Beschleunigungsphysik: Die ultimative Röntgenmaschine
Kein Atom, Molekül oder Staubteilchen hat eine Überlebenschance, wenn es in den Brennpunkt des weltstärksten Röntgenlasers LCLS gerät. In weniger als einer billionstel Sekunde erhitzt sich die bestrahlte Substanz auf mehr als eine Million Grad Celsius – das ist eine Temperatur wie in der Sonnenkorona. Bombardiert mit solch extremer Strahlung verliert zum Beispiel ein Neonatom alle seine zehn Elektronen und zerstiebt explosionsartig.
Erstaunlicherweise schlägt der Laser erst die inneren, dann die äußeren Elektronen eines Atoms heraus. Denn die Elektronen, die den Atomkern vereinfacht gesagt auf zwiebelschalenartigen Bahnen umschwirren, reagieren auf Röntgenstrahlen unterschiedlich. Die Exemplare in den äußeren Schalen sind für energiereiche Photonen fast transparent, so dass die meiste Strahlung auf die innerste Schale trifft – ähnlich wie in der Mikrowelle der Kaffee längst heiß geworden ist, bevor sich auch die Tasse selbst erhitzt.
Das hat ungewöhnliche Folgen: Werden die beiden Elektronen der innersten Schale herauskatapultiert, hinterlassen sie eine Lücke; das Atom ist sozusagen hohl geworden. Innerhalb weniger Femtosekunden (eine Femtosekunde entspricht 10–15 Sekunden) nehmen dann andere, äußere Elektronen ihre Plätze ein. Dieser Zyklus aus Lochbildung und Wiederauffüllung wiederholt sich so lange, bis keine Partikel in der Hülle mehr übrig sind. Ein solcher exotischer Materiezustand existiert jedoch nur während weniger Femtosekunden. In Festkörpern zerfällt er in einen ionisierten Zustand, der von Fachleuten als warme dichte Materie (WDM) bezeichnet wird, ein Mittelding zwischen Plasma und Festkörper. Es tritt normalerweise nur unter extremen Umständen auf: bei Fusionsreaktionen von Atomkernen oder im Inneren großer Planeten.
Der Röntgenlaser LCLS (Linac Coherent Light Source), der diese exotischen Vorgänge sicht- und messbar macht, ist am kalifornischen SLAC National Accelerator Laboratory, kurz SLAC, beheimatet, das von der Stanford University betrieben wird. Er basiert auf dem dortigen Linearbeschleuniger, dem in den 1960er Jahren gebauten SLAC linac. Mit diesem Gerät gelangen zahlreiche Entdeckungen – drei davon mit dem Nobelpreis ausgezeichnet –, welche die USA für Jahrzehnte an der Spitze der Teilchenphysik hielten. Nachdem es unter großem Aufwand umgebaut worden war, ging es im Oktober 2009 als LCLS wieder in Betrieb.
Dieser hat seither für zahlreiche Forschungsgebiete eine ähnliche Bedeutung erlangt, wie sie der Large Hadron Collider am CERN bei Genf für die Teilchenphysik besitzt. Atom- und Plasmaphysik sowie die Physik der kondensierten Materie profitieren ebenso wie Biologie und Chemie von seiner Fähigkeit, die Bausteine der Materie mit extrem hoher Energie zu zertrümmern und sie in neue Zustände zu überführen – oder auch davon, dass er wie ein riesiges Mikroskop mitten in das Reich der Quanten zoomen kann. Die Röntgenpulse des LCLS können so extrem kurz sein, nämlich nur wenige Femtosekunden lang, dass sie atomare Bewegungen nahezu einfrieren. Dadurch sind Physiker in der Lage, chemische Reaktionen in kleinsten Zeitschritten zu verfolgen. Zugleich sind die Pulse so hell, dass sich sogar zerbrechliche Proteine und andere Biomoleküle abbilden lassen, noch bevor der Aufprall des Lichts sie zerstört. ...
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben