Biodiversität: Eine neue Art, die keiner erwartet hatte
Die Diego-Ramírez-Inseln südlich der südamerikanischen Südspitze sind ein eher ungemütlicher Lebensraum, in dem es viel regnet und über den regelmäßig schwere Stürme ziehen. Dennoch gelang es einem kleinen Singvogel, diese nur knapp 80 Hektar großen Inseln zu erobern und sich dabei zu einer bislang nicht erkannten Vogelart zu entwickeln. Der Subantarktische Schlüpfer (Aphrastura subantarctica) unterscheidet sich laut Ricardo Rozzi von der Universidad de Magallanes und seinem Team so deutlich von einer verwandten Art auf dem Festland, dass er tatsächlich eine eigenständige Art ist. Das berichtet die Arbeitsgruppe in »Scientific Reports«.
Den ersten Hinweis gab der völlig unterschiedliche Lebensraum, den die beiden Arten bewohnen. Bislang zählte man die Tiere auf Diego Ramírez zum Stachelschwanzschlüpfer (Aphrastura spinicauda), der in Chile und angrenzenden Regionen Argentiniens weit verbreitet ist, dort aber das dichte Unterholz von Wäldern besiedelt. Auf den Inseln wachsen dagegen weder Bäume noch Büsche; die harschen Bedingungen erlauben nur das Aufkommen von Gräsern. Auch eine zweite Art, der Inselschlüpfer (Aphrastura masafuerae) von der chilenischen Insel Alejandro Selkirk, bewohnt Baumfarnwälder in seinem Verbreitungsgebiet. Rozzi und Co waren daher erstaunt, dass die Schlüpfer auf Diego Ramírez gut gedeihen.
Während ihrer Aufenthalte dort fingen die Forscher über mehrere Jahre hinweg insgesamt 13 Individuen und vermaßen sie: Alle Tiere waren größer und schwerer als ihre Verwandten vom Festland und Alejandro Selkirk. Dazu besaßen sie einen kräftigeren Schnabel und einen kürzeren Schwanz. Auch im Verhalten unterscheiden sie sich; unter anderem brüten sie mangels Bäumen in Erdhöhlen und fliegen nur selten kurze Distanzen. Genstudien bestätigten schließlich, dass sich die Arten voneinander deutlich unterscheiden und in geologisch jüngerer Vergangenheit auch kein Austausch mehr zwischen den Stachelschwanz- und den Subantarktischen Schlüpfern mehr stattgefunden hat.
Diego Ramírez befindet sich zwar nur 100 Kilometer südlich von Feuerland entfernt, doch trennt die Drake-Passage mit ihren starken Westwinden und Meeresströmungen die beiden Gebiete voneinander ab. Es war wahrscheinlich ein extremer Zufall, dass die Vorfahren der Subantarktischen Schlüpfer das winzige Archipel erreichten und dort überlebten. Und die Art hatte Glück, dass sie auch für Seefahrer schwierig zu erreichen oder interessant waren. Dadurch wurden keine Ratten eingeschleppt oder Nerze, Katzen und Ziegen ausgesetzt, wie dies auf vielen anderen Eilanden der Fall war und was oft zum Aussterben von Arten geführt hat. Seit 2019 sind die Inseln im Diego Ramírez Islands-Drake Passage Marine Park geschützt.
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