Corona-Impfstoff: Wenig Impfgegner, viel Lärm
Während Wissenschaftler fieberhaft daran arbeiten, einen Impfstoff gegen Covid-19 zu entwickeln, entsteht derzeit eine kleine, aber umso lautere Antiimpfbewegung dagegen. Die Impfkritiker verbreiten absurde Lügen: Sie behaupten beispielsweise, dass zusammen mit dem Coronavirus-Impfstoff den Menschen Mikrochips implantiert werden sollen. Und sie haben das – bereits widerlegte – Gerücht in die Welt gesetzt, dass eine Frau gestorben sei, nachdem sie an einer britischen Impfstoffstudie teilgenommen habe.
Im April 2020 trugen einige von ihnen bei Kundgebungen gegen den Lockdown in Kalifornien Plakate mit Antiimpfstoff-Slogans, und Anfang Mai sahen acht Millionen Youtube-Nutzer ein inzwischen gelöschtes Video, das wilde Verschwörungstheorien über die Pandemie propagierte und behauptete, dass Impfstoffe »Millionen töten« würden.
Keiner weiß, wie viele Menschen einen Covid-19-Impfstoff tatsächlich ablehnen würden. Allgemein befürwortet aber nach wie vor die große Mehrheit aller Menschen Impfungen. Doch jetzt warnen Forscher, die entsprechende Gegenbewegungen untersuchen: Die Botschaften weniger könnten verhindern, eine Herdenimmunität gegen das neue Coronavirus aufzubauen. Die Impfgegner hätten ihre Onlinekommunikation über die angebliche Gefahr von Impfungen rasend schnell auf die Pandemie ausgeweitet, sagt Neil Johnson, ein Physiker an der George Washington University in Washington D. C., der die Taktik der Aktivisten untersucht. »Für viele dieser Gruppen dreht sich jetzt alles um Covid«, sagt er.
Effektive Kommunikationsstrategie der Impfgegner
Denn auch wenn nur wenige Menschen gegen Impfstoffe sind, so ist doch ihre Onlinekommunikationsstrategie bedrohlich effektiv und weit reichend, schreiben die Forscher um Johnson in einem Bericht. Schon bevor sich das neue Sars-CoV-2-Virus verbreitete, hatte das Team damit begonnen, ein Netzwerk verschiedener Positionen über Impfungen auf Facebook zu visualisieren. Sie hatten mehr als 1300 Seiten untersucht, die insgesamt von etwa 85 Millionen Menschen gelesen wurden.
Ihre am 13. Mai veröffentlichten Ergebnisse deuten darauf hin, dass Antiimpfseiten tendenziell zwar weniger Anhänger haben, dafür gibt es aber mehr solcher Seiten als jene, die sich für Impfungen aussprechen. Zudem werden sie häufiger in Diskussionen auf anderen Facebook-Seiten erwähnt – wie etwa Seiten von Elternvereinigungen an Schulen, deren Haltung zum Thema Impfung unentschlossen ist.
Im Gegensatz dazu seien Seiten, die den Nutzen und die wissenschaftlichen Argumente für Impfungen erklären, mit gänzlich anderen Seiten verbunden: Dieses Netzwerk sei vom »Hauptkriegsschauplatz« der öffentlichen Meinungsmache weitgehend getrennt. Während der Masernausbrüche im Jahr 2019 wurden Impfgegnerseiten weit häufiger verlinkt als Impfbefürworterseiten auf Facebook, ergänzen die Forscher. Eine Hochrechnung der aktuellen Trends mit Hilfe von Computersimulationen deutet darauf hin, dass der Widerstand gegen Impfstoffe innerhalb von zehn Jahren das Netzwerk der Diskussionen über Impfstoffe dominieren könnte, schreiben sie.
Gehen Impfbefürworter zu wenig auf Unentschlossene zu?
