Objekt des Monats: Das zweite Schmuckkästchen am Südhimmel

Offene Sternhaufen sind Ansammlungen von bis zu einigen tausend Sternen, die aus derselben Molekülwolke entstanden sind. Sie bevölkern die Arme von Spiralgalaxien wie unserem Milchstraßensystem und stellen oft lohnende Beobachtungsobjekte dar. Das individuelle Aussehen eines offenen Sternhaufens in unserer Galaxis hängt vor allem von seinem Alter und seiner Entfernung zur Erde ab. Auch die im Haufen vorhandene Gesamtmasse spielt eine große Rolle. Meist liegt sie im Bereich von mehreren hundert bis zu einigen tausend Sonnenmassen.
Ältere offene Sternhaufen, die dem Sonnensystem nahe stehen, wirken am Himmel verstreut und haben keine sehr hellen Sterne mehr, weil die massereichen und leuchtkräftigen Haufenmitglieder ihren Brennstoff bereits verbraucht haben. Ein Beispiel dafür ist Praesepe (Messier 44) im Sternbild Krebs. Dagegen sind junge und ferne Sternhaufen noch sehr kompakt und verfügen weiterhin über ihre leuchtkräftigsten Sterne. So funkeln sie trotz der größeren Entfernung hell im Okular – sofern ihr Licht nicht vom interstellaren Staub absorbiert wird. Für eines der schönsten Exemplare machen wir dieses Mal einen Ausflug an den Südhimmel: in das Sternbild Schiffskiel (lateinisch: Carina).
Ein Haufen Edelsteine
Von allen Sternhaufen am Firmament ähnelt keiner dem bekannten »Schmuckkästchen« so stark wie NGC 3293, den Sie bei den Koordinaten 𝛼 = 10h 35,8m, 𝛿 = –58° 14′ finden können. Der australische Astronom Henry Chamberlain Russell (1836 – 1907) taufte ihn passend »Edelsteinhaufen« (englisch: gem cluster). Auf die ähnliche Gestalt der beiden begeisternden Sternhaufen weisen ebenso folgende Beinamen von NGC 3293 hin: »kleines Schmuckkästchen« und »das andere Schmuckkästchen«.
Ausgehend vom unübersehbaren Eta-Carinae-Nebel mit seinen eingebetteten Sternen finden Sie NGC 3293 nur gut zwei Grad weiter nordwestlich (siehe »Unweit von Eta Carinae«). Der extrem kompakte Sternhaufen wurde von Beobachtern des Südhimmels vor der Erfindung des Teleskops sicher als ein sternförmiges Objekt der 4. Größe angesehen. Erst Nicolas-Louis de Lacaille (1713 – 1762) hat ihn irgendwann in den Jahren 1751/1752 als Sternhaufen erkannt. Spätere Beschreibungen durch James Dunlop (1793 – 1848) und John Herschel (1792 – 1871) klingen nüchtern: »Ein schöner, heller, reicher, nicht sehr großer Haufen.« Ähnlich wirkt der Vermerk von Philibert Jacques Melotte (1880 – 1961): »Einige wenige helle Sterne bilden einen kleinen Haufen.« Keiner dieser Beobachter erwähnt den 7,2 mag hellen orangefarbenen Stern am südwestlichen Rand (CD–57 3346), und keine dieser historischen Schilderungen wird der Schönheit des Edelsteinhaufens gerecht.

