Bluttest für Brustkrebs: Krebstest unter Verdacht
Sehr ungewöhnlich sei die Strafanzeige gewesen, die am 4. April 2019 einging, sagt der Heidelberger Staatsanwalt Tim Haaf. Es wurden keine tatverdächtige Person genannt, kein Tatbestand und nicht einmal Hintergründe zum Sachverhalt. Der Absender der Anzeige: das Universitätsklinikum Heidelberg. Nur diesen Hinweis gab das renommierte Institut nach außen: Es sehe sich »auf Grund der Anzeichen eines unlauteren Vorgehens (...) zu diesem Schritt veranlasst«, heißt es in einer Pressemitteilung.
Das Bedürfnis nach Aufklärung ist am Universitätsklinikum groß. Seit knapp zwei Monaten bemüht man sich hier um Schadensbegrenzung, was die eigene Reputation angeht. Der Auslöser: ein in Aussicht gestellter Bluttest zur Früherkennung von Brustkrebs, der mit Abstand häufigsten Krebserkrankung unter Frauen weltweit. Allein in Deutschland erhalten jährlich rund 70 000 Frauen die Diagnose, in rund 17 000 Fällen pro Jahr führt die Erkrankung zum Tod. Die Heilungschancen verbessern sich deutlich, wenn der Tumor in einem frühen Stadium erkannt wird. Weltweit suchen Forscher daher nach neuen Möglichkeiten, um Brustkrebs in einem frühen Stadium aufzuspüren.
Große Hoffnungen setzt man dabei auf so genannte Liquid-Biopsy-Verfahren, bei denen bestimmte Tumormerkmale im Blut der Patientinnen aufgespürt werden sollen. Anfang 2018 vermeldeten Forscher in »Science«, durch einen Liquid-Biopsy-Bluttest acht verschiedene Krebserkrankungen mit einer Trefferquote von durchschnittlich 70 Prozent eindeutig identifizieren zu können. Brustkrebs konnte der Test jedoch nur bei einem Drittel der Fälle aufspüren. Mediziner des Universitätsklinikums Heidelberg präsentierten am 21. Februar einen Test, der diese Rate deutlich verbessern soll.
Außerordentlich medienwirksam stellten sie das Verfahren, das noch in keinem Fachjournal publiziert worden war, auf einer Fachkonferenz vor. Zahlreiche Medien bis zur Tagesschau berichteten umgehend. Selbstbewusst nannten die Entwickler Eckpunkte: Der Test würde in 75 Prozent der Fälle Brustkrebs eindeutig erkennen. Er sei damit so zuverlässig wie die Mammografie, der bisherige Goldstandard zur Früherkennung – jedoch wesentlich leicht und ungefährlicher anzuwenden. Eine einfache Blutabnahme genüge. Noch in diesem Jahr würde er in die klinische Anwendung gehen, hieß es. Das Echo war erwartungsgemäß groß. »Weltsensation aus Deutschland« titelte die »BILD«; das Universitätsklinikum selbst legte nach: »ein Meilenstein in der Brustkrebsdiagnostik«.
Großes Medienecho, wenig Substanz?
In der Fachwelt äußerte man sich dagegen verblüfft – und schon bald kritisch. Wieso hatte man zuvor nichts von dieser Weltsensation gehört? Wo war die begutachtete Fachpublikation, die die Wirksamkeit des Tests zeigte? Warum tauchte die erste Erfolgsnachricht ausgerechnet in der Boulevardpresse auf? Mehrere Fachgesellschaften rügten die aus ihrer Sicht verfrühte Veröffentlichung. Die Sicherheit des Tests sei ohne Publikation nicht nachvollziehbar, ihn bereits jetzt als Weltsensation zu bewerben, sei verantwortungslos und würde falsche Hoffnungen wecken, schrieben sie in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Nur wenig später kam weitere Kritik hinzu: Der Test sollte durch eine Ausgründung des Universitätsklinikums vermarktet werden, die bereits einen Investor hatte. Dessen Aktienkurs stieg nach der Bekanntmachung kräftig an. Waren etwa wirtschaftliche Interessen der Beweggrund für die frühe Veröffentlichung des Tests? Welche Rolle spielten die Teilhaber des Unternehmens, die nicht dem Universitätsklinikum angehörten? Und warum wurde die Mitarbeiterin, die in der Vergangenheit die Entwicklung des Bluttests vorangetrieben hatte, bei dessen geplanter Vermarktung nicht berücksichtigt?
