Metzler Lexikon Philosophie: Technikphilosophie
Gesamtheit der philosophischen Theorien zur Modellierung und Deutung technischer Artefakte, ihres Entstehungs- und Verwendungszusammenhangs. – Die Erfindung und Herstellung von Technik(en) und deren Bedeutung für den Menschen wurde in verschiedensten philosophischen Zusammenhängen thematisiert, so insbesondere in der Anthropologie und der Philosophie der Arbeit (Entfremdung), als philosophische Disziplin hat sich die T. aber neuerdings etablieren können. Erste explizit technikphilosophische Arbeiten betrachten Technik vorwiegend in optimistischem Fortschrittsglauben als jeweils individuelle Erfindung einzelner, die Handlungsmöglichkeiten wertneutral erweiternder Mittel. Erst mit Zunahme der technischen Überformung aller Lebensbereiche und nicht beabsichtigter, unvorhergesehener negativer Technikfolgen öffnet sich der Blick für Technik als zusammenhängendes Gesamtsystem, das tief mit individuellen und gesellschaftlichen Handlungs- und Bedeutungszusammenhängen verflochten ist. Die vermehrt fortschrittsskeptische, v.a. soziologisch orientierte T. der 1920er Jahre sieht Technik als konstitutives Element des modernen Menschen und kritisiert ihre zunehmend sichtbare eindimensional-rationale Ausrichtung auf materielle Zweckgerichtetheit, auf Normierung und Effektivität als Bedrohung von Kultur und menschlicher Persönlichkeit. In zugespitzter Sicht der 60er Jahre gewinnt die aus ihren Entstehungszusammenhängen gelöste, Handlungswissen vergegenständlichende Technik als komplexes System eine Eigendynamik, der nicht nur individuelles Handeln und politische Entscheidungen, sondern gesellschaftliche Entwicklung und menschliche Selbstbestimmung überhaupt unterliegen. Diese als ideologisch und pauschalisierend kritisierte Deutung wird in den 70er Jahren vermehrt abgelöst von eher praxisorientierten Analysen konkreter, durch einzelne Techniken und Technologien ermöglichte oder bedingte Veränderungen individueller Handlungsmuster, gesellschaftlicher Organisation, wirtschaftlicher und politischer Entscheidungswege. Die handlungsnormierenden Wirkungen von Technik, ihre kaum überschaubare Komplexität, die instrumentelle Verfügbarkeit fremder Fähigkeiten, die scheinbare Abkopplung der Einzelhandlung von ihren im technisch hochvernetzten System hervorgerufenen Folgen, die Technisierung von Information, Kommunikation und Wirklichkeitserfahrung, die zunehmende Abhängigkeit von bestehenden technischen Handlungsangeboten werden zu Schwerpunkten der T. Der Verlust der Handlungskompetenz im Umgang mit technischen Systemen, die sich in ihrer Komplexität einer subjektbestimmten Mittelwahl entziehen, und die Unvorhersehbarkeit zunehmend global vernetzter Folgen führen zu einer umfassenden Diskussion der Verantwortbarkeit und Steuerungsmöglichkeit technischen Handelns. Dies wird in der Technikethik einer normativen Diskussion zugänglich gemacht, die Technikgenese und -entwicklung v.a. im Spannungsfeld wirtschaftlicher, ökologischer und individuellen Interessen problematisiert. In handlungs- und erkenntnistheoretisch orientierter Sicht wird insbesondere die erkenntniserweiternde wie auch prägende Kraft der in Alltag und Wissenschaft überwiegend technikvermittelten Welterfahrung und deren anthropologische Dimension analysiert. In interdisziplinär geöffneten Debatten wird dies in pragmatisch-politische Konzepte zu Technikfolgenabschätzung, Technikbewertung, Wirtschaftsethik und ökologieorientierter Techniksteuerung überführt.
Literatur:
- J. Habermas: Technik und Wissenschaft als ˲Ideologie˱. Frankfurt 1969
- Fr. G. Jünger: Die Perfektion der Technik. Frankfurt 1946
- H. Lenk: Zur Sozialphilosophie der Technik. Frankfurt 1982
- Ders.: Zwischen Wissenschaft und Ethik. Frankfurt 1992
- G. Ropohl: Die unvollkommene Technik. Frankfurt 1985
- H. Schelsky: Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation. Köln/Opladen 1961.
EJ
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