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Antibiotikaresistenzen: Fast zwei Millionen Tote jährlich befürchtet

Vor allem ältere Menschen werden unter der wachsenden Gefahr durch resistente Keime zu leiden haben. Gleichzeitig würde eine verbesserte Versorgung Millionen Menschenleben retten.
Ein Patient liegt im OP und wird operiert
Die Infektion mit resistenten Erregern erfolgt häufig im Krankenhaus. Deshalb lässt sich bereits durch verbesserte Hygiene die Zahl der Krankheitsfälle verringern (Symbolbild).

Bis 2050 könnten mehr als 39 Millionen Menschen an Infektionen sterben, die durch resistente Bakterien verursacht werden. Das zeigt eine neue Analyse, die in der Fachzeitschrift »The Lancet« veröffentlicht wurde.

Zwischen 1990 und 2021 starben jährlich mehr als eine Million Menschen, weil Antibiotika nicht mehr wirkten. Diese Zahl könnte sich bis 2050 auf fast zwei Millionen pro Jahr erhöhen.

Zugleich könnten zwischen 2025 und 2050 rund 92 Millionen Leben gerettet werden, wenn der Zugang zu geeigneten Antibiotika weltweit verbessert und Infektionen besser behandelt würden, schätzen die Autoren der Studie.

»Dieser Bericht hilft uns zu verstehen, wie wir in diese Lage geraten sind und welche Belastung durch Antibiotikaresistenz in Zukunft auf uns zukommt«, sagt Joseph Lewnard, Epidemiologe an der University of California in Berkeley.

Timothy Walsh, Mikrobiologe an der University of Oxford, betont: »Die tatsächliche Zahl der Betroffenen könnte sogar noch höher sein, besonders in Ländern mit schlechter Datenlage.« Der Bericht zeigt auch, dass das Ziel der Vereinten Nationen, die Zahl der Todesfälle durch Resistenzen bis 2030 zu senken, wohl nicht erreicht wird.

Sinkende Todesraten bei Kindern

Die Forschenden untersuchten Daten aus 204 Ländern und analysierten 22 Erreger, 84 Kombinationen aus Bakterien und resistenten Medikamenten sowie elf Krankheiten, darunter Blutvergiftungen und Meningitis. Die Todesrate bei Kindern unter fünf Jahren sank in den letzten 30 Jahren um mehr als 50 Prozent. Bei Menschen über 70 Jahren stieg sie jedoch um 80 Prozent.

Besonders dramatisch ist der Anstieg der Todesfälle durch Staphylococcus aureus. Dieses Bakterium verursacht Infektionen der Haut, des Bluts und der inneren Organe. Hier stiegen die Todesfälle um mehr als 90 Prozent. Auch gramnegative Bakterien wie Escherichia coli und Acinetobacter baumannii, die oft in Krankenhäusern auftreten, stellen ein wachsendes Problem dar. Diese Bakterien sind resistent gegen Carbapeneme, eine Klasse von Antibiotika, die bei schweren Infektionen eingesetzt wird. Die Todesfälle durch diese resistenten Bakterien nahmen um fast 150 Prozent zu.

Bis 2050 könnten durch Antibiotikaresistenzen jährlich 1,91 Millionen Menschen sterben. Zusätzlich könnten mehr als acht Millionen Menschen Krankheiten erliegen, die durch resistente Bakterien verschlimmert werden. Besonders betroffen wären Menschen über 70, die mehr als 65 Prozent der Todesfälle ausmachen könnten.

Bessere Versorgung statt neuer Wirkstoffe

»Die Ergebnisse zeigen, dass wir Probleme bei der Qualität der Gesundheitssysteme und der Infektionsprävention haben«, sagt Mohsen Naghavi, Mediziner von der University of Washington in Seattle und einer der Autoren der Studie.

Länder in Süd- und Mittelamerika, der Karibik und Südasien sind besonders stark betroffen. Strategien zur Bekämpfung von Resistenzen müssten vor allem diese Regionen in den Fokus nehmen, meinen die Wissenschaftler. Laut Timothy Walsh seien mehr Investitionen nötig, um Krankenhäuser in ärmeren Ländern mit Diagnosetools, Antibiotika, sauberem Wasser und sanitärer Infrastruktur auszustatten. Viele Todesfälle könnten bereits jetzt schon durch einfache Maßnahmen verhindert werden. »Spezielle Neuentwicklungen sind zunächst einmal nicht notwendig«, sagt Lewnard, »das ist eine wichtige Botschaft des Berichts.«

Auch der übermäßige Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft müsse reduziert werden, da er die Entwicklung von Resistenzen beschleunigt. Gleichzeitig sei mehr Forschung zu neuen Antibiotika und Impfstoffen notwendig, um wirksame Behandlungen zu entwickeln, schlussfolgern die Autoren des »Lancet«-Berichts.

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  • Quellen
Lancet, 10.1016/S0140–6736(24)01867–1, 2024

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