Meereskunde: Dem Ozean geht die Luft aus
Etwa die Hälfte des Sauerstoffs der Atmosphäre stammt aus dem Meer: Mikroalgen, das so genannte Phytoplankton, setzen ihn bei der Fotosynthese frei. Doch obwohl die Ozeane derart viel Sauerstoff produzieren, speichern sie selbst weniger als ein Prozent davon. Diese Diskrepanz ist zum einen durch die vergleichsweise geringe Löslichkeit des Gases im Meer zu erklären. So enthält ein Liter Luft zirka die 40-fache Menge Sauerstoff, die sich in dem gleichen Volumen an Salzwasser löst. Auch verteilt sich das Gas im Ozean wesentlich langsamer als in der Atmosphäre.
Zum anderen binden Algen in nährstoffreichen, lichtdurchfluteten Gebieten große Mengen CO2 und produzieren so Biomasse in Hülle und Fülle. Während der bei der Fotosynthese gebildete Sauerstoff nach oben in die Atmosphäre entweicht, sinkt so genannter mariner Schnee – ein Mix aus abgestorbenem Phytoplankton sowie den Ausscheidungen von Zooplankton und Fischen – in die Tiefsee. Dort werden die Bioflocken von aeroben Bakterien zersetzt, die Sauerstoff veratmen. Wird Letzterer nicht genügend nachgeliefert, etwa durch Strömungen, die sauerstoffhaltiges (oxisches) Oberflächenwasser in tiefere Schichten transportieren, kann hier eine sauerstoffarme (hypoxische) oder sogar völlig sauerstofffreie (anoxische) Zone entstehen.
Aktuelle Studien deuten darauf hin, dass der Sauerstoffgehalt im Meer in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat, und Wissenschaftlern zufolge dürfte sich der Trend in der Zukunft fortsetzen. Schuld daran sind vermutlich der Klimawandel und hohe Nährstoffeinträge. Die globale Erwärmung verlangsamt die Durchmischung der Ozeane. Außerdem sinkt die Löslichkeit von Sauerstoff im Wasser mit zunehmender Temperatur. Zusätzlich gelangen durch Emissionen von Industrie und Verkehr, übermäßigen Düngereinsatz und ungeklärte Abwässer immer mehr Nährstoffe ins Meer. Die Folge: massenhaftes Algenwachstum und ein hoher Sauerstoffverbrauch beim Abbau toter Biomasse.
Meeresforscher untersuchen, was das für die Ozeane bedeutet. Welche Veränderungen sind in bereits heute sauerstoffarmen Gebieten zu erwarten? Gibt es Regionen, die in absehbarer Zeit »umkippen« und anoxisch werden könnten? Und was lehrt uns die Erdgeschichte? Um diese Fragen zu beantworten, lohnt es sich, genauer hinzuschauen, wie der Sauerstoff ins Meer kommt und wo er verbraucht wird.
Sauerstoff ist im Ozean ungleich verteilt. Hohe Konzentrationen findet man nahe der Oberfläche, wo Algen durch Fotosynthese oft sogar mehr Sauerstoff freisetzen, als das Wasser speichern kann. Auch nachts, wenn das Phytoplankton keine Fotosynthese betreibt, ist das Meer an der Oberfläche durch ständigen Austausch mit der Atmosphäre reich an Sauerstoff. Durch Meeresströmungen und Mischungsprozesse gelangt das Oberflächenwasser in tiefere Bereiche der Ozeane – dorthin, wo Mikroorganismen herabsinkendes organisches Material abbauen. Wie sauerstoffhaltig das Wasser ist, bevor es abtaucht, hängt vor allem von seiner Temperatur ab, da warmes Wasser weniger Sauerstoff aufnehmen kann als kaltes. Hohe Konzentrationen des Gases findet man daher unter anderem in der Labradorsee zwischen Kanada und Grönland, wo ein Großteil des atlantischen Tiefenwassers seinen Ursprung hat. Grund dafür ist die Abkühlung der Meeresoberfläche, wodurch die Dichte des Wassers zunimmt, es also schwerer wird. Strömungen transportieren dieses Wasser um die ganze Welt, und erst nach rund 1000 Jahren kommt es in den tropischen und subtropischen Auftriebsgebieten wieder mit der Atmosphäre in Kontakt.
