Darmgesundheit: »Es nützt nichts, nur probiotische Jogurts zu essen«
Viele Menschen wollen ihre Darmflora gezielt optimieren und essen etwa vermehrt Jogurt mit Bifidobakterien – oder helfen mit Pillen nach, die gleich mehrere Bakterienarten enthalten, die sich im Darm ansiedeln sollen. Welche Lebensmittel unser Mikrobiom fördern, welche wir eher meiden sollten und wie sinnvoll Stuhlanalysen sind, erklärt Sören Ocvirk, Projektleiter der Forschungsgruppe Intestinale Mikrobiologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE).
Herr Ocvirk, früher waren Themen rund um die Verdauung eher peinlich besetzt, heute sprechen viele wie selbstverständlich über ihre Magen- und Darmprobleme und wie sie ihre Darmflora in Schwung bringen wollen. Kann man denn mit der Ernährung sein Mikrobiom überhaupt gezielt beeinflussen?
Oh ja! Die Ernährung hat einen sehr großen Einfluss darauf, wie sich unser Mikrobiom zusammensetzt und wie es arbeitet. Und zwar spielen hier nicht einzelne Lebensmittel eine Rolle, sondern es ist vielmehr der generelle Ernährungsstil, der sich auswirkt. So hat die westliche Ernährung, wie sie in Europa oder Nordamerika vorherrscht, oft einen negativen Effekt auf die Zusammensetzung des Mikrobioms. Diese auch als »western diet« bezeichnete Ernährungsweise ist nicht nur sehr fettreich, sie enthält auch viel Fleisch, insbesondere verarbeitetes Fleisch und zu wenig pflanzliche Bestandteile sowie Ballaststoffe.
»Die Studienlage zeigt eindeutig, dass der westliche Ernährungsstil das Mikrobiom verkümmern lässt«
Was folgt aus einer derart ungesunden Kost?
Das führt dazu, dass nicht mehr so viele verschiedene Bakterienspezies im Darm auftreten. Die Diversität nimmt ab. Und auch die Funktionalität wird verändert, also welche Substanzen die Bakterien aus dem, was wir essen, bilden. Die Studienlage zeigt eindeutig, dass der westliche Ernährungsstil das Mikrobiom verkümmern lässt und dass damit ein erhöhtes Risiko für viele Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auch Krebs einhergeht.
Derzeit werden stark verarbeitete Lebensmittel besonders kritisch gesehen, wenn es um diese Volksleiden geht. Sind sie zu Recht in Verruf geraten?
Hoch verarbeitete Lebensmittel sollten nur sparsam verzehrt werden. Ein Grund ist die hohe Energiedichte, das heißt, dass sie viele Kalorien pro Portion liefern. Sie stammen vor allem von Zucker und Fett. Beide sind für sich genommen schon ungesund und können die Entstehung von Übergewicht fördern. Durch den Überschuss an Energie werden zudem auch Darmbakterien begünstigt, die entzündungsfördernde Substanzen bilden können.
Welche Rolle spielen dabei denn die Zusatzstoffe in hoch verarbeiteten Lebensmitteln?
Es gibt erste Hinweise darauf, dass bestimmte Lebensmittelzusätze schädlich wirken, aber man kann nicht mit Sicherheit sagen, dieser oder jener Zusatzstoff verändert das Mikrobiom in einer bestimmten Weise krankhaft. Zwar zeigen Studien, dass bestimmte Emulgatoren oder Süßungsmittel mit einer verringerten Vielfalt im Darm einhergehen – das sind aber häufig Tierstudien, die nicht unbedingt auf den Menschen übertragbar sind. Zudem werden in diesen Experimenten oft solche Mengen an bestimmten Zusatzstoffen verfüttert, die man hochgerechnet auf den Menschen gar nicht erreichen könnte.
Sie haben vorhin ja schon erwähnt, dass unsere Ernährung viel Fett und Fleisch enthält. Wie wirkt sich das aus?
