Angemerkt!: Alle für eins - das Kind
Ein Gesetzeserlass von 2009 rückt das Kindeswohl noch stärker in den Mittelpunkt von Scheidungsprozessen. "Das war längst überfällig", sagt der Psychologe Uwe Jopt von der Universität Bielefeld. Erstmals könnten jetzt auch Psychologische Sachverständige vom Gericht beauftragt werden, das Sorgerecht in Gesprächen mit den Eltern einvernehmlich zu regeln.
Zum 1. September 2009 wurde mit dem FamFG ("Gesetz über das Verhalten in Familiensachen und in den Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit") ein längst überfälliges Regelwerk geschaffen. Es zielt darauf ab, Eltern in Trennung möglichst früh zu erreichen und eine Eskalation der Scheidungsstreitigkeiten zu vermeiden. Höchst strittige Eltern können zukünftig mit der Unterstützung durch Verfahrensbeistände rechnen, die sich mit ihnen an einen Tisch setzen, um eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Wieso ist das so wichtig? Die Familie, insbesondere die enge Beziehung zu Mutter und Vater, vermittelt Kindern Sicherheit und das Gefühl, zu wissen, wer sie sind. Die Trennung der Eltern stellt für die meisten Kinder daher eine schwere Krise dar. Bereits die Vorstellung, die Eltern könnten sich scheiden lassen, wirkt auf Kinder hochgradig bedrohlich. Noch mehr Angst macht ihnen nur der Gedanke, ein Elternteil könne sterben. Zu diesem Ergebnis kam kürzlich eine Studie, die der Autor gemeinsam mit seiner Diplomandin Sarah Berg an 323 Dritt- und Viertklässlern durchführte. Offensichtlich können sich Kinder kaum an solche Erosionen des Familienlebens gewöhnen – auch wenn mittlerweile jede zweite Ehe geschieden wird.
Lange Zeit glaubte man, dem Trauma durch einen einfachen Rechtsakt wie die Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil begegnen zu können. Von der so genannten Wohlverhaltensklausel erhoffte sich der Gesetzgeber "klare Verhältnisse": Auf der einen Seite ein gesicherter Lebensmittelpunkt, auf der anderen fortbestehender Kontakt zum anderen Elternteil – so sollte der Schaden für Kinder begrenzt werden. Doch wurde übersehen, dass diese friedliche Aufgabenteilung nur gelingt, wenn Eltern zwischen (gescheiterter) Partnerschaft und Fortsetzung ihrer Elternschaft unterscheiden können. Eine Hoffnung, die sich als wenig realistisch erwies: Binnen Jahresfrist nach Scheidung verliert fast die Hälfte aller Kinder den Kontakt zum nicht sorgeberechtigten Elternteil – überwiegend dem Vater. So das Ergebnis einer Langzeitstudie der Soziologin Anneke Napp-Peters, die in den 1980er und 1990er Jahren 150 Scheidungsfamilien mit 270 Kindern zwölf Jahre lang begleitete und regelmäßig interviewte.
Damals erklärten viele Experten diesen unerwarteten Befund damit, dass Väter mit der Scheidung oft das Interesse an ihren Kindern verlören. Doch mit dem Aufkommen von Väter-Forschung insbesondere unter Federführung des Entwicklungspsychologen Wassilios Fthenakis (siehe auch G&G 3/2010, ab S. 46) stellte sich heraus, dass der durch den Sorgerechtseingriff nur noch weiter angeheizte Paarkonflikt die eigentliche Ursache für den Kontaktabbruch war.
1998 stellte der Gesetzgeber die Weichen neu. Im Mittelpunkt des so genannten KindRG ("Kindschaftsrechtsreformgesetz") steht nun nicht mehr die Sorgerechtszuweisung, sondern das Ziel, die Qualität der Elternbeziehung so zu beeinflussen, dass das Kind vom Trennungskonflikt möglichst unbehelligt bleibt. Heute ist die gemeinsame elterliche Sorge nach Scheidung praktisch zum Regelfall geworden. Zwar ging daraufhin der Streit ums Sorgerecht zurück, dafür nahmen aber die Gerichtsverfahren zum "Umgangsrecht" deutlich zu. Darunter verstehen Juristen den Anspruch des minderjährigen Kindes auf Kontakt zu beiden Elternteilen. Umgangsrechtsverfahren wurden zur neuen Bühne für die Austragung von Trennungskonflikten auf dem Rücken der Kinder. Es zeigte sich, dass dem weder mit gut gemeinten Appellen wie der Wohlverhaltensklausel noch mit den relativ schwachen Sanktionsdrohungen des KindRG beizukommen war.