In der Zwischenzeit hat sich seine chemische Zusammensetzung stark verändert. Denn während die Wassermassen in der Tiefsee rund um den Globus zirkulieren, schneit es unaufhörlich tote Biomasse aus flacheren Zonen. Mikroorganismen, die sich davon ernähren, entziehen dem Wasser im Lauf der Jahre immer mehr Sauerstoff. Gleichzeitig setzen sie das CO2 und die Nährstoffe wieder frei, welche die Algen an der Oberfläche einst gebunden haben. Das Tiefenwasser der Labradorsee passiert zunächst den Atlantik und hat hier einen höheren Sauerstoffgehalt als am Ende seiner Reise im nördlichen Pazifik oder Indischen Ozean.
Tiefenwasser gelangt auch an den Westküsten des afrikanischen sowie des nord- und südamerikanischen Kontinents wieder nach oben. In diesen Auftriebsgebieten treiben küstenparallele Winde das Oberflächenwasser in Richtung Äquator. Auf Grund der Corioliskraft wird es aufs offene Meer abgelenkt, und Wasser aus tieferen Schichten strömt nach. Letzteres ist reich an Nährstoffen wie Nitrat und Phosphat sowie an Spurenelementen wie Eisen, die das Wachstum von Phytoplankton ankurbeln.
Die sich vermehrenden Algen werden teils gefressen – von Zooplankton und Fischen wie Sardinen oder Anchovis –, teils sinken sie in tiefere Schichten und verenden schließlich, weil dort das Licht für die Fotosynthese fehlt. Auch die Überreste der Räuber und deren Ausscheidungen fallen in die Tiefsee. Das herabsinkende organische Material verkeilt sich und verklebt zu größeren Aggregaten, marinen Schneeflocken, die mitunter mehrere Millimeter messen. Auf den Flocken siedelnde Mikroorganismen und solche, die frei schwimmen, sorgen durch ihren Stoffwechsel für einen hohen Sauerstoffverbrauch unterhalb der Zone, in der die Algen Fotosynthese betreiben. Zugleich findet in diesen Bereichen keine ausreichende Durchmischung statt, sprich, es mangelt an Sauerstoffnachschub. So entstehen hier in Tiefen zwischen 50 und 1000 Metern so genannte Sauerstoffminimumzonen.
Einige Organismen profitieren vom Sauerstoffmangel
Besonders niedrige Konzentrationen des lebenswichtigen Moleküls findet man in den Auftriebsgebieten vor Peru und Chile, vor Namibia sowie im nördlichen Indischen Ozean. Sie entstehen aber auch in anderen Regionen, in denen nur schwache Strömungen herrschen, etwa in Küstengebieten mit hohen Nährstoffeinträgen vom Land und in Binnenmeeren. Ein Beispiel ist die Ostsee, in die Flüsse große Mengen Stickstoff befördern, der überwiegend aus der Landwirtschaft stammt. Das regt das Algenwachstum an. Außerdem herrscht in der Ostsee eine stabile Schichtung von wärmerem, salzarmem Oberflächenwasser und kühlerem, salzhaltigerem Wasser darunter, die sich kaum mischen. Das verhindert, dass genügend Sauerstoff in die Tiefe gelangt.
In manchen Meeresregionen – vor Peru etwa – lässt sich im Zentrum solcher Zonen kein Sauerstoff mehr nachweisen. Diese Bereiche bilden ein eigenes Ökosystem, weil hier anaerobe mikrobielle Prozesse ablaufen, die keinen Sauerstoff benötigen oder für die Sauerstoff sogar pures Gift ist. Die meisten Tiere können in diesen Wasserschichten nicht lange überleben; daher sind diese auch als Todeszonen bekannt.