Eine sehr fettreiche Ernährung führt dazu, dass zur Verdauung zu viele Gallensäuren gebildet werden. Diese wandeln die Bakterien zu Substanzen um, die der Darmwand zusetzen. Deswegen sollte eine gesunde Ernährung wenig fettreiches Fleisch wie etwa Wurstwaren enthalten. Aus rotem Fleisch entsteht durch die Darmmikroben auch ein Stoff namens Trimethylaminoxid, kurz TMAO, der etwa entzündlich auf Gefäße wirkt.
Die mediterrane Diät zeichnet sich ebenfalls durch einen hohen Fettgehalt aus. Doch gilt mediterrane Kost nicht als sehr gesundheitsförderlich?
Richtig. Das liegt daran, dass in der mediterranen Diät aber vor allem die günstigen ungesättigten Fette vorkommen – wie beispielsweise in Olivenöl. Und die Speisen enthalten oft gesunde Pflanzenstoffe, die mögliche negative Effekte neutralisieren können. Es ist also immer die gesamte Ernährungsweise ausschlaggebend.
Wie sollte eine Ernährung, die das Mikrobiom pflegt, demnach aussehen?
Wichtig ist eine pflanzenbetonte Ernährung, denn sie hat viele Vorteile. Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte und Getreide haben eine geringe Energiedichte und sie liefern Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe. Dazu zählen etwa Polyphenole aus Beeren oder auch Sulfonate aus Grüngemüse, die von den Darmbakterien abgebaut werden und sich größtenteils positiv auswirken. Aber vor allem Ballaststoffe sind essenziell für die Darmgesundheit.
»Ballast« klingt ja erst mal nach unnützem Ballast …
Ja, der Name ist ein wenig unglücklich gewählt. Dabei regen Ballaststoffe die Verdauung an. Und eine gut funktionierende Verdauung hat auch immer mit Wohlbefinden zu tun, das sollte man nicht unterschätzen. Darüber hinaus liefern sie Stoffe wie Pektin, Beta-Glukan oder resistente Stärke, die von Bakterien abgebaut werden können. Zum Beispiel bilden die Bakterien Faecalibacterium prausnitzii sowie Vertreter der Gattung Prevotella aus Ballaststoffen kurzkettige Fettsäuren wie Propionat und Butyrat. Diese hemmen einerseits Entzündungen und könnten womöglich gegen die Tumorbildung vorgehen, wie Studien zeigen. Zudem ziehen Darmwandzellen aus Butyrat Energie. Nimmt man zu wenig Ballaststoffe zu sich, mangelt es darum an Energie für die Darmwandzellen. Das muss nicht krank machen, verändert aber das Milieu und kann auf Dauer das Risiko für chronische Erkrankungen erhöhen.
»Es nützt nichts, nur probiotische Joghurts zu essen. Man muss die Darmbakterien auch gut mit Ballaststoffen füttern«
Was ist mit fermentierten Lebensmitteln, die werden ja gerade sehr gehypt?
Aktuelle Studien zeigen, dass fermentierte Lebensmittel die Vielfalt der Mikrobiota im Darm erhöhen können. Natürlich ist zum Beispiel Jogurt ein gesundes Lebensmittel. Vor allem in probiotischen Jogurts sind sehr viele Bakterien wie gesundheitsfördernde Laktobazillen enthalten, die lebend bis in den Darm gelangen können und dort eine Nische finden, wo sie sich vermehren können. Allerdings: Es nützt nichts, nur probiotische Jogurts zu essen. Man muss die Darmbakterien auch gut mit Ballaststoffen füttern.
Gerade Schwangere und junge Eltern beschäftigen sich ja viel mit Ernährung. Mit welchem Mikrobiom starten wir eigentlich ins Leben und worauf ist zu achten?
Kommt es zu einer vaginalen Geburt, schluckt das Kind Bakterien, die sich im Geburtskanal befinden. Bei einem Kaiserschnitt ist darum die anfängliche Besiedlung mit Mikroben geringer. Generell ist der Darm von Neugeborenen zunächst kaum von Mikroben bewohnt. Durch das Stillen mit Muttermilch, aber auch bei Flaschenmilch, gelangen vermehrt Bakterien in den Darm des Kindes und siedeln sich dort an. Mit der anschließenden Beikost kann das Mikrobiom noch diverser werden, darum sollte die erste festere Nahrung möglichst vielfältig sein. Für die Besiedlung des Darms spielen allerdings nicht nur die Ernährung, sondern auch andere Umweltbedingungen und die Gene eine Rolle. Vorsichtig sollte man im frühen Kindesalter bei der Gabe von Antibiotika sein. Dies kann lang anhaltend negative Effekte haben, weil die Darmmikrobiota am Lebensanfang sensibel ist.
