Astrophysik: Das Innenleben der Neutronensterne
Wenn ein Stern mit mehr als acht Sonnenmassen stirbt, wird er, nach den Worten des Astrophysikers Zaven Arzoumanian, »das bizarrste Objekt, von dem die meisten Menschen noch nie gehört haben« – ein stadtgroßer Körper von unwahrscheinlicher Dichte, bekannt als Neutronenstern. Ein Stück Neutronenstern von der Größe eines Tischtennisballs würde mehr als eine Milliarde Tonnen wiegen. Unterhalb der Oberfläche des Sterns »verschmelzen« infolge des Drucks der Schwerkraft Protonen und Elektronen im inversen Betazerfall zu Neutronen. Soweit wir wissen bestehen Neutronensterne zum größten Teil daraus – daher der Name. Vielleicht sind diese Sternüberreste weitaus komplexer. Astronomen haben noch nie einen Neutronenstern aus nächster Nähe gesehen, und kein irdisches Labor ist in der Lage, einen Neutronenstern herzustellen, so dass die innere Struktur dieser Objekte eines der größten kosmischen Geheimnisse ist. »Es ist die Form von Materie mit der höchsten stabilen Dichte, welche die Natur zulässt, in einer Konfiguration, die wir nicht verstehen.«, sagt Arzoumanian, der im Goddard Space Flight Center der NASA arbeitet. Neutronensterne bestehen aus den dichtesten, gerade noch stabilen Materieformen, die wir kennen: Kommt nur ein bisschen mehr Masse dazu, stürzen sie zu Schwarzen Löchern zusammen. Dann verschwindet jedoch die Materie selbst, weil sie in rein gekrümmte Raumzeit übergeht. »Was an dieser Schwelle vor sich geht«, sagt Arzoumanian, »versuchen wir zu erforschen.«
Es gibt mehrere konkurrierende Theorien darüber, was an dieser Grenze passiert. Einige Ideen deuten darauf hin, dass das Innere der Neutronensterne vollständig aus normalen Neutronen und vielleicht hier und da einigen Protonen besteht. Nach einer anderen Theorie lösen sich die Neutronen in den kompakten Sternüberresten weiter in ihre Bestandteile auf. Das sind Quarks und Gluonen, die sich frei in einer Art Plasma bewegen können. Und es ist möglich, dass das Innere dieser Sterne aus noch exotischerer Materie besteht, zum Beispiel aus Hyperonen. Diese Teilchen sind im wörtlichen Sinn »seltsam«, weil sie sich nicht nur aus normalen Up- und Down-Quarks, sondern auch aus Strange-Quarks zusammensetzen (engl. »strange« für: seltsam).
Leider lassen sich Neutronensterne nicht einfach aufschneiden, um festzustellen, welche dieser Theorien die richtige ist. Aber die Wissenschaftler machen Fortschritte. Ein großer Durchbruch kam im August 2017, als Laserinterferometer Gravitationswellen sowie astronomische Teleskope die Leuchterscheinungen einer Kollision zweier Neutronensterne nachweisen konnten (siehe SuW 12/2017, S. 24). Die Gravitationswellen enthielten Informationen über die Massen und Größen der Sterne kurz vor dem Crash, mit denen Wissenschaftler die Eigenschaften und möglichen Zusammensetzungen von Neutronensternen neu einschränken konnten.
Hinweise kommen auch aus dem Neutron Star Interior Composition Explorer (NICER), einem Experiment, das im Juni 2017 auf der Internationalen Raumstation ISS begann. NICER dient der Beobachtung von Pulsaren, also schnell rotierenden Neutronensternen mit starken Magnetfeldern. Sie erzeugen gerichtet elektromagnetische Strahlung, die – immer wenn sie auf die Erde trifft – das Blinken des Pulsars erzeugt. Das kann bis zu 700 Mal pro Sekunde geschehen. Durch diese und andere Experimente können die Forscher Neutronensterne immer besser verstehen und die grundlegenden Grenzen von Materie und Gravitation ausloten …
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