Dennoch sind sie alles andere als unbelebt. Einige Organismen haben sich an den extrem niedrigen Sauerstoffgehalt angepasst und suchen dort Zuflucht vor Fressfeinden. So wie Euphausia mucronata, die häufigste Krillart im Humboldt-Auftriebsgebiet vor Südamerika. Die kleinen Krebse verbringen den Tag in der Tiefe und wandern nur nachts im Schutz der Dunkelheit nach oben, um Algen zu fressen und Luft zu holen. Auch verschiedene Fische und Ruderfußkrebse halten es in der »Todeszone« aus. Dafür müssen sie allerdings ihren Stoffwechsel herunterfahren – was sie träge und damit zu einer leichten Beute macht. Tief tauchende Meeressäuger wie See-Elefanten gehen hier deshalb bevorzugt auf die Jagd. Ebenso der Vampirtintenfisch, der in 600 bis 900 Meter Tiefe vorkommt. Selbst mit einer Sauerstoffsättigung von lediglich drei Prozent kommt er zurecht – dank großflächiger Kiemen und dem blauen Blutfarbstoff Hämocyanin, der Sauerstoff bei geringen Konzentrationen wesentlich effizienter bindet als unser Hämoglobin. Langfristig benötigen all diese Tiere dennoch Sauerstoff, um zu überleben.
Für zahlreiche Mikroorganismen gilt das nicht: Sie werden ohne das Gas überhaupt erst aktiv oder stellen, wenn es zur Neige geht, einfach auf anaerobe Atmung um. Einige decken ihren Bedarf an Energie und Kohlenstoff, indem sie organische Verbindungen oxidieren, zum Beispiel Zucker oder Aminosäuren. Dabei reduzieren sie Nitrat (NO3−) zu Nitrit (NO2−), Lachgas (N2O) und schließlich zu molekularem Stickstoff (N2). Andere verwenden Eisen-, Mangan- oder Sulfationen (SO42−) an Stelle von Sauerstoff. Und manche einzelligen Bewohner der Sauerstoffminimumzone sind wie die Algen bei der Fotosynthese in der Lage, im Wasser gelöstes CO2 zu fixieren. Statt Sonnenlicht nutzen sie dafür chemisch gebundene Energie, die in reduzierten anorganischen Verbindungen wie Ammonium (NH4+) und Schwefelwasserstoff (H2S) steckt. Bei deren Oxidation wird Energie frei, die es den Organismen erlaubt, Zucker und andere fürs Wachstum benötigte Moleküle aus CO2 zu synthetisieren.
Die mikrobiellen Prozesse in den sauerstoffarmen Regionen der Meere spielen eine zentrale Rolle im globalen Zyklus einiger biologisch relevanter Elemente. Für den Stickstoffkreislauf trifft das in besonderem Maße zu: Stickstoff ist ein wichtiger Nährstoff und macht 78 Prozent der Erdatmosphäre aus. In der Luft liegt er vor allem als N2-Molekül vor, in dem die beiden Atome mit einer starken Dreifachbindung verknüpft sind. In dieser Form ist er für die meisten Lebewesen wertlos. Nur wenige Einzeller können die Bindung knacken und Luftstickstoff in Ammoniak umwandeln, um damit zum Beispiel Aminosäuren zu synthetisieren. Der Mensch ahmt diesen natürlichen Prozess im Haber-Bosch-Verfahren nach und stellt so Ammoniumnitrat und Harnstoff her, als Dünger für die Landwirtschaft.