Denn bereits 2016 gab es eine Arbeitsgruppe am Universitätsklinikum Heidelberg, die einen viel versprechenden Test zur Früherkennung von Brustkrebs entwickelte. MammaScreen nannte sich das Projekt. Es wurde von der jungen chinesischen Medizinerin Rongxi Yang geleitet, die seit 2010 am Universitätsklinikum forschte. Yang und Kollegen konnten durch ihre Arbeit 15 verschiedene Biomarker im Blut identifizieren, die auf Brustkrebs hindeuten. Unter anderem handelte es sich dabei um DNA-Fragmente mit veränderten Methylierungsmustern, die von Tumorzellen stammten. In einer Studie in »Carcinogenesis« konnte ein Bluttest auf diese Muster hin zum Teil mehr als 80 Prozent der erkrankten Patientinnen eindeutig identifizieren. Mammografie kommt dagegen nur auf rund 75 Pozent.
Ausgebootete Entwicklerin?
Yang gewann für ihre Arbeit mehrere hochdotierte Preise. 2016 gelang es ihr, durch das EXIST-Stipendium Fördermittel für die Gründung eines Start-up-Unternehmens einzuwerben. Gemeinsam mit ihren Kollegen Barbara Burwinkel und Andreas Schneeweiss meldete Yang zwei Patente an, in denen die Spezifikationen eines Bluttests genau beschrieben wurden. Yang stand mit Investoren in Kontakt sowie dem Technologieausgründungsunternehmen TTH des Universitätsklinikums Heidelberg. Doch im März 2017 zerbrach dieses Verhältnis, Yang zufolge aufgrund des Verhaltens der zwei damaligen TTH-Geschäftsführer in einer Verhandlung mit dem Investor.
Yang wurde daraufhin nach eigenen Angaben ohne Begründung von dem MammaScreen-Projekt abgezogen und musste fortan stündlich ihre Anwesenheit der Medizinerin Sarah Schott berichten, die nun die Projektleitung innehatte. Über die letzten Monate am Universitätsklinikum Heidelberg war Yang enttäuscht. »Ich habe stattdessen bessere Möglichkeiten in China gesehen«, sagt sie, »deshalb bin ich schließlich gegangen.« Heute arbeitet die Medizinerin an der Nanjing Medical University. Wissenschaftlich publiziert hat sie seitdem kaum noch.
In Deutschland wurde derweil die Weiterentwicklung des Bluttests durch Sarah Schott und ihren Vorgesetzten vorangetrieben: Christof Sohn, Leiter der Frauenklinik am Universitätsklinikum Heidelberg. Knapp zwei Jahre später präsentierten beide den neuen Bluttest: im Namen der Heiscreen GmbH, die ein halbes Jahr nach Yangs Weggang gegründet worden war.
Die Aufteilung innerhalb der Heiscreen GmbH scheinen heute ebenfalls etwas rätselhaft. Wie die Heidelberger »Rhein-Neckar-Zeitung« berichtet, halten Schott und Sohn knapp sieben beziehungsweise fünf Prozent des Unternehmens. Hauptanteilseigner des Unternehmens ist die TTH des Uniklinikums mit knapp 49 Prozent. 39 Prozent der Anteile besitzt eine dem Hockenheimer Unternehmer Jürgen Harder gehörende Gesellschaft.
