Menschenkopien: Ein Roboter wie du und ich?
Hiroshi Ishiguro legt die Hand auf die Schulter von Geminoid HI, der das gleiche schwarz glänzende Haar wie er hat, die gleiche Goldkette trägt und ihm auch sonst wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Eineiige Zwillinge mit dem gleichen Kleidergeschmack? Fehlanzeige. Herr Ishiguro von der Universität Osaka in Japan hat den Androiden Geminoid HI selbst erschaffen! Ein Androide ist ein Roboter, der wie ein echter Menschen aussieht – so ähnlich wie eine Wachspuppe. Umso gruseliger wirkt es dann, wenn die "Wachspuppe" auf einmal zum Leben erwacht, ein paar Mal blinzelt und die Lippen bewegt. Aus Lautsprechern ertönt ein "Konnichiwa" – "Guten Tag" auf Japanisch. Seine Worte und Bewegungen steuert ein Mensch in einem Kontrollraum. Hiroshi Ishiguros Traum ist es, mit Hilfe seines Doppelgängers an zwei Orten gleichzeitig zu sein: Wenn er etwa auf einer Konferenz eingeladen ist, könnte er den Geminoiden hinschicken und von zu Hause aus kontrollieren, was der Androide sagt und macht.
Neben seiner eigenen Kopie hat der Roboterprofessor außerdem die Abbilder einer japanischen Nachrichtensprecherin (Geminoid F) und eines dänischen Professors (Geminoid DK) erschaffen – und einen Androiden, der aussieht wie seine eigene Tochter! Ein Video des ungewöhnlichen Kaffeekränzchens von Geminoid HI, Geminoid F und Geminoid DK mitsamt ihren menschlichen Vorbildern und weitere Videos der drei Androiden könnt ihr euch auf unserer Youtube-Playlist hier unten ansehen.
Ganz schön gruselig, oder? Tatsächlich denken einige Forscher, dass wir es mit der Menschenähnlichkeit von Robotern nicht übertreiben sollten: Wenn künstliche Wesen zu sehr wie wir selbst aussehen, mache uns das Angst, besagt eine Theorie. Vor Robotern, die uns Menschen zwar ähneln, aber von unserem Äußeren noch weit genug entfernt sind, gruseln wir uns hingegen nicht. Das ist wahrscheinlich so, weil wir bei künstlichen Wesen mit einer Blech- oder Plastikhülle sowieso erwarten, dass sie sich etwas befremdlich verhalten werden. Starrt uns jedoch eine täuschend echte Nachbildung eines Menschen mit seinen unbelebten Augen an, kriegen wir es mit der Angst zu tun.
Können Maschinen denken?
Ein bekanntes Beispiel für diese "harmlosen Blechbüchsen" sind humanoide Roboter, wie zum Beispiel der Protokolldroide C-3PO aus "Star Wars" oder Nao (ein Bild von Nao seht ihr weiter unten im Text). "Humanoid" bedeutet hier, dass sie eine menschenähnliche Gestalt haben – zwei Arme, zwei Beine, einen Kopf mit zwei Augen, einem Mund und einer Nase –, aber dennoch leicht von einem Menschen zu unterscheiden sind.
Viel interessanter als das Aussehen ist aber die Frage, ob Maschinen auch so handeln, denken und fühlen können wie wir Menschen. Alan Turing, ein genialer englischer Mathematiker, schlug 1950 vor: Ein Computer ist dann so wie wir, wenn wir ihn in einem Gespräch nicht mehr von einem echten Menschen unterscheiden können. Im so genannten Turing-Test chattet ein Mensch entweder mit einem Computerprogramm oder mit einem Erdenbürger aus Fleisch und Blut. Gelingt es der Maschine, dem Tester weiszumachen, dass er es mit einem Menschen zu tun hat, ist das laut Turing Beweis genug dafür, dass sie sich verhält wie du und ich.
Klingt ganz einfach. Doch bis jetzt gibt es kein einziges Computerprogramm, das den Turing-Test besteht. Ein Wettbewerb, der den Turing-Test umsetzt, ist der Loebner-Preis: Bei dem hat aber noch kein Computer mehr als eine Bronzemedaille gewonnen. Für eine Silbermedaille müsste mindestens die Hälfte der Juroren nach einem 25-minütigen Gespräch davon überzeugt sein, mit einem Menschen statt einer Maschine zu chatten. Ein Computerprogramm, das einige Menschen zumindest für einige Zeit überlistet hat, ist ELIZA – ein Programm, das bereits Mitte der 1960er Jahre der deutsch-amerikanische Informatiker Joseph Weizenbaum entwickelte. ELIZA tut so, als würde sie uns zuhören und für unsere Probleme eine Lösung finden wollen. Ein Gespräch mit ELIZA geht etwa so:
ELIZA: Hallo! Was kann ich für dich tun?
Mensch: Meine beste Freundin spricht nicht mehr mit mir.E: Verstehe.
M: Vielleicht ist sie sauer, weil ich neulich nicht mit ihr Eis essen war.E: Ok.