Die »Todeszonen« regulieren langfristig die Produktivität großer Teile der Meere
Tiere und Pflanzen nehmen den biologisch verfügbaren Stickstoff auf. Sterben sie, recyceln Mikroorganismen ihre Biomasse und setzen den Stickstoff wieder frei, vor allem in Form von Ammonium und Nitrat. Zwei Gruppen von Bakterien, die Forscher in Sauerstoffminimumzonen in großer Zahl gefunden haben, verwandeln die Verbindungen wieder in Luftstickstoff. Dies sind zum einen so genannte Denitrifizierer, die organischen Kohlenstoff mit Hilfe von Nitrat oxidieren, und zum anderen erst Mitte der 1990er Jahre entdeckte Anammox-Bakterien, die Ammonium mit Nitrit veratmen, um Energie für die CO2-Fixierung zu gewinnen. Die hohe Verfügbarkeit von Nährstoffen und die Sauerstoffknappheit in den Auftriebsgebieten schaffen optimale Bedingungen für diese Prozesse: Wissenschaftler schätzen, dass 20 bis 40 Prozent des Verlusts an verwertbarem Stickstoff im Ozean zu Lasten der sauerstofffreien Zonen gehen, obwohl sie weniger als ein Prozent des gesamten Volumens ausmachen. Auf diese Weise regulieren die »Todeszonen« langfristig die Produktivität großer Teile der Meere. Denn das Wasser gelangt irgendwann wieder an die Oberfläche, und oft begrenzt die Menge an biologisch verfügbarem Stickstoff das Algenwachstum.
Auch im globalen Kohlenstoffkreislauf sind die Auftriebsgebiete wichtig, weil hier große Mengen CO2 bei der Fotosynthese fixiert und als mariner Schnee in die Tiefsee verfrachtet werden. Im Schnitt erreicht jedoch kaum ein Prozent des Kohlenstoffs den Meeresboden. Den Rest setzen Mikroorganismen wieder als CO2 frei, während er hunderte oder gar tausende Meter Wasser durchquert. In Abwesenheit von Sauerstoff geschieht das allerdings langsamer, so dass in Auftriebsgebieten mehr organisch gebundener Kohlenstoff den Boden erreicht und dem Kreislauf entzogen wird als in anderen Meeresregionen.
Der Mensch macht große Mengen Stickstoff biologisch verfügbar und überdüngt so die Meere
Die Emissionen von Treibhausgasen – insbesondere von CO2, aber auch von Methan und Lachgas – lassen die Temperatur der Atmosphäre steigen und damit die des Ozeans. Weil gleichzeitig die Löslichkeit von Sauerstoff im Meerwasser sinkt, gehen Ozeanografen davon aus, dass sich die sauerstoffarmen Zonen in den kommenden Jahrzehnten ausweiten werden. Tatsächlich hat sich deren Volumen seit Mitte des 20. Jahrhunderts weltweit bereits vervierfacht, wie Langzeitstudien zeigen. Die verringerte Löslichkeit erklärt aber weniger als die Hälfte der beobachteten Sauerstoffabnahme. Der Großteil ist auf eine schwächere Ozeanzirkulation zurückzuführen – eine weitere Folge der Ozeanerwärmung: Da sich das Oberflächenwasser aufheizt und an Dichte verliert, wird die Schichtung der Wassersäule stabiler. Es braucht also mehr Energie, um sauerstoffreiches Wasser in die Tiefe zu transportieren. Die Belüftung des Ozeans nimmt im Zuge des Klimawandels somit ab.
Zusätzlich greift der Mensch in den Nährstoffhaushalt der Meere ein, indem er riesige Mengen Stickstoff biologisch verfügbar macht (gut die Hälfte der Stickstofffixierung auf der Erde geschieht über das Haber-Bosch-Verfahren, den Rest übernehmen Bakterien). Erhebliche Mengen Stickstoff aus Kunstdünger und Gülle gelangen in Flüsse und landen schließlich im Meer. Vor allem in küstennahen Gebieten führt das zu übermäßigem Algenwachstum und hohem Sauerstoffverbrauch. Binnen kurzer Zeit kann Überdüngung ein artenreiches Habitat in einen für Fische, Krebse und Muscheln lebensfeindlichen Wasserkörper verwandeln.
