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Metzler Lexikon Philosophie: Verantwortung, Verantwortungsethik

M. Weber hat die Bezeichnung »V.ethik« in Abgrenzung zur Gesinnungsethik eingeführt, um die besondere Einstellung zu kennzeichnen. Er teilt nicht die Ansicht der traditionellen Moralphilosophie, dass sittliche und moralische Werte die Wirklichkeit bestimmen (können) und rechnet deshalb auch nicht mit der moralischen Güte der Menschen. Weber will damit gleichzeitig die metaphysischen Annahmen eines vernünftigen Wollens relativieren: Auch wenn die Erfolglosigkeit ethischer Maximen in Rechnung zu stellen ist, darf man sich nicht auf die »Reinheit des Herzens« zurückziehen, sondern muss als Handelnder für die Folgen einstehen. Als Maxime der V. hat zu gelten, dass man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufkommen kann und soll. – In der weiteren Diskussion wird der V. zunehmend der Status eines ethischen Prinzips zugesprochen. Er tritt an die Stelle des Pflichtbegriffs, gegen den seitens der V.ethik eingewandt wird, dass in ihm die prinzipielle Bedeutung der Gegenseitigkeit und der Anerkennung nicht hinreichend zur Geltung kommt. Zudem wird in Zweifel gezogen, dass die mit der Pflichtethik verbundene Annahme einer objektiven Welt des Seins oder der Werte (ewiger Kosmos, Schöpfung Gottes) als Verpflichtungsgrund für den menschlichen Willen angesehen werden kann. Für die V.ethik sind vielmehr die Annahmen grundlegend, dass der Mensch nicht umhin kann, seine Welt zu gestalten (d.i. Offenheit der Welt), und dass die menschlichen Verhältnisse (d.i. Ordnungen und Institutionen) sich im Verlauf der Geschichte verändern. Der Begriff der V. kann nicht hinreichend aus der Sichtweise des einzelnen moralischen Subjekts expliziert werden. Der Gedanke der V. für eigenes Handeln ergibt nur dann einen Sinn, wenn das Handeln nicht allein nach allgemeinen Normen beurteilt wird, sondern die Handlungsfolgen aus der Perspektive der gemeinsamen Mitwelt beurteilt wird. V. wird dort konkret, wo es um die Bewältigung von Sachaufgaben geht, die sich aus den Bedürfnissen der Mitwelt ergeben (Picht). Wo wir auf Unrecht, Gewalt, Unfreiheit stoßen, stellt sich die Frage der Zuständigkeit nicht mehr in einem auf das einzelne Subjekt reduzierten Sinne. D.h. die V. wird dort zu einem obersten Grundsatz, wo es um die Verwirklichung einer menschenwürdigen Welt geht. Daraus wird ersichtlich, dass erst durch die weitere grundlegende Annahme der mitmenschlichen Gegenseitigkeit jenes Moment der Verbindlichkeit hervortritt, durch die uns die eigentümliche Sinn- und Wirklichkeitsdimension der V. erst eröffnet wird (Schwartländer). – Der Begriff der V. erfährt in der Tradition der Philosophie eine unterschiedliche Deutung: In Anlehnung an den juristischen Kontext wird V. mit »Zurechnung« (in der christlichen Philosophie des MA. als Begriff der imputatio) verknüpft. Entsprechend wird zur grundlegenden Voraussetzung für V., dass Handlungen einem Subjekt nur dann zugerechnet werden können, wenn Willensfreiheit bzw. ein freier Willensentschluss zu einer Handlung gewährleistet und wenn Handlungsfreiheit gegeben ist. Bei komplexen Handlungssituationen ist Verantwortlichkeit nur dann einklagbar, wenn zwischen den zeitlich aufeinander folgenden Handlungen ein innerer Zusammenhang hergestellt werden kann, so dass die Handlungskette einem Akteur zuschreibbar ist.

