Metzler Lexikon Philosophie: Urzeugung
(Abiogenese, Archigonie, Autogonie, Generatio spontanea), die Entstehung von Lebewesen aus unbelebter Materie allein durch materielle (chemischphysikalische) Kräfte; heute in der Biowissenschaft »kein Thema« mehr. Diese trennt seit dem 18. Jh. belebte von unbelebter Materie, wonach Lebewesen nur von anderen Lebewesen gleicher Art abstammen können (omne vivum ex vivo). Der Lebensbegriff der U. ist zu differenzieren von (1) chemischer Nomenklatur, die anorganische von organischer Chemie als »Kohlenstoffchemie« mit dem Gerüstatom 12C separiert und (2) von generatio aequivoca der aristotelischen Philosophie, nach der Leben aus Anorganischem durch Wirkung höherer Kräfte (Himmelswesen) entsteht. Die Vorstellung der U. war in der Antike weitverbreitet (Theophrastos), doch erst das von islamischen Philosophen (al-Dschahiz) verbreitete Gedankengut beeinflusste die spätantike Vorstellung der Tierkunde. Ihre Wissenschaftsauffassung der Tiergenese klassifiziert: voll ausgebildete, gebärende Tiere, eierlegende und unvollkommen ausgebildete Tiere, die aus Fäulnis entstehen. Diese islamische Vorstellung von U. fand Eingang in die griech.-hellenistischen Schriften, wurde mit der binären Nomenklatur (Linné) verknüpft und systematisiert. Durch iatrophysikalische Schulen (Borelli) erfolgte die religiöse Überformung, wonach »Gott bei der Erschaffung der tierischen Organismen Geometrie trieb«. Weil der zeitgenössische Stand der Einzelwissenschaften den natürlichen Vorgängen nicht gerecht wurde, kam es zur Erklärung mit vitalistischen Prinzipien (Stahl). Bis Mitte des 17. Jh. galt die U. als beweisbare Hypothese und wurde erst mit der Verfügbarkeit leistungsfähiger Mikroskope (Hooke, van Leeuwenhoek) und der Erschließung der Mikrowelt durch geändertes Verständnis der Genese von Lebewesen fallengelassen. Pasteur als Begründer der Mikrobiologie konnte mit seinem Nachweis (dass alle Fäulnisvorgänge an die Lebenstätigkeit von Mikroben gebunden sind) die spontane U. aus lebloser Materie endgültig widerlegen. Heute ist U. nur noch als Frage nach dem Ursprung organischen Lebens überhaupt zu verstehen. Diese Diskussion, die auch von erheblicher philosophischer Tragweite ist, spaltet momentan drei biowissenschaftliche Lager (Chargaff, Oparin, Miller; Wächtershäuser; Eigen). Eine rein naturwissenschaftliche Beantwortung scheint nicht möglich, da die zur endgültigen Verifikation/Falsifikation benötigten Parameter nicht nachweisbar sind (das Problem gleicht dem des Lamarckismus). Eine philosophisch geführte Diskussion wendet sich dem Kernproblem zu, was das Leben seinem Wesen nach sei (ob Lebewesen rein materielle Körper seien oder ob dem Stofflichen im Organismus noch ein immaterielles Prinzip hinzukommt). Solche gestalterischen Faktoren werden von Entelechie und Vitalismus (Driesch) behauptet. Diese Fragestellung ist rein metaphysischer Natur und mündet in der Annahme eines göttlichen Schöpfungsaktes.
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