Tulpenkrise: Als Blumen den ersten Börsencrash auslösten
Im niederländischen Keukenhof herrscht zwischen Ende März und Ende Mai der Ausnahmezustand: Millionen von Tulpen blühen jedes Jahr in dem 32 Hektar großen Landschaftspark. 800 verschiedene Sorten gibt es dort insgesamt, die aus rund 150 Arten der Gattung Tulipa gezüchtet werden. Sie gedeihen in allen nur denkbaren Farben und Blütenformen und machen den Park zum Wallfahrtsort für Tulpenliebhaber aus aller Welt: Papageientulpen mit ihren typischen fedrigen Blatträndern, zarte, schlanke Lilientulpen, kompakte gefüllte Tulpen, Darwintulpen mit besonders leuchtenden Farben, Regenbogentulpen, die genauso gemustert sind, wie der Name schon sagt. Und natürlich die schlichten Tulpen, die im Frühjahr, neben den exotischeren Tulpensorten, zum festen Repertoire eines jeden Blumenhändlers gehören. 80 Prozent der Tulpen, die wir heute kaufen, stammen von Tulpenfarmen aus den Niederlanden, die damit unangefochtener Marktführer sind.
Blumenliebhaber bezahlen im Laden vier oder fünf Euro für ein Sträußchen der bunten Schnittblumen und nicht sehr viel mehr für ein Säckchen mit Tulpenzwiebeln zum Selbstaussäen. Kaum jemand kann sich heute wahrscheinlich vorstellen, dass Tulpenbegeisterte für eine Hand voll Zwiebeln einst den Gegenwert eines schmucken Grachtenhauses in der Amsterdamer Innenstadt bezahlten und dass Tulpen einen der ersten Börsencrashs der Geschichte auslösten. So geschehen in den Niederlanden während des so genannten Tulpenfiebers in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als Tulpen Statussymbole der Wohlhabenden und unverzichtbares Accessoire waren – und Spekulationsobjekt. Diese Tulpenmanie erreichte 1637 ihren Höhepunkt und führte schließlich zum Crash. Und ebenso wie die geplatzte Immobilienblase vor gut zehn Jahren in den USA hinterließ auch der Zusammenbruch des Tulpenmarktes viele ruinierte Opfer unter adeligen wie bürgerlichen Sammlern.
Diese Wirtschaftskrise ist eng verbunden mit der Kultivierungsgeschichte von Tulipa selbst. Sie gehört zu den Liliengewächsen, und ihre Arten sind von Nordafrika über Europa bis nach Zentralasien verbreitet. Der Name ist türkischer (»tülbend«) beziehungsweise persischer (»dulband«) Herkunft und bezeichnet eigentlich einen Turban. Tatsächlich ähnelten die Turbantücher reicher Osmanen in Gestalt und Farbe ein wenig Tulpen.
Vom Orient nach Holland
Die ursprüngliche Heimat unserer Tulpen ist der Nahe und Mittlere Osten. Schon Perser und Türken kultivierten sie: Die ersten Texte, die Tulpen erwähnen, entstammen altpersischer Literatur aus dem 9. Jahrhundert. Die Pflanzen waren auch beliebte Motive auf Keramik und Kleidung. Experten gehen heute davon aus, dass Tulpen etwa seit dem 16. Jahrhundert als Gartenpflanzen weit verbreitet sind. Um diese Zeit etwa kam die lange, schlanke Blume als Mitbringsel von Kaufleuten, die Samen und Zwiebeln mit sich führten, aus der Türkei nach Mittel- und Westeuropa.
Die erste Tulpe brachte vermutlich ein Habsburger Diplomat von Konstantinopel nach Wien. Auch in Deutschland und den Niederlanden löste die Gartenpflanze Begeisterung aus. Bereits 1559 pflegte ein Augsburger Kaufmann in seinem Garten Tulpen. Der Schweizer Naturforscher Conrad Gesner (1516-1565) sah sie dort; er gilt als einer der Ersten, der Tulpen ausführlich in den Forscherblick nahm und beschrieb. Auf ihn berief sich wiederum Carl von Linné (1707-1778) in seiner Artenbeschreibung »Species Plantarum« 1753.
