Persönlichkeit: »Das größte Rätsel ist, wo Narzissmus herkommt«
Narzisstische Menschen sind überzeugt, etwas Besonderes zu sein. Sie wollen bewundert werden, beanspruchen Sonderrechte und reagieren empfindlich auf Kritik. Doch sie haben auch ihre guten Seiten, erklärt Mitja Back, Professor für Psychologische Diagnostik und Persönlichkeitspsychologie an der Universität Münster. Seit mehr als zehn Jahren erforscht er, was narzisstische Menschen antreibt – und wie unterschiedlich sich ihre Persönlichkeit auf ihr eigenes Leben und das ihrer Mitmenschen auswirken kann.
»Spektrum.de«: Mitja, wir kennen uns aus dem Psychologiestudium, waren aber seit rund 20 Jahren nicht mehr in Kontakt. 2003 hast du Diplom gemacht, sieben Jahre später warst du schon Professor. Bist du durch den schnellen Erfolg narzisstischer geworden?
Mitja Back: Ich glaube nicht. Ich habe eher die typische Entwicklung durchlaufen, bin mit dem Alter also etwas weniger narzisstisch geworden. Ob Erfolg generell narzisstischer macht, ist bislang wenig erforscht. Ich habe das einmal zusammen mit belgischen Kollegen untersucht. Narzissten steigen demnach zwar beruflich schneller auf, doch umgekehrt haben wir keinen Effekt gesehen. Personen, die es auf höhere Karrierestufen geschafft haben, sind daraufhin nicht narzisstischer geworden.
Im Prinzip offenbart sich das sehr schnell. Es genügt schon zu fragen: Was machst du denn so? Narzissten erzählen dann gerne von sich, von ihren Erfolgen und besonderen Erlebnissen – alles, wofür sie Bewunderung ernten können. Ein anderes typisches Verhalten zeigt sich, wenn sie das Gefühl haben, ihr Status werde angekratzt. Dann reagieren sie eher aggressiv und abwertend.
Könnte man auch einfach fragen: Bist du ein Narzisst?
Auch das könnte sehr gut funktionieren. Narzissten wissen, dass sie narzisstisch sind. Eine amerikanische Kollegin, Erika Carlson, hat Studierende gefragt, wie sie sich selbst beschreiben würden und wie sie wohl von anderen wahrgenommen werden. Narzissten halten sich für besonders intelligent, witzig – und arrogant. Sie denken auch, dass andere sie arrogant finden. Es macht ihnen aber nichts aus, denn sie glauben: Ich kann mir das leisten, ich kann mehr als andere. Sie wollen nicht von allen nett gefunden, sondern bewundert werden und vorankommen.
»Narzissten wissen, dass sie narzisstisch sind«
Woran erkenne ich umgekehrt, dass eine Person wenig narzisstisch ist?
Auf die Frage, was sie macht, würde sie so etwas sagen wie: Och, nichts Besonderes, ich mach meinen Job, ansonsten lese ich gerne, verbringe Zeit mit der Familie.
Kann man Narzissmus auch an Hirnscans ablesen?
Es gibt keine spezifischen Marker im Gehirn, an denen man Narzissmus ablesen könnte. Das liegt vor allem daran, dass wir darüber noch zu wenig wissen, weil die bisherigen neurowissenschaftlichen Studien nicht ausreichend robust sind: Die Stichprobengrößen sind zu klein, die Ergebnisse nicht repliziert. Wir können nicht einmal sagen, welche Hirnmechanismen beteiligt sind. Es gibt jedoch eine Reihe von Spekulationen, zum Beispiel, dass für die typische Tendenz von Narzissten, nach neuen aufregenden Erlebnissen zu suchen, eine stärkere Reaktivität des dopaminergen Systems eine Rolle spielen könnte.
Gibt es auch keine anderen Biomarker, wie körperliche Reaktionen auf Bewunderung?
Nein, aber das ist ein interessanter Ansatz: zu untersuchen, was Narzissten wollen, worauf sie emotional reagieren – die Kernmotivation. Dafür sorgt man im Labor für verschiedene Arten von Belohnung und misst die unmittelbare körperliche Reaktion. Wir, also mein Team und ich an der Universität Münster, haben diese Reaktionen im Alltag untersucht und Menschen per Smartphone mehrmals am Tag gefragt: Was machst du gerade, wie fühlst du dich? Hast du Aufmerksamkeit bekommen? In der Regel sind Menschen stolz, wenn andere sie gut finden, und sie ärgern sich, wenn sie nicht beachtet werden. Aber bei Narzissten fallen diese Reaktionen stärker aus: Sie reagieren positiver auf Statusgewinne und negativer auf Statusverluste.