Da schwere Elternkonflikte Kinder an die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit bringen können, suchen sie – abhängig von ihrer kognitiven Reife – nach Wegen, sich den mannigfaltigen emotionalen Überforderungen zu entziehen. Eine Strategie besteht darin, schlicht und einfach den Kontakt zum getrennt lebenden Elternteil – meist dem Vater – zu verweigern. Psychologische Sachverständige beobachten dieses aus der Not geborene Verhaltensmuster der Umgangsverweigerung derzeit zunehmend häufiger. Nichts zeigt deutlicher auf, wie dringlich Methoden zur Entspannung des Elternkonflikts gefunden werden müssen.
Deshalb ist die Befriedung der Eltern heute für alle mit dem Kindschaftsrecht Befassten die größte Herausforderung – sei es durch den Einsatz neuer Techniken der Konfliktregulation, sei es durch ein differenziertes Verständnis der eigentlichen Auslöser jener Prozesse, die dazu führen, dass Kinder diese dysfunktionale Coping-Strategie ergreifen. Es leuchtet ein: Die Annäherung an eine aus psychologischen Gründen ohnehin schon schwer zu erreichende "Elternbefriedung" wird nicht gerade erleichtert, wenn der Streit in einem Kontext ausgetragen wird, in dem Vater und Mutter ihre oft gegensätzlichen emotionalen wie sonstigen Interessen durchsetzen wollen. So geraten Konsensbemühungen leicht zur Sisyphusarbeit.
Mit dem Vermittlungsauftrag des FamFG, der das Kindeswohl zur obersten Priorität aller am Scheidungsverfahren Beteiligten macht, ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung getan. Damit wird der "Lösungsorientierten Begutachtung", die viel zur psychischen Entlastung von Trennungskindern beitragen kann, nun auch gesetzlich der Platz eingeräumt, der diesem Ansatz schon längst hätte zukommen müssen. Das lässt hoffen, dass bald kaum noch Kinder den Kontakt zu Vater oder Mutter verweigern, weil ein spannungsärmerer Umgang ihrer Eltern miteinander dies nicht länger nötig macht.
Wieso ist das so wichtig? Die Familie, insbesondere die enge Beziehung zu Mutter und Vater, vermittelt Kindern Sicherheit und das Gefühl, zu wissen, wer sie sind. Die Trennung der Eltern stellt für die meisten Kinder daher eine schwere Krise dar. Bereits die Vorstellung, die Eltern könnten sich scheiden lassen, wirkt auf Kinder hochgradig bedrohlich. Noch mehr Angst macht ihnen nur der Gedanke, ein Elternteil könne sterben. Zu diesem Ergebnis kam kürzlich eine Studie, die der Autor gemeinsam mit seiner Diplomandin Sarah Berg an 323 Dritt- und Viertklässlern durchführte. Offensichtlich können sich Kinder kaum an solche Erosionen des Familienlebens gewöhnen – auch wenn mittlerweile jede zweite Ehe geschieden wird.
Lange Zeit glaubte man, dem Trauma durch einen einfachen Rechtsakt wie die Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil begegnen zu können. Von der so genannten Wohlverhaltensklausel erhoffte sich der Gesetzgeber "klare Verhältnisse": Auf der einen Seite ein gesicherter Lebensmittelpunkt, auf der anderen fortbestehender Kontakt zum anderen Elternteil – so sollte der Schaden für Kinder begrenzt werden. Doch wurde übersehen, dass diese friedliche Aufgabenteilung nur gelingt, wenn Eltern zwischen (gescheiterter) Partnerschaft und Fortsetzung ihrer Elternschaft unterscheiden können. Eine Hoffnung, die sich als wenig realistisch erwies: Binnen Jahresfrist nach Scheidung verliert fast die Hälfte aller Kinder den Kontakt zum nicht sorgeberechtigten Elternteil – überwiegend dem Vater. So das Ergebnis einer Langzeitstudie der Soziologin Anneke Napp-Peters, die in den 1980er und 1990er Jahren 150 Scheidungsfamilien mit 270 Kindern zwölf Jahre lang begleitete und regelmäßig interviewte.