Wie entwickelt sich dann das Mikrobiom weiter?
Etwa im Alter von zwei bis drei Jahren ist die Entwicklung abgeschlossen und das Mikrobiom relativ stabil. Es hat sich dann eine Art Kernmikrobiom gebildet, das sehr individuell ist. Durch akute Ereignisse wie einen Infekt oder Fasten kann es kurzfristig verändert werden, pendelt sich dann aber wieder ein. Mit höherem Alter nimmt die Vielfalt allerdings wieder ab. Diesen Prozess kann man jedoch positiv beeinflussen, etwa indem man sich gesund ernährt, sich ausreichend bewegt und auf Zigaretten verzichtet.
Und welche Rolle spielt der Wohnort? Macht es etwa einen Unterschied, ob ich in der Stadt oder auf dem Land lebe?
Unsere Studien in Subsahara-Afrika zeigen, dass die Diversität im Darmmikrobiom bei Menschen, die auf dem Land leben, höher ist. Es sind dort auf Grund des Lebensstils verschiedene und andere Bakterien – etwa in einem Stall – vorhanden, die das Mikrobiom bereichern. Dazu kommt dann vielleicht noch der Konsum von anderen oder weniger verarbeiteten Lebensmitteln wie zum Beispiel Rohmilch. Das alles verändert das Mikrobiom. Diese Ergebnisse passen gut zur so genannten Hygienehypothese. Es gibt Studien, die besagen, dass etwa bei traditionellen Milchbauern seltener Allergien auftreten. Dagegen findet man in urbanen Milieus eher einen extremen Hygienestatus und auch eine erhöhte Rate an Allergien.
Welchen Zusammenhang gibt es denn noch zwischen Krankheiten und dem Mikrobiom?
Das ist schwer von der Ernährung an sich zu trennen. Das, was wir essen, beeinflusst auf verschiedene Weise im Körper Stoffwechselprozesse, nicht nur das Mikrobiom. So wirken sich viele Kalorien, wie gesagt, auf das Mikrobiom aus, sie erhöhen jedoch per se schon das Risiko für Übergewicht und damit mögliche Folgekrankheiten. Zudem ist selten klar, was Ursache und was Wirkung ist. Zwar sehen wir zum Beispiel in Studien, dass Übergewicht oft mit einem bestimmten Mikrobiommuster einhergeht, das sich von dem Normalgewichtiger unterscheidet. Ob das Folge des Übergewichts ist oder aber das Übergewicht von den Bakterien verursacht wird, können wir noch nicht sagen. Gleiches gilt für Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
»Ausgelöst durch eine ungünstige Ernährung, können bestimmte Darmbakterien das System zum Kippen bringen und die Entstehung von Tumoren begünstigen«
Trifft das auch bei Darmkrebs zu?
Es gibt tatsächlich ein paar Krankheiten, bei denen das Mikrobiom ursächlich mitspielt, und dazu zählt auch Darmkrebs. Ausgelöst durch eine ungünstige Ernährung können bestimmte Darmbakterien das System zum Kippen bringen und die Entstehung von Tumoren begünstigen. Auch chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn werden sehr wahrscheinlich durch ein krankhaft verändertes Mikrobiom, eine so genannte Dysbiose, begünstigt.
Könnte man mit Hilfe einer Stuhlprobe die Darmmikrobiota analysieren und sagen: Dieser Mensch wird bald an Darmkrebs leiden oder hat jetzt schon Morbus Crohn?