Die Arbeit zeigt, dass »die Impfbefürworter-Gemeinschaft im Grunde an ihren Narrativen festhält und miteinander spricht, aber weder versucht, Unentschlossene zu erreichen, noch auf die Narrative eingeht, die es unter ihnen gibt«, sagt Heidi Larson, die an der London School of Hygiene and Tropical Medicine das Vaccine Confidence Project leitet, eine Gruppe, die das öffentliche Vertrauen in Impfstoffe untersucht.
Das Thema ist nicht auf Facebook beschränkt. Am 1. April veröffentlichte Johnsons Team einen Vorabdruck einer separaten Studie über Online-Messaging zu Covid-19. Dieser Bericht, der noch nicht von Fachkollegen begutachtet wurde, deutet darauf hin, dass auf verschiedenen Social-Media-Plattformen bei Diskussionen über Covid-19 Verbindungen zwischen Impfgegnern und anderen Interessengruppen wie Rechtsextremisten zunehmen.
Um der Ausbreitung der Antiimpfstoff-Stimmung entgegenzuwirken, muss man nicht nur die Mechanismen der sozialen Medien verstehen, sondern auch, wie es zu dieser Situation kam, sagt Bruce Gellin, Präsident des Sabin Vaccine Institute in Washington D. C. »Wir müssen verstehen, was an den Gesprächen und Inhalten (rund um die Botschaften der Impfgegner) die Menschen dazu zwingt, zuzuhören und es mit anderen zu teilen«, sagt er.
Vielfältige, emotionale Botschaften
Impfbefürworter haben eine einfache Botschaft: Impfstoffe wirken und retten Leben. Antiimpfstoff-Geschichten sind hingegen zahlreich: Es werden Zweifel gesät und Sorgen geweckt über die Gesundheit von Kindern, es werden alternativer Medikamente ins Feld geführt, und es werden Verschwörungstheorien gesponnen. Die Narrative der Impfgegner sind über viel mehr Facebook-Cluster verteilt als die der größeren Proimpfgruppen. Johnson sagt, diese Merkmale stimmen mit denen überein, die sein Team in früheren Studien über die Netzwerke von Rebellen in Konfliktgebieten gefunden hat, wo Aufständische oft tief in bestehende soziale Netzwerke eindringen konnten.
Impfgegner neigen dazu, Unentschlossene mit persönlichen, emotionalen Botschaften zu gewinnen, sagt Larson; diese zielen nicht unbedingt auf Angst ab (»Impfstoffe werden Sie töten«), sondern verwenden emotionale Appelle (»Lieben Sie Ihre Kinder?«). Unterdessen versuche das öffentliche Gesundheitswesen einfach nur, mehr Menschen zu impfen, sagt sie – was den Eindruck erwecken könnte, dass es hier nur darum ginge, die Zahlen Geimpfter zu erhöhen. »Bei Menschen, die unentschlossen sind, muss man ganz anders vorgehen«, sagt sie. Impfbefürworter »hören nicht auf Bedenken und Fragen«.
»Impfbefürworter hören nicht auf Bedenken und Fragen«
Heidi Larson, London School of Hygiene and Tropical Medicine
Insgesamt befürworten die meisten Menschen Impfungen, so Gellin, und werden dies bei dieser Pandemie wahrscheinlich auch in Anspruch nehmen. Dennoch seien die weltweiten Impfraten in den letzten zwei Jahrzehnten zurückgegangen, sagt Larson. Sowohl sie als auch Gellin befürchten, dass ein weiterer Grund für das öffentliche Misstrauen gegenüber einem Impfstoff gegen Covid-19 die Geschwindigkeit seiner Entwicklung sein könnte. »Wir sollten den Entwicklungsprozess sehr klar und transparent gestalten«, sagt Gellin. »Sonst werden die Leute fragen: ›Wie können wir sicher sein, dass keine Abkürzungen genommen wurden?‹«
Auch die Botschaften rund um einen Impfstoff müssen sorgfältig durchdacht sein. Wenn es bis dahin bereits weniger Covid-19-Infektionen gibt, wird der Impfstoff schwer zu verkaufen sein, sagt Larson: »Die Meinung der Menschen wird sich ändern, wenn die Regierung sagt: Wer geimpft ist, kann zurück zur Arbeit gehen.«
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