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Bergbau, Technik, Städte: 208 unnatürliche Minerale von Menschenhand

Die Gesteinswelt hat ihre kreativste Phase seit Jahrmilliarden - dank tätiger Beihilfe des Menschen. Doch nun werden die oft hübschen Kristalle zum Politikum.
Simonkolleit ist ein eigentlich farbloses, hier durch Kupfer grünlich gefärbtes Korrosionsprodukt auf Zinkoberflächen.

Etwa vier Prozent aller bekannten Minerale würden ohne den Menschen nicht existieren. Mehr als 200 direkt oder indirekt menschengemachte Stoffe identifizierte eine Arbeitsgruppe um Robert Hazen von der Carnegie Institution in Washington. Dabei entstanden diese neuen Substanzen nicht etwa im Labor, sondern als Ergebnis menschlicher Veränderungen der Erde. Der Bergbau habe die meisten neuen Stoffe hervorgebracht, einfach dadurch, dass er mit Minen und ihren metallreichen Wässern völlig neue Umwelten mit spezifischen chemischen Bedingungen erzeugt hat. Aber auch Städte, Industrieanlagen und landwirtschaftlich genutzte Flächen enthalten neue, zum Teil gezielt hergestellte Minerale.

Relativ häufig ist etwa der Yttrium-Aluminium-Granat (YAG), ein künstliches Aluminiumoxid, das einen kleinen Anteil seltener Erden enthält und in Festkörperlasern oder Leuchtdioden eingesetzt wird. Dagegen ist das Mineral Ravatit, das zum Beispiel in der Königin-Carola-Mine nahe Dresden auftritt, sehr selten: Es besteht aus dem bei einem Minenfeuer verdampften und danach kristallisierten Kohlenwasserstoff Phenanthren. An Zinnbarren in einem antiken Schiffswrack fand man das Zinnmineral Abhurit – ohne den Menschen gäbe es keine Möglichkeit für metallisches Zinn, einige Jahrhunderte mit Meerwasser zu reagieren. Manche der neuen Minerale treten sogar massenhaft auf, so zum Beispiel jene Stoffe, die beim Brennen von Zement und Abbinden von Beton neu entstehen.

Der Katalog von Hazen und seinem Team stellt auch das Verständnis von Mineralen auf den Prüfstand. Bisher versteht man darunter kristalline Stoffe, die in der Natur durch geologische Prozesse entstehen – die ersten als "Minerale" bezeichneten Substanzen waren buchstäblich Kristalle, die man unter der Erde fand und bergmännisch abbaute. Vor allem aber galten Minerale bisher als natürlichen Ursprungs. Nun aber ist nicht nur ein signifikanter Anteil aller Minerale menschlichen Ursprungs, nach Hazens Ansicht ist die Rate der Neubildungen sogar die stärkste Veränderung der mineralischen Zusammensetzung der Erde seit dem ersten Auftreten von Sauerstoff in der Erdatmosphäre.

Abhurit

Die von Hazen und seinem Team herausgestellte Bedeutung der Menschheit auch für die Mineralienwelt macht so obskure Substanzen wie das Uranmineral Albrechtschaufit zum Politikum. Die Liste liefert weitere Munition für jene Fachleute, die dem Menschen eine eigene geologische Epoche widmen wollen – nicht zuletzt, um Bewusstsein für die Folgen des menschengemachten Klimawandels zu wecken. "Diese beeindruckende Studie unterstreicht das 'große Bild' des Anthropozäns mit einer sehr detaillierten Analyse auf der Ebene der Mineralien", so der Geowissenschaftler und Autor des Blogs "Der Anthropozäniker" Reinhold Leinfelder von der Freien Universität Berlin.

Die Zunahme der mineralischen Diversität sei im Vergleich zur restlichen Erdgeschichte extrem beschleunigt – analog zur rasanten Abnahme der biologischen Vielfalt, die ebenfalls ein Symptom der nun angebrochenen Menschenzeit sei. Dass Minerale durch den Menschen aussterben, sei eher unwahrscheinlich, so der Forscher. Allerdings ändere sich durch den Menschen und seine Industrie ihre Verteilung auf der Erde drastisch, vergleichbar mit den veränderten Lebensräumen heutiger Organismen. Einige extrem seltene und wertvolle Minerale wie Diamant könnten irgendwann sogar nahezu komplett abgebaut sein und sich in Menschenhand befinden. "Sozusagen wie die Tiger im Zoo", so Leinfelder.

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