Ist das der Kern von Narzissmus?
Es ist eines der drei Hauptmerkmale. Eines ist die Überzeugung, anderen überlegen und etwas Besonderes zu sein. Damit verbunden ist das zweite Merkmal, das Anspruchsdenken: Ich habe mehr verdient als andere. Das dritte ist das Streben nach Status: im Mittelpunkt zu stehen, bewundert zu werden. Narzissten reagieren besonders stark auf statusrelevante Reize, das ist ihre Kernmotivation.
Gibt es verschiedene Typen von Narzissmus?
Es kommt darauf an, welche Aspekte man sich ansieht. Motivational geht es im Kern immer um Status- und Anspruchsdenken. Narzissten unterscheiden sich allerdings darin, mit welchen Strategien sie dieses Ziel verfolgen, wie sie ihren Narzissmus ausleben. Früher unterschied man zwei Typen: grandiose Narzissten, die selbstbewusst nach vorne gehen, die nach außen »strahlen«, wir sprechen auch von »agentischem« Verhalten. Und vulnerable Narzissten, die eher selbstunsicher sind und sich zurückziehen. Bei drohendem Statusverlust reagieren die einen agentisch-aggressiv, die anderen neurotisch-aggressiv. Damit werden jedoch drei Dinge vermengt: agentisches, aggressives und neurotisches Verhalten. Es wird bis heute viel darüber diskutiert, wie diese drei zusammenhängen. Meine Ansicht: Typisch für Narzissmus ist das »Strahlen«: Wenn ich glaube, besonders zu sein, dann will ich das zeigen. Es gibt erst einmal keinen Grund, aggressiv zu werden. Unsere Studien bestätigen das: Es gibt viele Narzissten, die nur »strahlen«, aber kaum welche, die nur die Ellenbogen einsetzen. Das spricht dafür, dass das eine nachgelagerte Strategie ist. Neurotisches Verhalten kommt erst ins Spiel, wenn Narzissten scheitern und zynisch werden, also wenn sie denken: Eigentlich bin ich großartig, aber die Welt kapiert das einfach nicht.
»Es ist ein Mythos, dass Narzissten tief im Inneren arme Würstchen sind«
Im Kern finden sich also alle Narzissten erst einmal toll – und das ist keine Show?
Ja. Es ist ein weit verbreiteter Mythos, dass Narzissten tief im Inneren arme Würstchen sind und sie das mit ihrem Statusstreben kompensieren wollen.
Wie kann man denn nachweisen, dass sich jemand wirklich für großartig hält?
Das ist nicht so einfach. Im Fragebogen erfahren wir nur, was die Befragten selbst über sich wissen und was sie auch mitteilen wollen. Deshalb versucht man, über »implizite« Tests das Selbstwertgefühl indirekt zu messen. Ein bekanntes Verfahren ist der implizite Assoziationstest. Man präsentiert den Versuchspersonen am Computer Kategorien wie »ich« und »andere« und dazu positive und negative Wörter, und sie sollen per Taste auf eine bestimmte Kombination reagieren, wie »ich« und ein positives Wort, »andere« und ein negatives Wort oder umgekehrt. Die Idee ist, dass ich schneller reagiere, wenn zwei Konzepte im Kopf eng verbunden sind, wie »ich« und etwas Positives.
Und was kommt bei solchen Tests heraus?
Wir haben einmal alle Studien zusammengetragen, die das Selbstwertgefühl indirekt erfasst haben. Doch wir fanden keinen Hinweis darauf, dass sich Narzissten tief im Inneren schlechter fühlen als andere Menschen. Eine andere Hypothese war, dass ihr Selbstwert normal hoch ist, aber stärker schwankt. Dazu haben wir selbst Studien durchgeführt, im Labor, mit Onlinetagebüchern und per Smartphone. Man sieht: Bei den Ellenbogen-Narzissten ist der Selbstwert niedriger und schwankt mehr als bei weniger aggressiven Narzissten. Das narzisstische »Strahlen« geht aber einher mit einem hohen und stabilen Selbstwert – höher und stabiler als im Bevölkerungsmittel.
Auch wenn Narzissten sich selbst richtig gut finden: Ist es nicht anstrengend, sich das immer wieder bestätigen zu müssen?