Auf lange Sicht wirken Sauerstoffminimumzonen dem Überangebot an Nährstoffen teilweise entgegen. Denn dort laufen ebenjene mikrobiellen Prozesse ab, die aus Nitrat oder Ammonium wieder wertlosen Luftstickstoff machen. Diese Pufferwirkung ist aber von weiteren Faktoren abhängig, wie der Durchmischung und der Temperatur des Meerwassers. Kurzfristig hilft der Nährstoffabbau beispielsweise erstickenden Kiemenatmern nicht. Auf Dauer ermöglicht er jedoch, dass Ökosysteme sich regenerieren beziehungsweise dass sich allmählich ein neues Gleichgewicht zwischen Stickstoffzufuhr und -verlust einpendelt.
Was in den Weltmeeren passiert, wenn der Sauerstoffgehalt sinkt, lässt sich auch in Deutschland beobachten, vor allem an der Ostseeküste: Die Fischbestände gehen hier zurück, und es kommt zu Massensterben, wenn sich das Wasser über den Sommer stark aufheizt. Das geschah etwa im Herbst 2017, als am Strand von Eckernförde tausende tote Dorsche, Plattfische und andere Meerestiere angespült wurden. Hauptursache dafür war ein andauernder starker Südwestwind, der sauerstoffreiches Oberflächenwasser von der Küste in Richtung offene Ostsee drückte. Dadurch strömte sauerstoffarmes Wasser aus der Tiefe nach oben, das die Fische offensichtlich überraschte.
Toxisches Molekül aus dem Meeresboden
Für den Dorsch ist der zunehmende Sauerstoffmangel noch aus einem weiteren Grund problematisch: Dorscheier haben eine Dichte, die jener des Tiefenwassers in der Ostsee entspricht und sie ein Stück über dem Meeresboden schweben lässt. Wird diese Zone nicht häufig genug durch aus der Nordsee herüberschwappendes Wasser belüftet, das sauerstoffreich ist und schwerer als das der Ostsee, ersticken die Embryos.
Eine weitere Gefahr für Fische und andere Lebewesen ist die Anreicherung von sauerstoffarmen Meeresregionen mit toxischem Schwefelwasserstoff. Der entsteht im Sediment, wo er in Anwesenheit von Sauerstoff durch Mikroorganismen auch gleich wieder zu ungiftigem Sulfat umgewandelt wird. Wenn der Sauerstoff allerdings fehlt, kann die giftige Verbindung in das Wasser entweichen und so ebenfalls Massensterben verursachen. Vor der Küste Namibias etwa kam es in der Vergangenheit wiederholt zu Freisetzungen von Schwefelwasserstoff aus dem Meeresgrund. Das größte jemals dokumentierte Ereignis dieser Art, bei dem unzählige Fische umkamen, beobachteten deutsche Forscher 2009 während einer Expedition in den Küstengewässern Perus. Angesichts der zunehmenden Ausdehnung der Sauerstoffminimumzonen können solche Ereignisse in Zukunft öfter auftreten.
Auch Fischpopulationen weit draußen im offenen Meer sind von der abnehmenden Menge an Sauerstoff betroffen. Ein Beispiel ist der Blauflossen-Tunfisch, ein wahrer Extremsportler, der weite Strecken zurücklegt und seinen torpedoförmigen Körper auf bis zu 80 Kilometer pro Stunde beschleunigen kann. Solche Höchstleistungen erfordern viel Sauerstoff. Deshalb sind Tunfische – deren Populationen durch Überfischung ohnehin bereits stark dezimiert sind – von der Ozeanerwärmung und der abnehmenden Löslichkeit von Sauerstoff im Meerwasser bedroht.
