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Mikrobiologie: Auf Achse

Wer vorwärts will, braucht möglichst Beine oder andere Hilfsmittel - mindestens aber nur eine Art inneres Skelett. Selbst Bakterien, und seien sie noch so winzig, nutzen solche Strukturen, um vom Fleck zu kommen. Ausgerechnet einer ihrer kleinsten Vertreter, dem zudem auch noch eine stabilisierende Zellwand fehlt, hat nun große Einblicke gewährt.
Zellskelett
Lange Zeit wurde vermtutet, dass nur Eukaryonten, also Organismen mit einem echten Zellkern, über ein Zellskelett verfügen, das ihnen Stabilität und Gestalt verleiht und auch eine wichtige Rolle bei ihrer Fortbewegung spielt. Spätestens mit der Entdeckung der Bakteriengruppe der Mycoplasmen wurde dies jedoch in Frage gestellt: Sie sind trotz fehlender Zellwand gut in Form und können sich fortbewegen, obwohl ihnen dafür die typischen Zellanhänge, wie beispielsweise Geißeln, fehlen. Die Vermutung, dass daher wohl auch Bakterien ein Zellskelett enthalten, wurde bald weiter bestärkt: Forscher entdeckten Proteine, die dem eukaryontischen Strukturprotein Aktin sehr ähneln. Doch trotz intensiver Suche gelang es bislang nicht, den genauen strukturellen Aufbau und Verlauf dieses Zellskeletts innerhalb eines Bakteriums naturgetreu sichtbar zu machen.

In bisherigen Studien zur Aufklärung der Strukturelemente von Spiroplasma – einem Mycoplasma-Vertreter – wurden die Zellen aufgelöst und das Zellskelett isoliert. Andere Studien haben mit immunfluoreszenz-mikroskopischen Methoden versucht, die molekulare Zusammensetzung des Gerüsts des Winzlings zu erkunden. Beides sind Eingriffe, die entweder die lebende Zelle zerstören oder in unnatürlicher Weise verändern.

Erst mit der Entwicklung der Kryo-Elektronentomografie ist es möglich geworden, dreidimensionale Strukturen innerhalb einer intakten Zelle im schockgefrorenen Zustand (bei minus 196 Grad Celsius) mit einer Auflösung von bis zu vier Nanometern – also vier Millionstel Millimetern – zu visualisieren und detailliert zu beschreiben. Zellbestandteile, wie große Molekülkomplexe oder Organellen, sowie das eukaryontische Zellskelett haben die Wissenschaftler der Abteilung Molekulare Strukturbiologie am Max-Planck-Institut für Biochemie mit dieser neuen elektronenmikroskopischen Technik bereits erfolgreich untersucht und damit in der Zellbiologie als auch der Strukturbiologie neue Erkenntnisse über die Kommunikation und Wechselwirkung von verschiedenen Molekülkomplexen und Zellorganellen im Inneren einer Zelle gewonnen. Jetzt haben sich die Wissenschaftler daran gewagt, mit ihrer Technik auch den Aufbau des bakteriellen Zellskeletts und damit die molekularen Hintergründe für die spiralförmige Bewegung spezieller Mikroorganismen aufzuklären.

Ein Jahr lang hat Julia Kürner Daten und Bilder am Elektronenmikroskop gesammelt, bis sie jetzt als veranschaulichende 3-D-Rekonstruktionen das Skelett von Spiroplasma melliferum vorstellt. Dieses stabförmige Bakterium erreicht wie andere Mycoplasmen nur etwa ein Viertel der normalen Größe von Bakterien – etwa 450 Millionstel Millimeter. Ihre winzige Größe macht sie aber gerade zu einem idealen Untersuchungsobjekt für die Kryo-Elektronentomographie.

Der genaue Blick durch die hochtechnische Lupe brachte einige neue Erkenntnisse ans Licht. So hatte man bisher angenommen, dass das Skelett von S. melliferum aus einem Band aus sechs oder sieben miteinander verbundenen Proteinsträngen, so genannten Filamenten, besteht, welche sich in einem Abstand von etwa zehn Nanometern zueinander spiralförmig entlang der Zellmembran durch die gesamte Zelle erstrecken. Zudem ging man bisher davon aus, dass diese Filamente aus nur einem Proteinkomplex mit identischen Untereinheiten, dem so genannten "Fibril"-Protein, aufgebaut sind.

Ausschnitt Zellskelett | Ausschnitt aus dem Zellskelett des Bakteriums Spiroplasma melliferum. Links und Mitte: Überlagerte Schnitte aus einer 3-D-Rekonstruktion sowie die entsprechende 3-D-Darstellung eines Teils einer S.-melliferum-Zelle, die den Aufbau und Verlauf des Zellskeletts veranschaulichen. Dieses besteht aus zwei äußeren Bändern aus dicken Filamenten (im mittleren Bild grün und rot dargestellt) und einem dazwischen liegenden Band aus dünnen Filamenten (im mittleren Bild violett dargestellt). Rechts: Profile der Filament-Grauwerte, welche die Anzahl sowie die Abstände zwischen den einzelnen Filamenten angeben. Die beiden äußeren Bänder bestehen aus fünf dicken Filamenten mit einem Abstand von elf Nanometer (im Bild rechts oben), während das mittlere Band aus neun dünnen Filamenten mit einem Abstand von vier Nanometern aufgebaut ist (im Bild rechts unten).
Doch diese Lehrmeinung muss jetzt revidiert werden: Kürner konnte zeigen, dass diese Bakterien zwei unterschiedliche Filamente besitzen, die in drei unterschiedlich breiten, parallelen Bändern angeordnet und untereinander und mit der Zellmembran verbunden sind. Dabei bestehen die beiden äußeren Filamentbänder aus jeweils fünf dickeren Filamenten mit einem Abstand von elf Nanometer zueinander, während das dritte, dazwischen liegende Filamentband von neun dünneren Filamenten mit einem Abstand von nur vier Nanometer zueinander gebildet wird.

Da die Martinsrieder Strukturbiologen ganz offensichtlich zwei verschiedene Proteinstrukturen ("dicke" und "dünne") fanden, isolierten sie die Filamente aus den Zellen, um sie weiter elektronenmikroskopisch und biochemisch untersuchen zu können. Dabei fanden sie heraus, dass die dickeren Filamente mit einem Durchmesser von etwa zehn Nanometern durchaus paarweise aufgebaut sind und von dem "Fibril"-Protein gebildet werden. Auf Grund der Instabilität der dünneren Filamente konnte dessen Struktur im isolierten Zustand nicht näher elektronenmikroskopisch untersucht werden. Biochemische Experimente der Max-Planck-Wissenschaftler zeigten jedoch, dass neben dem "Fibril"-Protein auch das Aktin-ähnliche Protein MreB in S. melliferum vorkommt. Unterstützt durch Erkenntnisse anderer Forscher nehmen sie daher an, dass das Protein MreB das innere Filamentband des Zellskeletts dieser Zellen bildet.

Basierend auf ihren neu gewonnenen strukturellen Ergebnissen konnten Kürner und ihre Kollegen zudem klären, auf welche Weise das Zellskelett von S. melliferum dessen Fortbewegung ermöglicht und diese auch simulieren. Die spiralförmige Schwimmbewegung wird durch koordinierte Längenänderungen der beiden äußeren Filamentbänder im Verhältnis zu dem inneren Filamentband ermöglicht. Durch diese Bewegung, die letztlich auch zu einer Änderung der Rotationsrichtung der Zelle führt, erfährt die Zelle einen Antrieb und kann sich fortbewegen.

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