Klimawandel: Bebend zur Flut
Erderwärmung bedeutet für viele verkürzt: Hitzewellen, Monsterstürme, Dürren und Überflutungen. Zunehmend mehr Erdbeben zählen eigentlich nicht zu dieser Sammlung der Schrecken. Zerfallende Eisgiganten auf Grönland könnten dieses Kapitel nun aber umschreiben - und nebenbei gleich noch ihr Scherflein zum Meeresspiegelanstieg beitragen.
Wer jemals vor dem Schweizer Aletsch-Gletscher stand, mit knapp 24 Kilometern Länge und 27 Milliarden Tonnen Gefrorenes der größte der Alpen, dürfte mit einer gewissen Ehrfurcht auf diese gigantische Eiszunge geblickt haben. Im Vergleich zu den megalomanen Eisautobahnen und -türmen Grönlands oder gar der Antarktis wirkt jedoch selbst der Aletsch wie ein Polo neben einem Schaufelradbagger: Allein manche der vom innergrönländischen Eisschild abfließenden Auslassgletscher sind schon größer als der New Yorker Stadtteil Manhattan und so hoch wie der Berliner Fernsehturm.
Das anfallende Schmelzwasser kann dabei sogar ziemlich ungewöhnliche Erscheinungen auslösen: Erschütterungen wie Erdbeben mit Stärken bis zu 5,1 auf der so genannten Momenten-Magnituden-Skala – sie beschreibt die freigesetzte Energiemenge der Erschütterungen. Das Tauwasser wirkt, ist es erst einmal bis zum Grunde des Gletschers durchgesickert, als Gleitmittel auf dem Felsbett und lässt bis zu zehn Kubikkilometer große Eisbrocken in den Gletschertälern abrupt in Richtung Meer beschleunigen.
Beunruhigend wirkt allerdings die massive Zunahme dieser Eisbeben: Während ihre Anzahl von 1993 bis 2002 nur zwischen 6 und 15 pro Jahr schwankte, zählte Ekströms Teamim Jahr 2003 bereits 20 Erschütterungen, 2004 dann 24 und in den ersten zehn Monaten von 2005 sogar 32. Eine Region im Nordwesten Grönlands, die zwischen 1993 und 1999 mit nur einem Beben recht stabil schien, war in den folgenden sechs Jahren gleich 24-mal betroffen.
Die Folge war auch einst ein Abtauen der Eisschilde, deren Schmelzwasser die Pegel der Meere weltweit bis zu sechs oder sieben Metern anwachsen ließ – nachgewiesen durch entsprechende Sedimentablagerungen oder versteinerte Korallenriffe. Zu diesem Anstieg trug selbst die Antarktis etwa zwei Meter bei, deren Lufttemperaturen sich laut Eisbohrkernen damals eigentlich überhaupt nicht geändert hatte. Die Ursache dort: womöglich ein Zufluss warmen Meerwassers, wie er auch gegenwärtig zusätzlich dem Eis der Pole zusetzt und es von unten her abschmilzt, wie Robert Bindschadler von der Nasa feststellen musste [4].
Welche Lehren dies für die Zukunft bedeutet, untersuchten Otto-Bliesner und Overpeck dann mit einem zweiten Berechnungsdurchlauf ihres Computermodells, bei dem sie die gegenwärtigen Treibhausgasmengen in der Atmosphäre bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um jährlich ein Prozent steigen ließen. Die Aussichten waren trübe: Bis 2100 lägen die Temperaturen der Arktis dann auf dem Niveau der Eem-Warmzeit, nur diesmal durch Kohlendioxid, Methan und andere Treibhausgase verursacht.
Kurzzeitigen Betrachtern erscheinen der Aletsch wie seine polaren Vettern wohl als zeitlose Riesen, die in sich ruhen und sich allenfalls über Äonen hinweg verändern. Dem ist allerdings ganz und gar nicht so: Nicht nur, dass sich alle Gletscher fließend gen Tal oder Ozean bewegen – manche erreichen sogar Spitzengeschwindigkeiten von zehn Metern pro Minute –, im sich aufheizenden Treibhaus Erde schmelzen sie auch tatsächlich wie das sprichwörtliche Eis in der Sonne.
Das anfallende Schmelzwasser kann dabei sogar ziemlich ungewöhnliche Erscheinungen auslösen: Erschütterungen wie Erdbeben mit Stärken bis zu 5,1 auf der so genannten Momenten-Magnituden-Skala – sie beschreibt die freigesetzte Energiemenge der Erschütterungen. Das Tauwasser wirkt, ist es erst einmal bis zum Grunde des Gletschers durchgesickert, als Gleitmittel auf dem Felsbett und lässt bis zu zehn Kubikkilometer große Eisbrocken in den Gletschertälern abrupt in Richtung Meer beschleunigen.