Da ist was dran: Als Narzisst tanzt man auf einem hohen Seil. Und sobald ein Ziel erreicht ist, kommt das nächste – das kann anstrengend sein. Auf der anderen Seite steht allerdings das gute Gefühl, etwas erreichen zu können, und die Euphorie, wenn man etwas Tolles geschafft hat. Wenn das nicht gelingt, dann kann der Druck krank machen. Die meisten Narzissten werden aber nicht krank. Sie sind im Mittel sogar etwas gesünder als wenig narzisstische Menschen.
Machen Narzissten auch mal Pause?
Auf jeden Fall. Wir haben häufig die Idee, dass sich eine Eigenschaft ständig irgendwie auswirken muss, doch das ist nicht so. Gesellige Menschen sind nicht ständig gesellig, Narzissten nicht ständig narzisstisch. Sie sind nicht jede Sekunde so sehr mit ihrem Vorankommen beschäftigt, dass ihnen Liebe und Nähe komplett gleichgültig wären. Sie setzen nur häufiger andere Prioritäten. Es gibt auch Momente, in denen sich Narzissten entspannt mit anderen unterhalten und das genießen können.
Kommt es nicht auch darauf an, woran sie Status festmachen?
Ein wichtiger Punkt. Wir denken bei Narzissmus oft nur an Erfolg, Karriere, Geld, gutes Aussehen, weil das in unserer Gesellschaft mit Status verbunden ist. Aber Narzissten können sich ebenso für ihre guten Taten bewundern lassen. Übrigens: Wir stellen uns unter einem Narzissten zwar meist eher einen Mann vor. Männer sind jedoch nur ein bisschen narzisstischer als Frauen. Die Unterschiede sind innerhalb der Geschlechter viel größer als zwischen ihnen.
»Die Erziehung ist wahrscheinlich kein wichtiger Faktor«
Wie werden Menschen überhaupt zu Narzissten? Ist die Erziehung entscheidend?
Es gibt zwei Ideen dazu. Die eine lautet, dass Vernachlässigung innere Leere und damit Narzissmus hervorbringt. Die andere: Sie haben eine »Überbewertung« erfahren, etwa übermäßiges Lob: »Niemand baut so schön mit Bauklötzchen wie du.« Was von beiden stimmt, ist schwer zu untersuchen. Wenn man Erwachsene fragt, wie sich ihre Eltern verhalten haben, können die Antworten verzerrt sein. Man muss die Daten in der Kindheit erheben und die Entwicklung über einen gewissen Zeitraum beobachten. Der niederländische Psychologe Eddie Brummelman und sein Team haben das gemacht. Mit dem Ergebnis, dass eine kalte Erziehung keine Rolle spielt, sondern dass die Kinder, die von ihren Eltern auf ein Podest gestellt werden, später eher narzisstisch werden. Der Effekt ist allerdings sehr klein, und ich kenne auch keine Replikationsstudie. Es ist aber die beste Evidenz, die wir haben.
Wenn der Effekt so klein ist, woher kommt Narzissmus dann?
Die Erziehung ist wahrscheinlich kein wichtiger Faktor. Trotzdem haben die Eltern einen Effekt – über die Gene. Sie machen rund 50 Prozent aus, das wissen wir zum Beispiel aus einer chinesischen Studie, die 300 eineiige und zweieiige Zwillingspaare verglichen hat. Kürzlich haben wir den Einfluss der Gene auch selbst analysiert, zusammen mit Christian Kandler, der eine große Familienstudie leitet. In beiden Fällen lag Narzissmus zur Hälfte in den Genen begründet.
Das ist schwer vorstellbar. Was genau wird da vererbt?
Wir wissen es nicht. Eine plausible Idee wäre: das Streben nach sozialem Status, nach der Aufmerksamkeit von Menschen. Die Gene könnten die Bereitschaft dazu vermitteln, auf diese Aufmerksamkeit stark zu reagieren, zum Beispiel über das dopaminerge System. Das ist jedoch bislang reine Spekulation. Wir wissen aber: Es bleiben 50 Prozent für weitere Umwelteinflüsse. Erfahrungen wie Erziehung, Bildung oder Einkommen der Eltern spielen wahrscheinlich keine so große Rolle. Andere Erfahrungen müssen also zu Narzissmus beitragen: mit Gleichaltrigen in der Schule, erste Liebesbeziehungen, Studium und Beruf. Junge Erwachsene kommen in neue soziale Gefüge, da kann sich noch einiges verändern, der Status wird neu verhandelt.
Heißt das: Eltern können gar nicht so viel machen?