M: Aber deswegen muss sie mich doch nicht links liegen lassen!
E: Erzähl weiter.
M: Ich bin traurig und weiß nicht, was ich tun soll.
Bis hierhin wirkt ELIZA genauso, wie man sich eine Freundin vorstellt: Sie scheint interessiert und drängt einen nicht, mit den eigenen Problemen herauszurücken. Sie zeigt Verständnis und scheint sehr geduldig zu sein. Aber schaut einmal, wie so ein Gespräch weitergeht:
E: Drücke ich mich zu kompliziert aus?
M: Aber du sagst doch gar nichts.
E: Mach weiter.
M: Nun ja, ich würde dich gerne um Rat fragen. Was soll ich tun?
E: Verstehe.
M: Verstehst du wirklich, wie es mir hier geht?
E: Was willst du eigentlich wissen?
ELIZA ist weder besonders einfühlsam noch hilfreich. In Wahrheit versteht sie nämlich gar nichts! Doch selbst wenn es einer Maschine gelingen sollte, den Turing-Test zu bestehen, könnte es sein, dass sie uns ein sinnvolles Gespräch nur vorgaukelt – sie tut eben nur so und hat doch keine Ahnung, worum es geht.
Der US-amerikanische Philosoph John Searle findet, das sei ungefähr so, als würde jemand chinesische Schriftzeichen nachmalen, ohne eine Ahnung zu haben, was sie bedeuten. Auch Roboter sagen höchstens das, was wir hören wollen – aber sie selbst bleiben ahnungslos und machen nur das, wofür sie programmiert wurden. So kann auch ELIZA nicht mehr, als uns die Wörter im Mund herumzudrehen und vorgefertigte Sätze abzuspulen. Wissen besitzt sie keines, und sie fühlt auch nicht mit uns mit, wenn es uns schlecht geht.
Aber genau das gehört zum Menschsein dazu! Dass mein Gegenüber mir zuhört, dass es mich versteht, dass es selbst mit mir reden möchte und auch sonst seinen eigenen Kopf hat.
So ist Max: ein zuvorkommender junger Mann, der am liebsten Jeans und einen lila Pulli trägt. Er kommt aus Bielefeld, wo er im Jahr 2000 von dem Informatiker Ipke Wachsmuth und seinem Team geschaffen wurde. Denn Max ist eigentlich kein Mann, er ist ein virtueller Roboter. Das heißt, dass er nicht in unserer echten Welt existiert, sondern nur auf einem Bildschirm, ungefähr so wie eine Figur in einem Computerspiel. Treffen kann man ihn in Professor Wachsmuths Labor in Bielefeld oder im Heinz-Nixdorf-Museum in Paderborn.
Max erscheint gar nicht so künstlich. "Hey, komm doch mal rüber zu mir und unterhalte dich mit mir", sagt Max, wenn man an ihm vorbeigeht. Allein scheint er nicht gerne zu sein, dann sieht er gelangweilt aus und wippt von einem Fuß auf den anderen. Wenn wir aus dem Haus gehen, kann Max uns verraten, ob wir einen Regenschirm brauchen oder nicht, denn Max ist mit dem Internet verbunden. So kann er auf Unmengen von Informationen zugreifen; er weiß, was gerade in der Welt vor sich geht, und auch, wo es demnächst regnen wird. Max weiß also mehr als so manch ein Mensch. Und doch zeigt er ganz ähnliche Macken wie wir: "Das lasse ich mir nicht bieten, mit dir rede ich nicht mehr!" – Auf ein böses Wort hin verschwindet Max für zwei Stunden vom Bildschirm. Kein gutes Zureden kann ihn wieder herlocken, so gekränkt scheint er.
Max zeigt Emotionen: Er wirkt fröhlich, wenn sich Menschen mit ihm beschäftigen, und traurig oder verärgert, wenn sie ihn nicht anständig behandeln. Aber was unterscheidet Max vom Menschen? "Max ist kein biologisches Wesen wie du und ich", sagt Ipke Wachsmuth. "Er besteht aus Bits und Bytes. Er muss nicht schlafen, braucht kein Essen. Und er ist schon verdammt höflich, denn er will ja immer helfen." Auffällig sind auch seine stockende Stimme und seine abgehackten Bewegungen. Roboterhaft eben. Außerdem kann man ihn nicht anfassen, er lebt nur in der virtuellen Realität.
Wer bin ich überhaupt?
"Max hat kein Bewusstsein, auch wenn er manchmal so tut", erklärt Ipke Wachsmuth. Bewusstsein, das bedeutet, nicht nur Sachen zu machen, zu denken und zu fühlen, sondern sich auch darüber im Klaren zu sein, dass man diese Sachen macht, dass man denkt und fühlt. Und vor allem zu verstehen, dass ich es bin, der gerade handelt oder nachdenkt. Wenn ich also eine teure Vase fallen lasse und meine Mutter mir daraufhin böse ist, weiß ich, dass es mein Handeln war, das sie verärgert hat. Für viele ist das Bewusstsein die entscheidende Eigenschaft, die uns zum Menschen macht.Wenn Max aber Fehler unterlaufen, merkt er das gar nicht. Er kann nicht einschätzen, was er tut und sagt. Als Max noch jung war, besuchte ihn einmal die Fernsehmoderatorin Mirjam Weichselbraun. Auf die Frage, wie es ihr gehe, antwortete sie: "Mir geht es gut, danke." Max wusste darauf nichts Kluges mehr zu sagen und plapperte ihr einfach nach: "Dir geht es also gut, danke." Danach verging Mirjam natürlich die Lust am Gespräch mit Max. Der aber hatte keine Ahnung, was gerade schiefgelaufen war, und wartete gespannt auf die nächste Frage.
Max hat keine Vorstellung davon, wer er ist. Das fällt uns nur nicht auf, weil er ständig Sachen sagt wie "Ich langweile mich" oder "Ich zeige Ihnen jetzt, wo die Toiletten sind". So erscheint Max wie eine Person, aber er ist keine. Dennoch reicht das aus, um mit ihm zurechtzukommen. Wir brauchen keine komplizierte Bedienungsanleitung, um aus Max herauszukriegen, ob es heute regnen wird. Wir fragen ihn einfach, so wie wir es bei jedem Menschen machen würden. Dazu muss er kein Bewusstsein haben.
Bewusste Maschinen
Warum es uns nicht komisch vorkommt, mit einem Computerprogramm zu reden? Weil wir sowieso ganz oft so tun, als hätten Gegenstände um uns herum menschliche Eigenschaften: Wenn wir morgens spät dran sind und nur noch schnell im Internet nachschauen wollen, wann die nächste Bahn fährt, denken wir oft, unser Smartphone "will" uns ärgern und trennt deshalb die Verbindung zum Internet!
Aber könnte Max denn irgendwann eine Person mit Bewusstsein werden? Tatsächlich hat sich die Technik in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. "Ich halte es grundsätzlich für möglich, dass Max eines Tages Bewusstsein hat", sagt Ipke Wachsmuth. Das Problem ist nur: Bis heute weiß niemand, wie genau bei uns Menschen das Bewusstsein entsteht.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass komplizierte Vorgänge im Gehirn dafür verantwortlich sind. Hirnforscher vergleichen dazu beispielsweise, was die Zellen in unserem Gehirn tun, wenn wir schlafen und gerade keinen Traum haben – also nicht bei Bewusstsein sind – beziehungsweise wenn wir wach und aktiv sind – also bei Bewusstsein. Dabei passiert so vieles an so vielen verschiedenen Orten im Kopf, dass es noch keine klare Antwort darauf gibt, wie das Bewusstsein genau funktioniert. Ein paar Wissenschaftler sind jedoch der Meinung, dass man das Bewusstsein auch gar nicht ganz verstehen muss, um es Robotern einzupflanzen. Wie das Fliegen funktioniert, habe auch niemand so richtig verstanden, als die ersten Flugzeuge gebaut wurden! Mit dem Roboterbaby Diego-San zum Beispiel untersuchen US-amerikanische Forscher, wie sich das Bewusstsein beim Neugeborenen bildet. Wie ein menschliches Baby lernt Diego-San seinen eigenen Körper und seine Umwelt kennen. Indem der kleine Kerl selbst Erfahrungen macht, müssen die Forscher ihm viel weniger Wissen und Regeln einprogrammieren. Vielleicht entwickelt sich so wie bei Kleinkindern eine Art Bewusstsein?
Und weil das nicht völlig ausgeschlossen ist, sagen einige Philosophen, dass wir für den Ernstfall gewappnet sein sollten: Eines Tages könnten wir plötzlich mit Maschinen zusammenleben, die genauso denken und empfinden wie wir. Und dann wird ein großer Streit anfangen: Soll es spezielle Gesetze für den Umgang mit Robotern geben? Oder sollten Maschinen genauso wie wir Menschen behandelt werden? Wenn mein Roboter etwas kaputt macht, muss er dann für den Schaden bezahlen oder ich? Und darf man einen Roboter einfach an- und ausschalten, wie man möchte? Darüber müssen vor allem die Forscher nachdenken, die ebendiese Roboter bauen. Und dazu zählt auch die Frage: Wollen wir überhaupt, dass Maschinen Bewusstsein haben?
Künftig werden wir viel mehr mit Robotern zu tun haben. Deshalb meinen manche Experten, wir sollten sie auch als Gefährten sehen und nicht als bloße Maschinen. Denn was uns menschlich macht, ist vor allem, dass wir gerne mit anderen Menschen zusammen sind. Und deswegen sollten sich die Roboter von morgen möglichst so wie wir verhalten. Wenn es jedoch um das Aussehen geht, spalten sich die Meinungen: Im technikbegeisterten Japan sind die Menschen ganz verrückt nach den Geminoiden, während den meisten Deutschen die Menschenkopien vor allem unheimlich sind. Vielleicht müssen wir uns erst einmal langsam an Max & Co. herantasten.
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