Es gibt Firmen, die Stuhlanalysen anbieten, aber das liefert keinen wirklich nützlichen Erkenntnisgewinn, außer, dass man dann weiß, welche Bakterien in der Stuhlprobe vorhanden waren. Und selbst unter sehr kontrollierten Studienbedingungen sind die gewonnenen Daten zur Zusammensetzung des Mikrobioms oft widersprüchlich. Wenn man solche Analysen als Mittel zur Diagnose oder gar zur Prognose nutzen könnte, würde das schon in der Praxis angewendet werden. Aber es gibt für diese einzelnen Krankheiten keine Signatur oder eine Art »mikrobiellen Fingerabdruck«, mit dem man das Risiko dafür ermitteln könnte. Irgendwann werden wir da sicher hinkommen, aber zurzeit sind wir noch nicht so weit und benötigen mehr Forschung in diesem Bereich.
Wie sieht denn ein krankhaft verändertes Mikrobiom aus?
Auch das weiß man noch nicht genau. Was man bei nahezu allen Erkrankungen sieht, ist eine stark reduzierte Vielfalt. Klar ist darum: Die Diversität des Mikrobioms ist für die Gesundheit wichtig. Aber hier gibt es ebenfalls große Unterschiede zwischen gesunden Westeuropäern und gesunden Menschen, die etwa in Subsahara-Afrika leben. Wir konnten in Studien zeigen, dass Letztere eine wesentlich größere Vielfalt im Darm haben. Trotzdem handelt es sich bei beiden Gruppen wie gesagt um Gesunde. Zurück zur Dysbiose: Hier gibt es ein paar Bakteriengruppen, die tendenziell häufiger auftreten und negativ wirken. Sie können das Gleichgewicht zum Kippen bringen. So findet sich bei einem krankhaft veränderten Mikrobiom oft eine erhöhte Anzahl an Proteobakterien im Darm. Und bei Darmkrebspatienten treten beispielsweise häufig Bakterien der Gattung Fusobacterium auf; da scheint es also einen Zusammenhang mit der Erkrankung zu geben.
Woher weiß man denn überhaupt, dass man dem Mikrobiom zuliebe seine Ernährung ändern sollte?
Wenn man gesund ist und sich gesund ernährt, ist man auf der sicheren Seite. Dann muss ich nicht wissen, wie sich mein Mikrobiom zusammensetzt. Das gilt auch umgekehrt: Wenn man die Diagnose Diabetes erhält, braucht es keine Stuhlanalyse, um zu sagen, dass man sich gesünder ernähren sollte. Da sind wir einfach bei den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, die insbesondere pflanzliche Lebensmittel und Ballaststoffe vorsehen. In Deutschland liegt der durchschnittliche Verzehr von Ballaststoffen übrigens deutlich unter der Empfehlung von 30 Gramm pro Tag.
Kann man das beispielsweise mit Nahrungsergänzungsmitteln für den Darm ausgleichen? Was halten Sie davon?
Nahrungsergänzungsmittel wie Probiotika, Präbiotika oder Synbiotika sind keine Medikamente, daher muss es dazu auch keine aufwändigen klinischen Studien geben und deswegen fehlen hier oft Beweise, ob sie sich positiv auswirken. Zudem müsste man sie wohl lebenslang einnehmen und das ist teuer. Mit einer ausgewogenen Ernährung kann man leicht mehr erreichen. Bei Probiotika, also lebenden Bakterien, ist wieder das Problem, dass man nicht ausschließlich einem bestimmten Bakterium ein besonders großes Gesundheitspotenzial bescheinigen kann. Neuerdings gibt es gesundheitsfördernde kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat in Tablettenform. Aber hier gibt es ebenfalls keine Studien, die eine positive Wirkung nachweisen.
Und wenn wir noch mal auf die potenziell negativen Effekte schauen: Welche Medikamente sind denn eher schlecht für unser Mikrobiom?
Medikamente haben großen Einfluss. Dass Breitbandantibiotika viele Bakterien im Darm und damit eben manche guten Mikroben im Darm abtöten, ist den meisten bekannt. Deswegen sollte man heutzutage weniger davon verschreiben oder sie zielgerichteter einsetzen. Was weniger Menschen wissen: Auch viele andere Medikamente, zum Beispiel Statine oder Ibuprofen, wirken teils antimikrobiell, aber nicht in großem Maße. Zudem wird durch das Mikrobiom die Wirksamkeit bestimmter Medikamente geschwächt oder verstärkt. Das bietet wiederum in Zukunft die Möglichkeit, Arzneien effizienter dosieren zu können, wenn man das Mikrobiom kennt.
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