Login erforderlich
Dieser Artikel ist Abonnenten mit Zugriffsrechten für diese Ausgabe frei zugänglich.
Evolution (Serie, Teil II): Der Ameisenfreund
Draußen, hinter den Lamellen der Jalousien, hat die Aprilsonne die Luft auf flirrende 34 Grad Celsius aufgeheizt. Drinnen, an seinem Schreibtisch, im klimatisierten Life- Sciences-Gebäude der Arizona State University in Phoenix, hustet Bert Hölldobler, 72, jedoch und wickelt ein Erkältungsbonbon aus. "Die Erkältung ist vorbei, aber im Hals kratzt es noch", erklärt die Koryphäe für Soziobiologie und Verhaltensphysiologie. Und dann beginnt er von seinem Leben zu erzählen – von seinen Vorfahren aus dem Bayerischen Wald, der ersten Professur in Frankfurt, vom Kulturkampf an der Harvard University und dem von ihm mitgegründeten Theodor-Boveri-Institut an der Würzburger Universität, an dem er eine große Arbeitsgruppe zur experimentellen Soziobiologie und Verhaltensphysiologie aufbaute. Hölldobler holt aus, schweift ab, debattiert Wissenschaftspolitik – und das, kaum von Fragen und Einwürfen unterbrochen, unermüdlich, bis sich die Sonne längst über den Wüstenhorizont gesenkt und das Büro in Schatten gehüllt hat. Auf dem Schreibtisch liegen etliche Bonbonpapiere.
Drahtig, mit einer silbernen, sternförmigen Gürtelschnalle der Navajo-Indianer, kurzärmligen Hemd, einem Vollbart und wachen blaugrauen Augen wirkt Hölldobler (im Bild links mit dem Autor) wie ein Naturbursche, der gerade von einer Exkursion im Bayerischen Wald oder in der Wüste zurückgekommen ist. In der Tat forscht Hölldobler nach wie vor eifrig. An der "School of Life Sciences" der Arizona State University ist er Forschungsprofessor. Dort hat er in den letzten Jahren zusammen mit dem Bienengenetiker Robert Page eine internationale Forschergruppe aufgebaut, die sich mit dem komplexen Sozialverhalten der Bienen, Ameisen und Termiten beschäftigt. Die Erforschung der Evolution dieser Insektengesellschaften steht dabei im Mittelpunkt. Zudem hat der Verhaltensphysiologe im letzten November ein umfangreiches Buch über den "Superorganismus" veröffentlicht, zusammen mit seinem alten Harvard-Kollegen Edward Wilson, einem Popstar der Naturwissenschaften in den USA. Staaten bildende Insekten spielen darin die Hauptrolle. Bereits 1991 erschien ihr Standardwerk "The Ants", für das beide den amerikanischen Pulitzer-Preis erhielten.
Spektrum der Wissenschaft: Können Sie sich eine Welt ohne Ameisen vorstellen?
Prof. Bert Hölldobler: Ohne Menschen, ja! Es gäbe dann zwar keine Kultur, keinen Beethoven oder Picasso, die Städte würden den Wäldern und dem Dschungel anheimfallen. Außer für unsere Spezies wäre das keine große Katastrophe – die Natur käme also gut ohne uns zurecht. Aber ohne Ameisen? Hier in Arizona würden viele Pflanzen aussterben, weil Ameisen ihre Samen verbreiten. Der Boden der Wüste würde hart und karstig werden. Auch der Regenwald würde zu Grunde gehen. Blattschneiderameisen eines Nestes graben in ihrer Lebenszeit 40 Tonnen Erde um. Außerdem sind viele Ameisenarten Feinde Pflanzen fressender Insekten, deren Populationen ohne Ameisen explodieren würden. Als Folge würden die Pflanzen aussterben – und danach die Pflanzenfresser. Ameisen gehören also zweifellos zu den wichtigsten Tieren in allen terrestrischen Ökosystemen.
Spektrum: Die Vorliebe für Ameisen scheint Ihnen in die Wiege gelegt. Bereits Ihr Vater, eigentlich Arzt, war ebenfalls ein angesehener Zoologe, der veröffentlichte und sich in seiner Freizeit dem Studien der Ameisen widmete.