Im Kantischen Sinne wird die moralische V. als Selbstverantwortung vor dem eigenen Gewissen gedeutet. Grundlegend ist dabei einzig die Gesinnung, d.i. das sittliche Bewusstsein, und die mit der Idee der Autonomie (des vernünftigen Willens) verbundene Würde der Person. Die Kantische Argumentation nimmt dabei auf das transzendentale Subjekt Bezug, d.h. auf die in jedem Subjekt liegenden erfahrungsunabhängigen (d.i. apriorischen) Bedingungen der Möglichkeit des Handelns (und Erkennens). Bei N. Hartmann wird die V. zu einer real-ethischen Tatsache, die in einem realen Akt der Selbstzurechnung begründet ist: Der Handelnde weiß sich als Urheber der Tat (a priori) selbstverantwortlich. Zum metaphysischen Wesen der Person gehört das Eintreten des Menschen für sein Verhalten. – Das transzendentale Subjektschema wirkt prinzipiell verstellend im Hinblick auf die soziale Grundsituation des Sich-Verantwortens. Erst aus dieser erweiterten Perspektive kann neben der einzelnen Person auch ein kollektiver oder institutioneller Akteur (bspw. eine Regierung oder ein Unternehmen) als Subjekt der V. betrachtet werden. Aber auch die Verantwortungsinstanz verlagert sich von dem eigenen Gewissen auf die Gesellschaft oder die Menschheit, vor der man sich zu verantworten hat. Die V.ethik hat nicht nur abzuklären, wem man Rechenschaft schuldet, sondern auch wofür (d.i. das Objekt der V.) und weswegen. Als Objekt der V. werden primär konkrete unmittelbare Handlungsfolgen, die andere Personen oder Sachen betreffen, angesehen. Darüber hinaus können aber auch in bestimmten Fällen mittelbare Folgen oder Unterlassungen zum Bereich des Verantwortbaren gerechnet werden. Durch die Einbeziehung der mittelbaren Folgen kann bspw. die Lebenssituation künftiger Generationen einbezogen werden. Dadurch wird nicht erst die vollzogene Handlung, sondern schon die Notwendigkeit der vorausschauenden Beurteilung der Handlungsfolgen dem Bereich der V. zugerechnet. Eine Unterlassung zählt insofern zum Bereich der V., als die Ausführung einer Handlung einen Schaden verhindert hätte, diese Ausführung im Bereich des Möglichen gelegen hätte und einer Person auch zumutbar gewesen wäre. Die Grundlage der V. kann nur im Rückgriff auf bestimmte Werte ausgewiesen werden, die als normative Orientierungskonzepte gewisse Handlungen oder Handlungsfolgen als erstrebenswert oder als verwerflich charakterisieren. Als allgemeine Maxime der V.ethik kann schließlich das gute Leben aller gelten. Diese Maxime setzt sich aus den Prinzipien der Nützlichkeit, des Wohlwollens und der Gerechtigkeit zusammen (Ropohl).

Aufgrund der unterschiedlichen Gewichtung der angeführten Bedingungen für V. haben sich verschiedene Arten der V.ethik herausgebildet: Wenn nur die vergangen Taten einbezogen werden spricht man von kausaler V., wenn auch zukünftige Taten in Rechnung zu stellen sind, von Präventionsv. In Gestalt der Seinsverantwortung (Jonas, Schweitzer, Meyer-Abich) wird einerseits die zukünftige Entwicklung ins Blickfeld gerückt und andererseits von der Natur her, die sich der Mensch verfügbar macht, ein Anspruch der Pflicht zur Bewahrung des Seins formuliert (Treuhänderverantwortung). Zukunftsverantwortung.

Literatur:

  • K.-O. Apel: Diskurs und Verantwortung. Frankfurt 1990
  • K. Bayertz (Hg.): Verantwortung. Prinzip oder Problem?. Darmstadt 1995
  • D. Birnbacher: Verantwortung für die zukünftige Generation. Stuttgart 1988
  • Ders.: Tun und Unterlassen: Stuttgart 1995
  • R. Ingarden: Über die Verantwortung. Stuttgart 1970
  • H. Lenk: Komplexe Ebenen der Verantwortung. In: M. Sänger (Hg.):Verantwortung. Stuttgart 1991. S. 64–73
  • K. Löwith: Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen. Darmstadt 1962
  • G. Picht: Der Begriff der Verantwortung. In: Wahrheit, Vernunft und Verantwortung. Stuttgart 1969
  • G. Ropohl: Neue Wege, die Technik zu verantworten. In: Technik und Ethik. Hg. H. Lenk/G. Ropohl. Stuttgart 1987. S. 154–158
  • J. Schwartländer: Verantwortung. In: Handb. philosophischer Grundbegriffe. München 1974. S. 1577 ff
  • W. Schulz: Philosophie in der veränderten Welt. Pfullingen 1972. S. 629 ff
  • M. Weber: Ges. Politische Schriften. Tübingen 21958. S. 538 ff
  • W. Weischedel: Vom Wesen der Verantwortung. Frankfurt 21958
  • J.- C. Wolf: Kollektive Verantwortung – Ausräumung einiger Mißverständnisse. In: Philos. Jb. 100. S. 337–356.

PP

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
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JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
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KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
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KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
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MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
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PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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