Eine besondere Rolle bei der weiteren Verbreitung des Gewächses spielte der niederländische Botaniker Carolus Clusius (1526-1609), Präfekt des Botanischen Gartens in Leiden und Professor an der dortigen Universität. Er setzte die erste Tulpenzwiebel 1593 – und kultivierte später Hunderte von Sorten. Dank des regen Tauschhandels, den Clusius mit anderen Botanikern in ganz Europa unterhielt, entwickelte sich Holland bald zum Zentrum der Tulpenzucht und des Handels mit den begehrten Blumen. Erste ausführlichere wissenschaftliche Arbeiten über die Tulpen stammen von ihm – er beschreibt darin etwa seine Erkenntnisse über die Aufzuchtbedingungen von Tulpen. Clusius' Überlegungen, die Tulpe als Heilpflanze zu nutzen, zerschlugen sich bald: Zwiebel und Spross enthalten das giftige Tulipanin. Die Vergiftungssymptome können heftig ausfallen, wenn man eine Tulpenzwiebel mit einer Gemüsezwiebel verwechselt: Erbrechen, Magen- und Darmbeschwerden, in besonders schweren Fällen sogar Atemstillstand.
Vom Liebhaberpflänzchen zum Spekulationsobjekt
Die Blumen pflanzte man zunächst nur in privaten Gärten an und tauschte sie – diskret, bei Sammlerzusammenkünften unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die älteste heute noch erhaltene Sorte stammt aus dem Jahr 1620 und heißt »Lac van Rijn«. Sie blüht burgunderrot mit einem breiten elfenbeinfarbenen Saum. Dass Tulpen seinerzeit wie wertvolle Edelstein gehütet wurden, erklärt sich auch damit, dass ihre Zucht eine langwierige Angelegenheit war – und es auch im 21. Jahrhundert noch ist: 20 Jahre kann es dauern, bis eine neue Sorte reif für den Handel ist.
Es beginnt – damals wie heute – mit dem gezielten Kreuzen von zwei Tulpen. Die Pflanzen werden heute allerdings im Gewächshaus kultiviert, um Fremdbestäubung zu verhindern und keine ungewollten Überraschungen zu erleben. Der Pollen der Vaterpflanze wird auf die im Blütenkelch befindliche Narbe des Blütenstempels der Mutterpflanze übertragen. Nach der Befruchtung bilden sich die Tulpenfrüchte mit den Samen. Im Herbst sind die Früchte reif und geben ein paar hundert Samen frei.
Diese werden dann Mitte Oktober bis Ende November im Gewächshaus ausgesät. Im nächsten Frühjahr hat man Jungpflanzen mit einem schmalen Blatt und einer kleinen Zwiebel. Erst im dritten Jahr werden die Zwiebeln vom Gewächshaus ins Freiland umgesetzt. Zur ersten Blüte kommen die jungen Tulpen im fünften oder sechsten Lebensjahr. Erst dann ist für den Züchter erkennbar, welches Ergebnis seine Kreuzung hervorgebracht hat. Ist er mit dem Ergebnis zufrieden, wird die neue Sorte klassifiziert und registriert.
Neue Zwiebeln werden im Herbst als kleine Tochterzwiebeln von der Mutterzwiebel geerntet. Die Tochterzwiebel liegt im Winter im Boden. Dort bildet sich die erste Blattanlage. Und so weiter. Tulpen benötigen die Kälte des Winters und die wieder steigenden Temperaturen im Frühjahr für den Austrieb.
Anfällig für Viren
Durch die intensive Zucht der Tulpen schon zu Clusius' Zeiten wurden sie anfällig für Viren – insbesondere für das Tulip Breaking oder Breeding Virus oder auch Tulip Mosaic Virus (lesen Sie dazu auch das Interview mit Karin Mölling, die den Zusammenhang entdeckt hat). Es war mitschuldig am Hype und Zusammenbruch des Tulpenmarktes. Es vernichtete die Tulpenernten nicht, sondern – im Gegenteil – führte zunächst zu ungewöhnlich schönen Blütenfarben und Mustern, nach denen Tulpensammler verrückt waren. Und das war ein trügerisches Geschäft, wie sich bald herausstellen sollte. Denn die ungewöhnlichen Blütenmuster, die eine einzelne Zwiebel so wertvoll machten, sorgten dafür, dass Sammler sie wie Kleinode hüteten. Tulpendiebe brachen in die Gärten reicher Bürger und in den Botanischen Garten ein und stahlen Pflanzen und Zwiebeln.