Hölldobler: Er wird hin und wieder noch zitiert; vor allem seine Arbeit über die Ameisengrille ist sehr schön. Und er hat mich stark beeinflusst. Mir ist noch lebhaft in Erinnerung, 1944, als mein Vater auf Heimaturlaub von der Ostfront war, ich war gerade sieben oder acht Jahre alt. Wir sind gemeinsam durch den fränkischen Wald bei Ochsenfurt gegangen. Mein Vater hat, wie so oft, Steine umgedreht, um nach der Ameisengrille Ausschau zu halten – und da sah ich plötzlich eine Rossameisen- Kolonie, die Ameisen liefen wild durcheinander und brachten ihre Larven und Puppen in Sicherheit – und versickerten förmlich wie Wasser unter der Erde. Diese Erfahrung war ein echtes Schlüsselerlebnis. ...
Drahtig, mit einer silbernen, sternförmigen Gürtelschnalle der Navajo-Indianer, kurzärmligen Hemd, einem Vollbart und wachen blaugrauen Augen wirkt Hölldobler (im Bild links mit dem Autor) wie ein Naturbursche, der gerade von einer Exkursion im Bayerischen Wald oder in der Wüste zurückgekommen ist. In der Tat forscht Hölldobler nach wie vor eifrig. An der "School of Life Sciences" der Arizona State University ist er Forschungsprofessor. Dort hat er in den letzten Jahren zusammen mit dem Bienengenetiker Robert Page eine internationale Forschergruppe aufgebaut, die sich mit dem komplexen Sozialverhalten der Bienen, Ameisen und Termiten beschäftigt. Die Erforschung der Evolution dieser Insektengesellschaften steht dabei im Mittelpunkt. Zudem hat der Verhaltensphysiologe im letzten November ein umfangreiches Buch über den "Superorganismus" veröffentlicht, zusammen mit seinem alten Harvard-Kollegen Edward Wilson, einem Popstar der Naturwissenschaften in den USA. Staaten bildende Insekten spielen darin die Hauptrolle. Bereits 1991 erschien ihr Standardwerk "The Ants", für das beide den amerikanischen Pulitzer-Preis erhielten.
Spektrum der Wissenschaft: Können Sie sich eine Welt ohne Ameisen vorstellen?
Prof. Bert Hölldobler: Ohne Menschen, ja! Es gäbe dann zwar keine Kultur, keinen Beethoven oder Picasso, die Städte würden den Wäldern und dem Dschungel anheimfallen. Außer für unsere Spezies wäre das keine große Katastrophe – die Natur käme also gut ohne uns zurecht. Aber ohne Ameisen? Hier in Arizona würden viele Pflanzen aussterben, weil Ameisen ihre Samen verbreiten. Der Boden der Wüste würde hart und karstig werden. Auch der Regenwald würde zu Grunde gehen. Blattschneiderameisen eines Nestes graben in ihrer Lebenszeit 40 Tonnen Erde um. Außerdem sind viele Ameisenarten Feinde Pflanzen fressender Insekten, deren Populationen ohne Ameisen explodieren würden. Als Folge würden die Pflanzen aussterben – und danach die Pflanzenfresser. Ameisen gehören also zweifellos zu den wichtigsten Tieren in allen terrestrischen Ökosystemen.
Spektrum: Die Vorliebe für Ameisen scheint Ihnen in die Wiege gelegt. Bereits Ihr Vater, eigentlich Arzt, war ebenfalls ein angesehener Zoologe, der veröffentlichte und sich in seiner Freizeit dem Studien der Ameisen widmete.
Hölldobler: Er wird hin und wieder noch zitiert; vor allem seine Arbeit über die Ameisengrille ist sehr schön. Und er hat mich stark beeinflusst. Mir ist noch lebhaft in Erinnerung, 1944, als mein Vater auf Heimaturlaub von der Ostfront war, ich war gerade sieben oder acht Jahre alt. Wir sind gemeinsam durch den fränkischen Wald bei Ochsenfurt gegangen. Mein Vater hat, wie so oft, Steine umgedreht, um nach der Ameisengrille Ausschau zu halten – und da sah ich plötzlich eine Rossameisen- Kolonie, die Ameisen liefen wild durcheinander und brachten ihre Larven und Puppen in Sicherheit – und versickerten förmlich wie Wasser unter der Erde. Diese Erfahrung war ein echtes Schlüsselerlebnis. ...
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben