Kränkungen: Ein zweischneidiges Schwert
Der moderne Mensch ist ein empfindsames Wesen. Eine dumme Bemerkung oder eine unpassende Geste des Gegenübers, schon fühlt er sich abgewertet, übergangen oder ungerecht behandelt. Zurückweisung und Respektlosigkeit, oft als Witz getarnt, hat jeder schon einmal erlebt. Doch viele, so scheint es, fühlen sich heute schneller und heftiger gekränkt als je zuvor.
Manche Psychologen konstatieren eine wachsende Empfindlichkeit in unserer Gesellschaft. Verbale Verletzungen und mangelnde Rücksichtnahme sind zu einem medialen Dauerbrenner geworden, Diskriminierung und Sensibilität schon im Kindergarten ein Thema.
Dass wir einander grundsätzlich mit mehr Boshaftigkeit begegnen, scheint allerdings wenig plausibel. Die meisten Menschen wollen anderen nicht zu nahe treten, sondern im Gegenteil verständnisvoll und zugewandt sein – und mühen sich redlich, diesem Ideal nahezukommen. Je mehr sich aber der Einzelne damit identifiziert, desto größer ist womöglich die Enttäuschung, wenn der Applaus für ihn selbst ausbleibt.
Das Gefühl, zurückgesetzt zu werden, gilt als ein Kernelement des Narzissmus, den Forscher wie die Sozialpsychologin Jean Twenge von der San Diego State University in der westlichen Kultur auf dem Vormarsch sehen. In einer viel zitierten Metastudie von 2008 berichtete ein Team um Twenge von einer deutlichen Zunahme der Ichbezogenheit unter US-Collegestudenten zwischen 1982 und 2006. Demnach stiegen die erzielten Werte in einem aus 40 ichbezogenen Statements bestehenden Narzissmus-Fragebogen, dem Narcissistic Personality Inventory (NPI), seit Anfang der 1980er Jahre um durchschnittlich 30 Prozent ...
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben