bspw. das Ja-Wort und das Ringe-Tauschen) in einem bestimmten Kontext (Standesamt) als eine bestimmte Handlung (Eheschließung) erklären.
Literatur:
- R.M. Chisholm: Person and Object. London 1976
- G. Patzig: Satz und Tatsache. In: Sprache und Logik. Göttingen 21981. S. 39 ff
- B. Russell: An Inquiry into Meaning and Truth. London 41951. S. 298 ff
- J.R. Searle: Sprechakte. Frankfurt 1971. S. 78 ff
- E. Stenius: Wittgensteins Traktat. Frankfurt 1969. Kap. VI u. VII
- P. Winch: Die Idee der Sozialwissenschaften und ihr Verhältnis zur Philosophie. Frankfurt 1974
- L. Wittgenstein: Tractatus logicophilosophicus (Werkausgabe Bd. 1). Frankfurt 1984. Abschnitt 2.1141, 3.14.
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