Zumindest ist die Erziehung nicht das Wesentliche. Für Eltern ist das sehr entlastend, sie stehen ja häufig unter dem Druck, ihre Kinder immer »besser« zu machen. Da würde ich eher empfehlen, sich entspannt zurückzulehnen und die Kinder einfach machen zu lassen. Das heißt aber nicht, dass man gar keinen Einfluss hat. Wie gesagt: Übermäßiges Lob kann wahrscheinlich eine narzisstische Tendenz verstärken.
Wie können Eltern so eine Tendenz erkennen?
Wenn sich ein Kind ständig in den Vordergrund drängt und sagt: »Ich kann das am besten«, dann sind das erste Anzeichen. Doch bis zu einem gewissen Alter ist es für Kinder normal, dass sich für sie alles um die eigene Person dreht. Sie realisieren erst später, dass andere Menschen auch Bedürfnisse haben.
Kann Narzissmus auch wieder verschwinden?
Im Mittel lässt Narzissmus im Alter nach, aber das ist nicht bei allen so. Bei den einen nimmt er deutlich ab, bei anderen steigt er im Alter sogar noch an. Durch diesen Trend entsteht der Eindruck, die jüngeren Generationen würden narzisstischer, doch das stimmt nicht. Und selbst wenn: Ich würde das gar nicht bewerten. Ob Narzissmus gut oder schlecht ist, kommt auf den persönlichen Kontext an.
»Narzissten können besonders erfolgreich sein – oder besonders drastisch scheitern«
Du betonst in deinem Buch die guten Seiten von Narzissmus, zum Beispiel bei Vorgesetzten.
Ja, Vorgesetzte sind ein schönes Beispiel, im Positiven wie im Negativen. Narzisstische Führungskräfte bringen viel Energie mit. Sie können andere begeistern und mitreißen. Mit ihren hohen Ansprüchen erzeugen sie allerdings auch Druck, und wenn etwas nicht wie gewünscht läuft, üben sie harsche Kritik. Darunter leidet das Team. Sie legen auch wenig Wert auf andere Meinungen, bleiben angesichts von Widerständen auf Kurs. Und sie riskieren viel, um ihre Ziele zu erreichen. Deshalb können Narzissten besonders erfolgreich sein – oder besonders drastisch scheitern.
Wie kommt man mit solchen Vorgesetzten am besten zurecht?
In einer eskalierenden Situation ruhig bleiben, abwarten, bis sich der Sturm legt, und danach das Gespräch suchen. Das gilt natürlich immer, aber Konflikte mit Narzissten eskalieren leichter, da ist es umso wichtiger, einen Gang herauszunehmen. Es hilft vielleicht zu bedenken, dass hinter einem aggressiven Ausdruck gar nicht so viel stecken muss; man kann das auch einfach vorbeiziehen lassen. Was wichtig ist: sich nicht abhängig zu machen von der Kritik oder vom Lob der Person. Grundsätzlich sollte man sich fragen: Macht mich das fertig oder kann ich das aushalten? Oder mag ich diese Energie sogar?
Wie ist es mit Freunden und Partner: besser ähnlich oder unterschiedlich narzisstisch?
Das ist die alte Frage, was stimmt: Gleich und Gleich gesellt sich gern, oder Gegensätze ziehen sich an. Tatsächlich gibt es kaum Matching-Effekte, nur eine leichte Tendenz in die Richtung, dass ähnlich narzisstische Menschen eher zueinander finden, in Freundschaften wie in Beziehungen. Aber der Effekt ist relativ klein. Und Beziehungen können in allen Konstellationen schieflaufen.
Sind die Beziehungen von Narzissten instabiler?
Ja. Es gibt eine Reihe an Punkten, die Beziehungen mit Narzissten schwieriger machen. Das liegt unter anderem an ihrem starken Interesse an neuen Reizen, dazu gehören auch neue Partner oder Partnerinnen. Sie gehen daher eher fremd, sie verhalten sich egoistischer, erlauben sich mehr Freiheiten, machen weniger im Haushalt – sie nehmen mehr, als sie geben. Das hat mit ihrem Anspruchsdenken zu tun. Konflikte mit ihnen sind häufiger und härter, und danach sind Narzissten weniger dazu bereit, sich zu entschuldigen oder zu verzeihen.
Dann also besser einen großen Bogen um Narzissten machen, was Partnerschaften angeht?
