Metzler Lexikon Philosophie: Teil/Ganzes
Es handelt sich hierbei um korrelative Begriffe, die nur wechselseitig zu definieren sind. Ihre Beziehung ist durch die Begriffe Teilung oder Zerlegung bzw. Zusammensetzung festgelegt. Im Allgemeinen kann der Begriff T. zweifach gedeutet werden: Von den extensiven T.en, den wirklich ablösbaren Fragmenten und Bestandstücken, sind die intensiven T.e oder Aspekte, Momente, die nur begrifflich abtrennbar sind, zu unterscheiden. Dementsprechend muss zwischen bloß summativen (Aggregaten) und einheitlich strukturierten G.en unterschieden werden.
Obwohl von diesem thematischen Komplex schon im vorsokratischen Denken Spuren zu finden sind, wird er erst bei Platon und insbesondere dann bei Aristoteles Gegenstand spezifischer Betrachtung. Aristoteles verwendet das T.-G.-Korrelat in allen seinen Schriften in verschiedensten Forschungszusammenhängen: auf logisch-definitorischer Ebene, um die gegenseitigen Beziehungen zwischen Genus und Spezies innerhalb der Definition festzulegen, auf physischem Gebiet, insbesondere bei der Behandlung des Kontinuumproblems, auf metaphysischem Gebiet, um den organischen Charakter des Seienden in seiner kategorialen (Substanz-Akzidenz-Beziehung) und hylemorphischen (Materie-Form-Zusammenhang) Struktur hervorzuheben. Es ist ein vorwiegend intensionaler, mit der Wesensfrage eng verbundener T.-G.-Begriff, der hierbei ausgearbeitet wird. – Durch die Vermittlung des Boethius knüpfte die ma. Scholastik bei der Wiederaufnahme des T.-G.- Problems weitgehend an Aristotelische Ansätze an. Von Abälard bis zur Spätscholastik wird es zum Zentralpunkt der ma. Logik und Metaphysik. Einen neuen Gesichtspunkt stellt die Unterscheidung von Abälard zwischen kollektivem und distributivem G.en dar. Ein kollektives (oder integrales) G. liegt vor, wenn das G. in seinem individuellen und konkreten Bestand betrachtet wird. Als solches ist es in integrale, quantitative oder substantielle, formelle und materielle Teile auflösbar, doch kann weder das G. von den T.en prädiziert werden noch diese von ihm. Das distributive (oder universelle) G. dagegen (in heutiger Diktion: die Klasse) ist von seinen Elementen prädizierbar. Während bei kollektiven G.en G. und T. gleichartig sind, ist eine Klasse von ihren Elementen wesentlich verschieden. – Im neuzeitlichen Denken rückt das metaphysische T.-G.-Problem durch fortschreitende Akzentuierung des erkenntnistheoretischen Interesses in den Hintergrund. Die Wiederaufnahme ist Leibniz zu verdanken, dessen Monadologie eng mit dem T.-G.-Problem zusammenhängt. Was die logisch-mathematische Behandlung angeht, ist Leibniz ebenfalls Ansatzpunkt der heutigen formallogischen Mereologie. – Die zeitgenössische Diskussion entwickelt sich im Rahmen einer Tradition, die direkt oder indirekt auf Brentano zurückgeht, der durch seine T.-G.-Lehre eine wissenschaftliche Psychologie und Metaphysik zu begründen suchte. Im Anschluss an Brentano entwickelte E. Husserl in der III. Logischen Untersuchung den ersten Entwurf einer formalen T.-G.-Lehre; diesen Ansatz führte Lesniewski in seiner »Mereologie« weiter. Die gegenwärtige Diskussion sieht in der formalontologischen Behandlung des T.-G.-Problems ein Verbindungsglied zwischen analytischer und phänomenologischer Tradition. Aber auch die Entwicklung der Gestalt- und Ganzheitspsychologie, die die alte atomistische und assoziationistische Psychologie überwunden hat, geht über Chr. von Ehrenfels auf Brentano zurück.
Literatur:
- D.P. Henry: Medieval Mereology. Amsterdam 1991
- P. M. Simons: Parts. A Study in Ontology. Oxford 1987
- B. Smith: Parts and Moments. München 1982
- Brentano Studien Bd. 4: Teil und Ganzes (1992/93).
MA
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