Verbindung von Unternehmen und Boulevardpresse
Wie die »Rhein-Neckar-Zeitung« zudem weiter berichtet, war auch der ehemalige »BILD«-Chefredakteur Kai Diekmann in die PR-Kampagne von Heiscreen involviert. Darüber hinaus hätte eine exklusive Medienpartnerschaft zwischen Heiscreen und der »BILD« bestanden, so die Zeitung.
Staatsanwalt Tim Haaf ist einer von denen, die die vielen Fragen über die vermeintliche Weltsensation nun auflösen sollen. Am Montag hat der Staatsanwalt bereits zwei Mitarbeiter des Universitätsklinikums vernommen. In den kommenden Tagen wird er entscheiden, ob ein strafbares Verhalten vorliegt. Dann würde die Staatsanwaltschaft Heidelberg die Ermittlungen in dem Fall aufnehmen. Hunderte Seiten an Dokumenten liegen Haaf bis dahin zur Aufarbeitung vor. Dem Universitätsklinikum zufolge möchte man den Fall »vollumfänglich aufklären«. Ob dabei die fragwürdige Wirksamkeit des Tests im Vordergrund steht oder die personellen Verwicklungen dahinter, könne man nicht mitteilen. »Der gesamte Sachverhalt ist Gegenstand der Ermittlungen«, sagt Haaf.
»Der Test ist bisher für ein Screening von Brustkrebs völlig ungeeignet«
Anton Scharl
Parallel zu den Untersuchungen der Staatsanwaltschaft bemüht man sich am Universitätsklinikum selbst um Aufklärung. Nur einen Monat nach der Präsentation des Bluttests berief man eine »unabhängige Kommission aus überwiegend externen Experten« ein, um den Fall aufzuarbeiten. In einer Sondersitzung beschloss darüber hinaus der Aufsichtsrat des Klinikums, eine weitere, externe Kommission zur Aufarbeitung des Falls einzuberufen.
Anton Scharl ist einer von vielen Gynäkologen und Onkologen, die die Aufarbeitung der Zusammenhänge nun beobachten. Scharl ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe; seine Fachgesellschaft war eine der sechs Verfasserinnen der ersten Stellungnahme zu dem Bluttest. Der Mediziner hat die Präsentation des Tests selbst miterlebt. »Die Sache an sich ist super«, sagt er, »nicht aber die Schlussfolgerung, den Test alsbald für die Früherkennung von Brustkrebs einzusetzen.« Man sei damit zu früh an die Öffentlichkeit gegangen, kritisiert Scharl. Denn was der Test bisher zu bieten habe, sei »für ein Screening von Brustkrebs völlig ungeeignet.«
Scharl zufolge geht es bei einem Früherkennungstest über Risikogruppen hinaus nicht nur darum, wie oft tatsächlich erkrankte Personen identifiziert werden – sondern auch darum, dass der Test möglichst selten falschpositive Ergebnisse liefert und auf diese Weise aus Gesunden Kranke macht. Bei der Mammografie passiert das in weniger als fünf Prozent der Fälle. Christof Sohn sagt, der neue Bluttest würde sogar nur halb so oft falsch-positiv anschlagen. Konkrete Zahlen bleibt er jedoch schuldig – ebenso eine wissenschaftliche Veröffentlichung.
Es wäre schade, wenn der Liquid-Biopsy-Ansatz zur Früherkennung durch das Verfahren um den Heidelberger Bluttest nun Schaden nehmen würde, sagt Scharl, da er großes Potenzial biete. Den größten Schaden könnten in der Sache allerdings die Institutionen und einzelne Personen davontragen. »Ich bin schon hoffnungsvoll, dass es irgendwann einen Test geben wird, der den nötigen Ansprüchen gerecht wird«, sagt Scharl. Aber ob es schon in den kommenden Jahren gelingt, ihn auf den Markt zu bringen? »Da bin ich doch sehr, sehr skeptisch.«
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