Gedacht waren sie nicht für den sofortigen Verkauf, sondern um im Verborgenen selbst zu züchten und die Frucht des Diebesguts später unter der Hand für horrende Preise an Tulpenliebhaber zu verkaufen. Auf Auktionen erzielten einzelne Zwiebeln – nach heutigem Wert – 25 000 Euro oder mehr. Rembrandt erlöste damals mit einem Gemälde weniger, obwohl er gut im Geschäft war. Alle Rekorde brach schließlich auf dem Höhepunkt der Tulpenmanie die »Semper Augustus« – eine weiß-rot gestreifte Tulpe, für deren Zwiebel man heute umgerechnet eine Million Euro bezahlt hätte.
Der Haken an der Sache war: Die kranken, virusbefallenen Tulpen waren im Grunde wertlos. Die Blütenpracht wiederholte sich, wenn überhaupt, höchstens ein-, zweimal, danach starben die Pflanzen. Die Sammler investierten also in etwas, was es nicht gab – sie gaben ihr Geld nur wegen eines Versprechens auf eine prächtige Tulpe. Das führte für viele geradewegs in den finanziellen Ruin. Sie investierten, weil sie es nicht besser wussten – und weil alle investierten und man sich von anderen nicht ausstechen lassen wollte beim Kampf um die schönste Tulpe.
Vom Luxusprodukt zum Allerweltsgut
Nach dem Zusammenbruch des überhitzten Tulpenmarktes normalisierten sich die Preise wieder. Das läutete zugleich die Ära der Tulpe als für alle Schichten erschwingliche Zierpflanze ein. Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in den Niederlanden die gezielte Züchtung von neuen Sorten. In Deutschland werden übrigens nur vereinzelt Tulpen gezüchtet, die Züchter konzentrieren sich auf die Region Niederrhein um Neuss herum. Die über Jahrhunderte kultivierte Expertise war und ist in den Niederlanden, wo auf insgesamt 9500 Hektar Tulpen angebaut werden. Das flache Land ist perfekt für den Anbau auf riesigen Flächen geeignet. Denn wer die Blumen züchtet, braucht vor allem Platz: Neben den Feldern mit für den Großhandelsverkauf bestimmten Schnittblumen – jenen Tulpen also, die in den Blumenläden landen – nehmen die Felder für die Produktion neuer Zwiebeln viel Platz ein. Dort werden Mutterpflanzenbestände aufgebaut, von denen sich jährlich mehrere tausend Zwiebeln für den Verkauf ernten lassen. Sie werden jedes Jahr geerntet, sortiert und neu aufgepflanzt.
Unmittelbar nach dem Aufblühen werden auf diesen Feldern alle Pflanzen kontrolliert und jene aussortiert, die der gewünschten Qualität in Bezug auf Farbe, Form, Blütengröße oder Stiellänge nicht entsprechen – damit sie sich nicht weiter vermehren und die Sorte rein bleibt. Danach werden die Tulpen mit einer speziell dafür entwickelten Maschine geköpft. Der Sinn dahinter: Die Pflanze soll ihre Kraft nicht unnötig in die Bildung von Samen verschwenden, sondern die ganze Energie in die Bildung von kräftigen Zwiebeln stecken.
Etwa 4200 verschiedene Sorten soll es heute weltweit geben. Um den Überblick nicht zu verlieren, wurde vor 100 Jahren ein System zur Klassifizierung der Tulpen eingeführt. Heute werden Neuzüchtungen nach ihrer Blütezeit, ihrer Abstammung und ihrer Blütenform in eine von 15 Klassen eingeordnet und mit Namen wie »Angélique«, »Blue Parrot« oder »Orange Princess« versehen – was auch 380 Jahre nach der Krise immer noch schön klingt.
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