Auch hier ist Narzissmus mit positiven wie negativen Konsequenzen verbunden. Narzissten können für viel Abwechslung, Spannung und Begeisterung sorgen. Viele suchen sich deshalb einen narzisstischen Partner und berichten vor allem in der Anfangsphase von großartigen Erlebnissen. Dann kommt der Alltag, und es geht darum, die Beziehung zu pflegen und den Haushalt zu führen – dazu passt das narzisstische Mindset nicht so gut. Doch es gibt auch funktionierende Beziehungen mit Narzissten. Wichtig ist, die Prioritäten abzugleichen. Wie viel Stabilität, wie viel Aufregung will ich? Wie viel Nähe und Distanz brauche ich?
»Narzissten sagen nicht: Mein Narzissmus muss weg«
Wann wird Narzissmus zu einer Störung?
Das Kriterium ist, dass daraus Leiden oder Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen entstehen. Anders gesagt: Die Person scheitert immer wieder, gerät in Konflikte. Wenn das mit ihrer Persönlichkeit zu tun hat, würde man von einer Persönlichkeitsstörung sprechen. Dieses kategoriale Denken – man hat eine Störung oder man hat sie nicht – ist inzwischen aber überholt, die dimensionale Diagnostik wird sich durchsetzen: Narzissmus als Persönlichkeitsmerkmal, das mehr oder weniger ausgeprägt ist und zur Entstehung von Problemen beitragen kann. Dabei kommt es jedoch darauf an, welche Eigenschaften narzisstische Menschen noch mitbringen: Wie klug sind sie, wie sozial kompetent? Passt ihr Umfeld zu ihren Fähigkeiten? Narzissten werden dann krank, wenn sie ihren Ansprüchen dauerhaft nicht genügen, wenn sie immer wieder in Konflikte geraten. Sie denken weiterhin, dass sie eigentlich Bewunderung verdienen, aber das klappt nicht. Das frustriert sie. Auslöser ist oft eine Kränkung im Job oder im Privatleben.
Und dann gehen sie in Therapie wegen der psychischen Probleme, die daraus entstehen?
Ja, sie kommen zum Beispiel wegen Depressionen, Konflikten in der Beziehung oder im Job oder sie entwickeln ein Alkoholproblem. Sie kommen nicht und sagen: Mein Narzissmus muss weg.
Muss die Therapie trotzdem auch den Narzissmus behandeln?
Der Therapeut oder die Therapeutin wird nicht versuchen, die Persönlichkeit komplett umzukrempeln. Das ist unrealistisch, Narzissmus ist sehr stabil, und man würde den Menschen damit auch seiner Ressourcen berauben. Was jedoch wichtig ist: zu realisieren, dass es nicht immer die anderen sind, die Probleme machen, sondern dass das eigene Verhalten dazu beiträgt und dass es in ihrem Interesse ist, mit anderen zurechtzukommen. Die Therapie darf nur nicht gleich mit dem Thema einsteigen, erst muss man die Stärken wertschätzen und eine gute Beziehung aufbauen. Auf dieser sicheren Basis wird ihnen dann gespiegelt, was sie bei anderen Menschen auslösen – nicht konfrontierend, sondern möglichst sachlich. Das Ziel ist, flexibler reagieren zu können. Es hilft zudem, Zugang zu Emotionen zu finden, die nicht an den Status gekoppelt sind.
Hängen die psychischen Probleme vom Grad des Narzissmus ab? Also je narzisstischer, desto wahrscheinlicher eine Störung?
Bei hohem Narzissmus ist die Wahrscheinlichkeit größer, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Aber es gibt keinen klaren Zusammenhang. Man kann auch nicht sagen: Ab diesem Grad an Narzissmus ist jemand krank. Es hängt von den sonstigen Fähigkeiten und dem Kontext ab. Man kann sogar mit nahezu Maximalwert amerikanischer Präsident werden.
Gibt es hochnarzisstische Menschen, die völlig unauffällig wirken?
Man würde erwarten, dass sich extremer Narzissmus irgendwie äußert. Es ist sehr schwer, sich ständig zu verstellen, das tun Menschen normalerweise nicht.
Sollte man sich Narzissten eher als glückliche oder als unglückliche Menschen vorstellen?
Weder das eine noch das andere. Wir finden aber bei bestimmten Emotionen wie Stolz mehr Hochs und Tiefs. Wegen der hohen Messlatte ist das Potenzial für beides höher: für extrem euphorische und für extrem kritische Momente.
Was ist für dich das größte Rätsel um Narzissmus?
Das größte Rätsel ist, wo Narzissmus herkommt. Welche Gene, welche biologischen Systeme sind beteiligt, kombiniert mit welchen Erfahrungen? Darüber wissen wir bislang am wenigsten.
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