Waldbrände: Das Pantanal brennt lichterloh
Als Luciana Leite am 2. September 2020 im Pantanal ankam, wollte sie ihren Hochzeitstag feiern. Stattdessen verbrachten die Biologin und ihr Mann den achttägigen Urlaub damit, Freiwilligen und Feuerwehrleuten zu helfen, die Brände dort zu löschen.
Das Pantanal, ein beliebtes Ziel für Ökotouristen, ist das größte tropische Feuchtgebiet der Welt, Heimat indigener Völker und überdurchschnittlich vieler seltener oder gefährdeter Arten wie Jaguare und Riesengürteltiere. In der Region, die sich über Teile des westlichen Brasiliens erstreckt und bis nach Bolivien und Paraguay reicht, treten jedes Jahr kleinere Brände auf. Aber die Feuer des Jahres 2020 waren in Ausmaß und Dauer beispiellos.
Bisher sind 22 Prozent des riesigen Feuchtgebiets – rund 3,2 Millionen Hektar – den Flammen zum Opfer gefallen, sagt Renata Libonati, eine Spezialistin für Fernerkundung an der Bundesuniversität Rio de Janeiro, die auch der Feuerwehr Daten zur Brandbekämpfung liefert. Das ist mehr als das Doppelte der Fläche, die bei den Rekordbränden in Kalifornien 2020 verbrannt ist.
Das könnte nach Meinung mancher Wissenschaftler das ohnehin schon empfindliche Ökosystem des Pantanal tief greifend verändern. »Es ist apokalyptisch«, sagt Leite, die an der Federal University of Bahia im brasilianischen Salvador das Verhältnis von Mensch und Natur erforscht, »eine Tragödie kolossalen Ausmaßes.«
Schlimmste Dürre seit einem halben Jahrhundert
Anders als die Vegetation des nahe gelegenen Amazonas-Regenwalds hat sich die des Pantanal in Koexistenz mit dem Feuer entwickelt. Viele Pflanzenarten benötigen sogar die Hitze des Feuers, um zu keimen. Die Brände werden häufig durch Blitzeinschläge verursacht, was meist am Ende der Trockenzeit im September geschieht. Nur geht den Bränden normalerweise schnell der Brennstoff aus, und angesichts der umliegenden Überschwemmungsgebiete stoßen sie bald an ihre Grenzen.
Laut der Ökologin Luisa Diele-Vegas von der University of Maryland erlebt die Region aber nun die schlimmste Dürre seit 47 Jahren. Bereits die Brände von 2019 seien stärker gewesen als üblich, was die Trockenheit wiederum verschärfte und die Brandgefahr 2020 noch erhöhte. Auf die Feuer, die Viehzüchter legen, um Land für ihre Herden frei zu räumen, habe das wie ein idealer Brandbeschleuniger gewirkt. Einige dieser Brände gerieten außer Kontrolle und richteten noch zusätzlich zu den natürlichen Feuern Schäden an, erklärt Diele-Vegas.
Im Juli kündigte der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro ein 120-tägiges Moratorium für das Legen von Bränden im Amazonasgebiet und im Pantanal an. Diese Vorschriften wurden jedoch nicht strikt durchgesetzt, sagt José Marengo, Klimatologe am Nationalen Zentrum für Überwachung und Frühwarnung vor Naturkatastrophen in São Paulo. Medienberichten zufolge hat die Regierung Bolsonaro, die ohnehin wenig Sympathie für Umweltvorschriften bekundet, 2020 die Zahl der Umweltinspektoren reduziert und die Finanzierung von Brandschutzmaßnahmen blockiert.
Mehr Hitze, weniger Regen, mehr Feuer
Anlass zur Sorge gibt vielen Wissenschaftlern, dass die diesjährige Brandsaison kein Ausnahmefall zu sein scheint. Klimamodellen zufolge wird das Pantanal heißer und trockener, mit einem Temperaturanstieg von bis zu sieben Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts. Unveröffentlichte Daten von Diele-Vegas lassen die Aussichten noch düsterer erscheinen: Setzen sich die Trends so fort, könnten bis 2050 die Jahresmitteltemperaturen im Pantanal um 10,5 Prozent steigen und die jährliche Regenmenge um drei Prozent abnehmen.