Damals erklärten viele Experten diesen unerwarteten Befund damit, dass Väter mit der Scheidung oft das Interesse an ihren Kindern verlören. Doch mit dem Aufkommen von Väter-Forschung insbesondere unter Federführung des Entwicklungspsychologen Wassilios Fthenakis (siehe auch G&G 3/2010, ab S. 46) stellte sich heraus, dass der durch den Sorgerechtseingriff nur noch weiter angeheizte Paarkonflikt die eigentliche Ursache für den Kontaktabbruch war.
1998 stellte der Gesetzgeber die Weichen neu. Im Mittelpunkt des so genannten KindRG ("Kindschaftsrechtsreformgesetz") steht nun nicht mehr die Sorgerechtszuweisung, sondern das Ziel, die Qualität der Elternbeziehung so zu beeinflussen, dass das Kind vom Trennungskonflikt möglichst unbehelligt bleibt. Heute ist die gemeinsame elterliche Sorge nach Scheidung praktisch zum Regelfall geworden. Zwar ging daraufhin der Streit ums Sorgerecht zurück, dafür nahmen aber die Gerichtsverfahren zum "Umgangsrecht" deutlich zu. Darunter verstehen Juristen den Anspruch des minderjährigen Kindes auf Kontakt zu beiden Elternteilen. Umgangsrechtsverfahren wurden zur neuen Bühne für die Austragung von Trennungskonflikten auf dem Rücken der Kinder. Es zeigte sich, dass dem weder mit gut gemeinten Appellen wie der Wohlverhaltensklausel noch mit den relativ schwachen Sanktionsdrohungen des KindRG beizukommen war.
Da schwere Elternkonflikte Kinder an die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit bringen können, suchen sie – abhängig von ihrer kognitiven Reife – nach Wegen, sich den mannigfaltigen emotionalen Überforderungen zu entziehen. Eine Strategie besteht darin, schlicht und einfach den Kontakt zum getrennt lebenden Elternteil – meist dem Vater – zu verweigern. Psychologische Sachverständige beobachten dieses aus der Not geborene Verhaltensmuster der Umgangsverweigerung derzeit zunehmend häufiger. Nichts zeigt deutlicher auf, wie dringlich Methoden zur Entspannung des Elternkonflikts gefunden werden müssen.
Deshalb ist die Befriedung der Eltern heute für alle mit dem Kindschaftsrecht Befassten die größte Herausforderung – sei es durch den Einsatz neuer Techniken der Konfliktregulation, sei es durch ein differenziertes Verständnis der eigentlichen Auslöser jener Prozesse, die dazu führen, dass Kinder diese dysfunktionale Coping-Strategie ergreifen. Es leuchtet ein: Die Annäherung an eine aus psychologischen Gründen ohnehin schon schwer zu erreichende "Elternbefriedung" wird nicht gerade erleichtert, wenn der Streit in einem Kontext ausgetragen wird, in dem Vater und Mutter ihre oft gegensätzlichen emotionalen wie sonstigen Interessen durchsetzen wollen. So geraten Konsensbemühungen leicht zur Sisyphusarbeit.
Mit dem Vermittlungsauftrag des FamFG, der das Kindeswohl zur obersten Priorität aller am Scheidungsverfahren Beteiligten macht, ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung getan. Damit wird der "Lösungsorientierten Begutachtung", die viel zur psychischen Entlastung von Trennungskindern beitragen kann, nun auch gesetzlich der Platz eingeräumt, der diesem Ansatz schon längst hätte zukommen müssen. Das lässt hoffen, dass bald kaum noch Kinder den Kontakt zu Vater oder Mutter verweigern, weil ein spannungsärmerer Umgang ihrer Eltern miteinander dies nicht länger nötig macht.
Schreiben Sie uns!
1 Beitrag anzeigen