Covid-19: Der Sommer bremst die Pandemie stärker als gedacht
Im Sommer ist Sars-CoV-2 bis zu 40 Prozent weniger ansteckend als im Winter. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team um Jan Kulveit von der University of Oxford und Tomáš Gavenčiak vom Projekt »EpidemicForecasting.org«, das Computermodelle verwendet, um die Ausbreitung von Seuchen zu analysieren und vorherzusagen. Für die auf der Preprint-Plattform »medRxiv« erschienene, noch ungeprüfte Studie wertete die Arbeitsgruppe Daten von 143 Regionen in Europa aus, um den jahreszeitlichen Einfluss von anderen Faktoren wie Masken und Kontaktbeschränkungen zu trennen.
Nach diesem Resultat wäre der saisonale Effekt etwa doppelt so stark wie bisher vermutet; die Wirkung ist vergleichbar mit den effektivsten Maßnahmen gegen die Virusausbreitung. Miteinander kombinierte Maßnahmen haben allerdings einen größeren Effekt als die Jahreszeit. Außerdem weist die Arbeitsgruppe darauf hin, dass der saisonale Effekt allein nicht groß genug ist, um die Ausbreitung im Sommer zu unterbinden – wenn zu wenig Menschen immun sind und gleichzeitig keine Gegenmaßnahmen mehr stattfinden, gibt es auch im Sommer Ausbrüche.
Bereits zu Beginn der Pandemie waren Fachleute davon ausgegangen, dass Sars-CoV-2 sich ähnlich wie andere Atemwegserreger im Sommer schlechter verbreitet. Allerdings ist es nicht ganz einfach, die Größe des Effekts zu bestimmen, denn die als nicht-pharmazeutische Interventionen (NPI) bezeichneten Maßnahmen gegen das Virus verzerren die Daten. Eine kürzlich erschienene Übersichtsarbeit kam zu dem Schluss, dass die bisher vorhandene Evidenz zu widersprüchlich sei, um einen Zusammenhang zwischen Wetter und Coronavirus-Übertragung sicher nachzuweisen. Ein weiteres Problem ist, dass bisher keineswegs klar ist, warum viele Atemwegserreger so stark saisonal sind.
Als mögliche Gründe gelten geringere Aerosolübertragung und Viren zerstörende UV-Strahlung im Freien ebenso wie Luftfeuchtigkeit oder auch saisonale Schwankungen des menschlichen Immunsystems. Vermutlich spielen mehrere solcher Faktoren eine Rolle. »Diese Vielfalt plausibler Ursachen macht es außerordentlich schwierig, die verschiedenen saisonalen Faktoren voneinander zu trennen«, schreibt das Team. Der von der Arbeitsgruppe ermittelte Wert von etwa 40 Prozent Unterschied in der Reproduktionszahl könne allerdings mehrere Phänomene gut erklären, so Studienleiter Kulveit auf Twitter.
Die Zahl sei niedrig genug, um die beobachteten Ausbrüche im Sommer und in tropischen Regionen zu ermöglichen. Gleichzeitig sei der Effekt so stark, dass ein Wetterwechsel die im Sommer ausreichenden NPI überwinden und eine neue Infektionswelle auslösen könne – was zum Beispiel den Beginn der zweiten Welle in Deutschland im Oktober 2020 erklären könnte. Allerdings weist das Team darauf hin, dass die Studie auch ihre Einschränkungen hat. Die Daten bezögen sich bisher notwendigerweise nur auf eine Sommer-Winter-Periode und ausschließlich auf Europa. In anderen Klimazonen verhalte sich das Virus wahrscheinlich anders, schreibt Kulveit.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.