Dieses Phänomen wurde 2003 erstmals durch Göran Ekström von der Harvard-Universität und seine Kollegen beschrieben, die damals der Herkunft dieser ungewöhnlichen, niederfrequenten Erdbebenwellen auf Grönland nachgingen. Die Insel gilt eigentlich nicht als seismisch auffälliges Gebiet, und die gemessenen Erschütterungen passten auch nicht unbedingt in die gängigen Erdbebenmodelle der Geologen. Erst Beobachtungen vor Ort und neue Modellierungen konnten sie mit der plötzlichen Bewegung der Eisblöcke erklären: Rutschen sie talwärts ab, lösen sie während der Beschleunigung im festen Untergrund charakteristische seismische Wellen aus. Sie lassen nach, wenn der Block langsam wieder zum Stehen kommt.
Zwischen 1993 und 2005 haben die weltweit installierten Seismometer immerhin 182 derartige Eisbeben in Grönland gemessen, von denen die Wissenschaftler um Ekström nun nochmals die 136 am besten dokumentierten betrachteten [1]. Sie wollten herausfinden, zu welchen Zeiten diese Gletschertremores auftreten und ob sich deren Zahl über die Jahre veränderte. Alle nahmen ihren Ursprung in jenen Haupttälern Grönlands, die zum Meer hinführen, und hatten eine Stärke zwischen 4,6 und 5,1. Es überraschte die Forscher wenig, dass mehr als ein Drittel der Erschütterungen in den Sommermonaten Juli und August stattfanden – in denen es auch auf dieser Eisinsel generell milder wird –, während in all den Jahren nur insgesamt jeweils vier im Januar oder Februar auftraten. Geotektonische Beben zeigen dagegen keine Abhängigkeit von den Jahreszeiten.
Beunruhigend wirkt allerdings die massive Zunahme dieser Eisbeben: Während ihre Anzahl von 1993 bis 2002 nur zwischen 6 und 15 pro Jahr schwankte, zählte Ekströms Teamim Jahr 2003 bereits 20 Erschütterungen, 2004 dann 24 und in den ersten zehn Monaten von 2005 sogar 32. Eine Region im Nordwesten Grönlands, die zwischen 1993 und 1999 mit nur einem Beben recht stabil schien, war in den folgenden sechs Jahren gleich 24-mal betroffen.
Diese Ereignisse fügen sich nahtlos in das dramatische Bild ein, das die Glaziologen gegenwärtig von den Eiswelten der Arktis und Antarktis zeichnen. Keine andere Region der Erde durchlebt eine schnellere und stärkere Erwärmung als diese des ehemals ewigen Eises. Sie tauen von ihren Rändern her ab, die Auslassgletscher dünnen aus, fließen schneller zum Meer oder ziehen sich rapide zurück. Ein Gutteil des weltweit ebenfalls beobachteten Pegelanstiegs der Ozeane geht auf die Zufuhr des Schmelzwassers von diesen Eisriesen zurück.
Und bei Betrachtung vergangener Ereignisse treibt dieser Zusammenhang zwei Forschungsgruppen um Jonathan Overpeck von der Universität von Arizona [2] und Bette Otto-Bliesner vom Nationalen Atmosphärenforschungszentrum der USA [3] die Sorgenfalten auf die Stirn. Sie suchten nach den Ursachen und Folgen der so genannten Eem-Warmzeit, während der vor 130 000 Jahren die sommerlichen Durchschnittstemperaturen der Arktis um drei Grad höher lagen als heute. Auslöser für deren Aufheizung war damals eine leichte Veränderung der Erdumlaufbahn um die Sonne, die dafür sorgte, dass die Nordhalbkugel sommers eine intensivere Einstrahlung abbekam.
Die Folge war auch einst ein Abtauen der Eisschilde, deren Schmelzwasser die Pegel der Meere weltweit bis zu sechs oder sieben Metern anwachsen ließ – nachgewiesen durch entsprechende Sedimentablagerungen oder versteinerte Korallenriffe. Zu diesem Anstieg trug selbst die Antarktis etwa zwei Meter bei, deren Lufttemperaturen sich laut Eisbohrkernen damals eigentlich überhaupt nicht geändert hatte. Die Ursache dort: womöglich ein Zufluss warmen Meerwassers, wie er auch gegenwärtig zusätzlich dem Eis der Pole zusetzt und es von unten her abschmilzt, wie Robert Bindschadler von der Nasa feststellen musste [4].
Welche Lehren dies für die Zukunft bedeutet, untersuchten Otto-Bliesner und Overpeck dann mit einem zweiten Berechnungsdurchlauf ihres Computermodells, bei dem sie die gegenwärtigen Treibhausgasmengen in der Atmosphäre bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um jährlich ein Prozent steigen ließen. Die Aussichten waren trübe: Bis 2100 lägen die Temperaturen der Arktis dann auf dem Niveau der Eem-Warmzeit, nur diesmal durch Kohlendioxid, Methan und andere Treibhausgase verursacht.
Entsprechend käme es ebenfalls wieder zu einer Auflösung der Eisschilde, die diesmal noch wesentlich stärker diejenigen des Südpols umfassen würde. Denn die gegenwärtige Erderwärmung ist eine globale, und Bindschadler – wie viele andere Glaziologen auch – deutet bereits auf die rapide ausfransenden Ränder der Eiskontinente hin: Ein neuer Meeresspiegelanstieg um vier Meter und der sturmbedingte Untergang von New Orleans im letzten September war nur der Vorgeschmack auf kommende nasse Zeiten.
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