Konnektomik: Das Netzwerk des Geistes
Netzwerke bestimmen unser Leben. Jeden Tag nutzen wir einen komplexen Verbund von Straßen, Schienen, Schifffahrtswegen oder Flugrouten. Hinzu kommen andere, die sich unserer unmittelbaren Anschauung entziehen, wie das World Wide Web, das Stromnetz und nicht zuletzt das Universum, in dem die Milchstraße einen winzigen Knotenpunkt in einem scheinbar unendlichen Geflecht von Galaxien darstellt. Doch nur wenige von ihnen erreichen die Komplexität der neuronalen Netzwerke in unserem Kopf.
Hirnforscher demonstrieren die Aktivität von Hirnarealen gern anhand farbig gestalteter Illustrationen. Darin markieren sie die Regionen, die während einer mentalen Aufgabe im Hirnscanner »aufleuchten«, wie etwa der Hinterhauptslappen beim Sehen oder der Schläfenlappen, wenn wir uns an etwas erinnern. Was aus diesen Darstellungen jedoch nicht hervorgeht, ist die Tatsache, dass die Areale in hohem Maße miteinander vernetzt sind und rege untereinander Informationen austauschen. Denn die eigentliche Grundlage unseres Denkens ist ein Netzwerk von knapp 100 Milliarden Neuronen mit mindestens 100 Billionen Verknüpfungspunkten, den Synapsen.
Um die komplexen neuronalen Interaktionen zu untersuchen und vorherzusagen, nutzen unsere Arbeitsgruppe und andere Forscherteams Methoden der Mathematik. Eine davon ist die Graphentheorie. Dabei machen wir Folgendes: Wir modellieren aus den Daten von Hirnbildgebungsverfahren Graphen mit so genannten Knoten und Kanten. Erstere stellen die Einheiten des Netzwerks dar, beispielsweise die Neurone. Wir können sie uns bildlich als Flughäfen vorstellen. Die Kanten hingegen symbolisieren die Verbindungen dazwischen, also die Nervenzellfortsätze, die als Trakte der weißen Substanz Hirnregionen miteinander verschalten. In unserem Bild entsprechen sie den Flugrouten des Luftverkehrs. Unsere aktuellen Modelle reduzieren das menschliche Gehirn auf einen Graph mit etwa 300 Knoten.
Die Funktionsweise der Netzwerke lässt sich am besten mit einem Sinfonieorchester vergleichen. Bislang analysierten Neurowissenschaftler die Arbeitsweise einzelner Hirnregionen weitgehend isoliert. Sie hörten quasi Streicher, Blechbläser, Holzbläser et cetera jeweils einzeln. Es ist zwar auch interessant zu erfahren, wie die Amygdala Emotionen verarbeitet oder auf welche Weise die erste Geige Töne erzeugt. Doch selbst die detaillierteste Analyse aller Hirnregionen verrät uns nicht, wie das Gehirn als Ganzes funktioniert – genauso wenig wie ein komplettes Instrumentenverzeichnis die Partitur einer Beethovensinfonie liefert ...
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