Lexikon der Psychologie: Varianzanalyse
Varianzanalyse, Gruppe statistischer Verfahren zur Überprüfung von Mittelwertsunterschieden zwischen mehreren Stichproben. Viele Fragestellungen lassen sich nur dann zufriedenstellend beantworten, wenn das Zusammenwirken und die Möglichkeit der wechselseitigen Beeinflussung (Wechselwirkung) mehrerer unabhängiger Variablen (uV), z.B. Alter, Geschlecht, Intelligenz, Erkrankungsart, Art der therapeutische Intervention u.a., auf eine abhängige Variable (aV) z.B. Therapieerfolg, berücksichtigt werden kann. Die Gemeinsamkeit aller varianzanalytischer Verfahren liegt darin, daß sie Mittelwertsunterschiede einer intervallskalierten aV auf eine oder mehrere kategoriale uV zurückführt.
1) Variationen von Varianzanalysen: Unterschieden werden einfaktorielle Varianzanalysen, bei denen die unterschiedlichen Ausprägungen (Stufen) einer uV in bezug auf eine abhängige Variable verglichen werden, oder mehrfaktorielle Varianzanalysen, bei denen die Stufen mehrerer kategorialer uV bzw. Faktoren sowie deren Wechselwirkungen in bezug auf eine aV verglichen werden. Bei univariaten Varianzanalysen (Analysis of Variance, ANOVA) werden beliebig viele uVs im Hinblick auf nur eine aV untersucht; bei multivariaten Varianzanalysen (Multivariate Analysis of Variance, MANOVA) beliebig viele uVs im Hinblick auf mehrere aVs. Zusätzlich unterscheidet man Varianzanalysen für unabhängige Stichproben und Varianzanalysen für abhängige Stichproben (Meßwiederholungen). Balancierte Stichprobenumfänge enthalten die gleiche Anzahl von Versuchspersonen in den Gruppen, im unbalancierten Fall sind die Stichprobenumfänge unterschiedlich. Versuchspläne, bei denen, z.B. aus untersuchungstechnischen Gründen, nicht alle möglichen Faktorstufenkombinationen berücksichtigt werden können, sind unvollständige Versuchspläne. Wenn dabei durch Schachtelung des einen Faktors unter einen anderen ein hierarchischer Aufbau der Versuchsanordnung entsteht, wird dies als hierarchischer Versuchsplan bezeichnet (Versuchsplanung, Experimentelle Psychologie, Experiment).
2) Durchführung von Varianzanalysen: Bei varianzanalytischen Verfahren wird die Summe der Abstandsquadrate bzw. die Quadratsumme vom Gesamtmittelwert additiv in verschiedenen Komponenten zerlegt, von denen jede der Komponenten einem speziellen Faktor zugeordnet ist. Es verschwinden die Summen der gemischten Produkte der Faktoren. Bei der Quadratsummenzerlegung werden zugleich die zu den einzelnen Summen gehörenden Freiheitsgrade aufgeteilt. Die Zerlegung der Quadratsummen wird am einfaktoriellen Fall verdeutlicht, der als eine Verallgemeinerung eines Mittelwertvergleichs von zwei Gruppen auf p Gruppen betrachtet werden kann: Es interessiert z.B. die Art der therapeutischen Intervention auf den Therapieerfolg. Die totale Quadratsumme bzw. total sum of squares (SST; Gesamtvarianz aller Meßwerte) wird durch die Summe der Abweichungen vom Gesamtmittelwert (Durchschnittswert über alle Versuchspersonen) ermittelt. Die Treatmentquadratsumme bzw. between sum of squares (SSB) beinhaltet die durchschnittlichen Abweichungen der jeweiligen, mit einer bestimmten Therapieart behandelten, Versuchspersonen vom Gesamtmittelwert (Die Anzahl der Versuchspersonen sei n). Die Differenz zwischen totaler Quadratsumme und Treatmentquadratsumme ist die Fehlerquadratsumme bzw. within sum of squares (SSW). Die Fehlerquadratsumme enthält diejenigen Meßwertunterschiede, die nicht auf das Treatment zurückzuführen sind und als unsystematischer Fehler gewertet werden können. Durch Division der Quadratsummen durch die dazugehörigen Freiheitsgrade (dfT, dfB, dfW) werden die Varianzen gewonnen: dfT = p+n-1; dfB = p-1; dfW = p(n-1). Mit einem F-Test wird nun geprüft, ob die Varianz zwischen den Gruppen größer ist als die Varianz innerhalb der Gruppen: F = (SSB/dfB)/ (SSW/dfW). Bei Gültigkeit der Nullhypothese, d.h. die Art der therapeutischen Intervention, hat keinen Einfluß, stellt die Treatmentvarianz eine erwartungstreue Schätzung der Fehlervarianz dar. Wird die Nullhypothese angelehnt, kann mit anschließend durchgeführten Mittelwertsvergleichen geprüft werden, welche der therapeutischen Interventionen Effekte aufweisen (Evaluation, Psychotherapieforschung).
3) Interpretation von Varianzanalysen: Bei mehrfaktoriellen Varianzanalysen (z.B. zweifaktoriell: Geschlecht der Versuchsperson und Art der therapeutischen Intervention) können anstelle von einfachen Haupteffekten auch Wechselwirkungen auftreten. Von Haupteffekten spricht man, wenn z.B. der Therapieerfolg global auf eine bestimmte Geschlechtszugehörigkeit und/oder auf die Art der therapeutischen Intervention zurückzuführen ist: z.B. Frauen gesunden schneller als Männer; Therapie A ist wirksamer als Therapie B. Haupteffekte sind durch eine additives Zusammenwirken beider Faktoren charakterisiert. Dagegen spricht man von einer Wechselwirkung (Interaktion), wenn der Therapieerfolg auf eine Kombination von Geschlechtszugehörigkeit mit einer bestimmten Interventionsform zurückzuführen ist, z.B.: Therapie A führt zu einem Therapieerfolg, wenn die Versuchsperson eine Frau ist, d.h. die Wirkung der einen uV hängt von der Ausprägung der anderen uV ab. Bei dem Vorliegen von Wechselwirkungen können die Haupteffekte nur noch modifiziert interpretiert werden. Bei mehr als zwei Faktoren ist die Interpretation von Wechselwirkungen schwierig. Wechselwirkungen können nicht interpretiert werden, wenn hierarchische Versuchspläne vorliegen.
4) Voraussetzungen von Varianzanalysen: Die Quadratsummenzerlegung selbst ist nicht an Voraussetzungen geknüpft. Sollen die Mittelwertsunterschiede aber auf Signifikanz getestet werden, so ist auf eine Normalverteilung der Fehlerkomponenten in der Grundgesamtheit, der die Stichproben entstammen, zu achten, d.h. pro Treatmentstufe muß die Normalverteilungsannahme gelten (Kolmogorov-Smirnov-Test). Die Fehlerkomponenten innerhalb und zwischen den Stichproben müssen unabhängig sein: Dies wird durch zufällige Zuordnung der Versuchspersonen zu den Stichproben gewährleistet (Randomisierung, Meßfehler, systematische). Die Varianzen der Fehlerkomponenten müssen gleich sein (homogene Stichprobenvarianz, Skedastizität).
M.E.
Literatur
Bortz, J. & Döring, N. (1995). Forschungsmethoden und Evaluation (2. Aufl.). Berlin: Springer.
Bortz, J. (1993). Statistik für Sozialwissenschaftler (4. Aufl.). Berlin: Springer.
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