Laut José Marengo drohen diese Veränderungen einen Kollaps der Vegetation im Pantanal auszulösen. Die Region wäre dann noch anfälliger für Brände und könnte mit der Zeit an einen Punkt gelangen, ab dem das Ökosystem in einen fundamental anderen Zustand wechselt.
Am meisten leidet die Tierwelt unter den Bränden, sagt Douglas Morton vom Goddard Space Flight Center der NASA in Maryland, auch er ein Spezialist für Fernerkundung. Seit zwei Jahrzehnten untersucht er Brände und Abholzung in ganz Brasilien. Die vielfältige Landschaft des Pantanal, ein Mosaik aus überschwemmten Gebieten, Grasland, Seen und Wäldern, ist nach neuesten Studien die Heimat von mehr als 580 Vogel-, 271 Fisch-, 174 Säugetier-, 131 Reptilien- und 57 Amphibienarten. »Die bleibende Erinnerung an meinen Aufenthalt im Pantanal ist die Kakophonie des Lebens«, sagt Morton. »Es zerreißt mir das Herz, wenn ich das Ausmaß der Brände sehe.«
Erreicht das Pantanal einen Kipppunkt?
Aber auch die Menschen leiden: Die Flammen sind in fünf Gebiete des Pantanal vorgedrungen, die von indigenen Gemeinschaften bewohnt werden. In den drei am stärksten betroffenen Gebieten – Baía dos Guató, Perigara und Tereza Cristina – wurden jeweils mehr als 80 Prozent der Fläche von den Bränden verzehrt.
Freiwillige aus der Region versuchen nun, so viele Tiere wie möglich vor den Flammen und dem Rauch zu retten. Zu ihnen zählt auch Eduarda Fernandes Amaral, die als Fremdenführerin im Staatspark Encontro das Águas arbeitet. Bis zum 20. September 2020 waren mehr als 83 Prozent des Parks zerstört, in dem unter anderem zahlreiche Jaguare, Wasserschweine und Alligatoren leben. Im August haben Fernandes Amaral und andere mehr als 20 Tiere gerettet, von denen einige dann allerdings eingeschläfert werden mussten. Um mit der Situation umzugehen, haben sie sich ein Ritual angewöhnt: »Wenn wir sehen, wie ein Tier stirbt, müssen wir es anschauen, zwei Minuten lang traurig sein und dann verstehen, dass jetzt ein anderes Tier Hilfe braucht«, sagt sie.
»Wir rennen gegen die Zeit an, aber das Feuer kommt und nimmt alles mit sich«
Luisa Diele-Vegas
Angesichts der zunehmenden Brände könnte künftig auch die Tierforschung im Pantanal leiden. Vor zwei Jahren startete Diele-Vegas ein Projekt, um zu untersuchen, wie sich die Verbreitungsgebiete von Fröschen und Kröten im Pantanal auf Grund von Landnutzungsänderungen und Klimaschwankungen verschieben. Doch sie weiß nicht, ob die Amphibienpopulationen, die sie beobachtet, die Brände überhaupt überleben.
»Wir sehen, wie unsere Fauna und Flora verbrennt. Und so viel dieser Fauna und Flora haben wir nicht einmal erforscht«, sagt sie. »Wir rennen gegen die Zeit an, aber das Feuer kommt und nimmt alles mit sich.«
Nach ihrer ersten Reise ins Pantanal konnte Leite die Brände und das Leid nicht vergessen. Im September ist sie zurückgekehrt, um den Einheimischen weiter zu helfen. Seitdem ist sie davon überzeugt, dass sich die Feuchtgebiete für immer verändern werden. »Wenn die Trends beim Klima und im Landmanagement so weitergehen wie bisher und weiter eine Anti-Umwelt-Politik getrieben wird«, sagt Leite, »wird es das Pantanal, wie wir es kennen, bald nicht mehr geben.«
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