Nachbarschaftliche Verbundenheit
NGC 3293 befindet sich mit einer Distanz von rund 8000 Lichtjahren in beachtlicher Entfernung und ist erst etwa 10 Millionen Jahre alt. Das ist kaum länger als die Lebensdauer der ursprünglichen Molekülwolke, die sich unter dem Strahlungsdruck der jungen, heißen Haufensterne zunehmend verflüchtigt. Zur Nachbarschaft von NGC 3293 gehören unter anderem der große Eta-Carinae-Nebel (NGC 3372) und der offene Sternhaufen IC 2581. Zusammen mit diesen und weiteren Objekten ist NGC 3293 Teil der ausgedehnten Sternassoziation Carina OB1.
Wenige Beobachter dürften den mit NGC 3293 assoziierten Nebel Gum 30 visuell gesehen haben. Dieser besitzt sowohl Emissions- als auch Reflexionsanteile und wurde zuerst von Colin Stanley Gum (1924 – 1960) in seiner im Jahr 1955 veröffentlichten Liste südlicher Emissionsnebel katalogisiert. Michael Fritz konnte von Namibia aus einen schwachen, in Ost-West ausgerichteten und zirka 0,5 Grad langen Nebelhauch unmittelbar nördlich von NGC 3293 ausmachen. Dieser erkennbare Teil ist nur der hellste Bereich von Gum 30. Die Flächenhelligkeit ist vergleichbar mit den schwachen südwestlichen Ausläufern des benachbarten Eta-Carinae-Nebels. Auf lang belichteten Aufnahmen erscheint Gum 30 mit diesem Nebelkomplex im Südosten sogar verbunden zu sein.
Anblick im Amateurteleskop
NGC 3293 ist mit 4,7 mag so hell und mit einem Durchmesser von rund acht Bogenminuten derart kompakt, dass Michael Fritz ihn in einer dunstfreien Nacht von der Kanareninsel La Palma aus schon mit bloßem Auge ausmachen kann – und dies bei einer Kulminationshöhe von nur 3,5 Grad über dem Südhorizont. Im 7 × 50-Feldstecher erscheint NGC 3293 immer noch als Lichtknoten, der sich nicht in einzelne Sterne auflösen lässt. Erfahrene Beobachter können jedoch bereits erahnen, dass das nebelige Erscheinungsbild von Sternen stammt und es sich beispielsweise nicht um eine leuchtende Gaswolke oder eine entfernte Galaxie handelt. Der offene Sternhaufen markiert den südöstlichen Eckpunkt eines im Fernglas auffälligen, ungleichen Vierecks mit Sternen von etwa 4. Größe.
Wenn NGC 3293 höher am Himmel steht, bietet er bei 20-facher Vergrößerung in einem 130-Millimeter-Refraktor einen wirklich eindrucksvollen Anblick (siehe »Edelsteine im Süden«). Michael Fritz stuft ihn im Vergleich zu NGC 4755, also dem originären Schmuckkästchen, als durchaus ebenbürtig ein. Zusammen mit NGC 6231 im Sternbild Skorpion sind dies die drei am dichtesten gepackten Sternhaufen – wahre Leuchtfeuer –, die man an unserem Himmel finden kann. Bei NGC 3293 sind insgesamt nur ungefähr 40 Sterne der 7. bis 12. Größe sichtbar, aber ihre Kompaktheit und interessante Anordnung begeistern. Der Haufen verträgt selbst hohe Vergrößerungen sehr gut, sie machen ihn sogar noch prächtiger.

Bei 150-facher Vergrößerung hat der dichte Zentralbereich einen eckigen Umriss und misst sechs Bogenminuten, wobei sich Ausläufer bis auf ein Areal von zehn Bogenminuten erstrecken, hauptsächlich in östlicher Richtung. Michael Fritz zählt nun 70 Sterne, allerdings wurden mit großen Teleskopen bis zu doppelt so viele gesichtet. Je länger man NGC 3293 betrachtet, umso stärker wird die morphologische Ähnlichkeit zu dem »echten« Schmuckkästchen.
Mit 6,5 beziehungsweise 6,7 mag sind HIP 51866 und HIP 51857 die beiden hellsten Sterne des Haufens. Sie erscheinen weiß mit einem grünlichen Hauch, der ihre hohe Temperatur verrät. Der bereits erwähnte orangefarbene CD–57 3346 ist ein Roter Überriese und der am weitesten entwickelte und somit ursprünglich wohl massereichste Stern von NGC 3293. Zwischen HIP 51866 und CD–57 3346 befindet sich der weite Doppelstern CD–57 3348, dessen 7,6 und 9,1 mag hellen Komponenten einen Abstand von 14 Bogensekunden im Positionswinkel von 109 Grad voneinander haben. Er ist auch unter der Bezeichnung »Dawson 52« bekannt. Beobachter unter einem dunklen Südhimmel kommen in diesem spannenden Milchstraßenfeld jedenfalls voll auf ihre (Reise-)Kosten.
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