Der Sauerstoffverlust kann einen Teufelskreis in Gang setzen, der kaum zu durchbrechen ist
Ebenfalls bedeutsam ist die Ausbreitung der »Todeszonen« für die Aktivität von Mikroorganismen: Lange gingen Ozeanografen davon aus, dass der an die indische Ostküste grenzende Golf von Bengalen in Tiefen von zirka 100 bis 400 Metern anoxisch ist. Trotz des Mangels an Sauerstoff und einer hohen Nährstoffverfügbarkeit (durch Flusseinträge aus den bevölkerungsreichen Anrainerstaaten) konnte man jedoch wider Erwarten kaum anaerobe bakterielle Prozesse messen, die für derartige Wasserkörper typisch sind. Forscher des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen und der Süddänischen Universität haben deshalb 2016 mit hochempfindlichen Sensoren nachgemessen, die weniger als 0,01 Prozent Sauerstoffsättigung detektieren können. Das Ergebnis: Der Golf von Bengalen ist nur fast anoxisch. Mikroorganismen, die Nitrat oder Ammonium veratmen, werden hier offenbar durch Spuren von Sauerstoff gehemmt. Sollten diese jedoch restlos verschwinden, etwa weil die Wassertemperatur ansteigt, könnten Denitrifizierer und Anammox-Bakterien deutlich aktiver werden und mehr Nährstoffe in Luftstickstoff umwandeln. Eine nur geringe Veränderung des Sauerstoffgehalts in der Region hätte also möglicherweise weit reichende Folgen.
Ein besonderes Phänomen bei der Ausweitung sauerstoffarmer Zonen sind so genannte positive Rückkopplungen – Prozesse, die sich selbst verstärken. Phosphat (PO43−), neben Nitrat der wichtigste Nährstoff im Ozean, gelangt als Bestandteil des marinen Schnees in die Tiefsee und reichert sich unter oxischen Bedingungen im Sediment an. Es bindet dort an organische und anorganische Partikel. Bei sehr niedrigen Sauerstoffkonzentrationen gelangt Phosphat jedoch wieder in die bodennahe Wasserschicht. Gleiches gilt für das Spurenelement Eisen.
Daraus kann ein wahrer Teufelskreis entstehen: Fehlt Sauerstoff, wird zusätzliches Phosphat verfügbar, das schließlich die obere, sonnendurchflutete Wasserschicht erreicht und dort Algen zum Wachstum anregt. Vor allem Zyanobakterien, die Luftstickstoff fixieren können, profitieren von Phosphat. So entsteht mehr absinkende Biomasse, die von Mikroorganismen unter Verbrauch von Sauerstoff zersetzt wird. Der sauerstoffarme Wasserkörper schwillt weiter an und löst Phosphat sowie Eisen aus immer größeren Sedimentflächen. Einmal in Gang gesetzt, sind solche Rückkopplungsmechanismen nur schwer zu stoppen. Sie treten zum Beispiel in der Ostsee auf. Trotz der inzwischen stark reduzierten Nährstoffeinträge breiten sich die anoxischen Gebiete dort nach wie vor aus, und es kommt vermehrt zu starken Algenblüten.
Im Lauf der Erdgeschichte haben sich warme und kalte Phasen immer wieder abgewechselt. Was können wir daraus für die Zukunft der Meere lernen? So genannte ozeanische anoxische Events, die mit einer starken Abnahme des Sauerstoffgehalts in den Ozeanen einhergingen, traten vor allem in Perioden rascher globaler Erwärmung auf und waren mit hohen CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre verbunden. Beispiele für solche Ereignisse finden sich etwa in der Kreidezeit (145 bis 66 Millionen Jahre vor heute). Wissenschaftler vermuten, dass Vulkane einst große Mengen an Treibhausgasen freisetzten und die Atmosphäre aufheizten. In der Folge veränderten sich auch die Meeresströmungen, die Tropen und Subtropen reichten deutlich weiter in Richtung Pole als heute. Die hohen Temperaturen intensivierten zudem den globalen Wasserkreislauf, was mit verstärkter Verwitterung von Gesteinen und höheren Nährstoffeinträgen in die Ozeane einherging, etwa in Form von Phosphat. Letzten Endes führte das zu erheblich weniger Sauerstoff in den Meeren. Eines dieser anoxischen Events vor rund 91,5 Millionen Jahren löste eines der fünf großen Massenaussterben aus.
Die Kreidezeit war von Prozessen geprägt, die auch heute sauerstoffarme Zonen entstehen lassen: mangelnde Durchmischung des Tiefenwassers kombiniert mit einer geringeren Sauerstofflöslichkeit auf Grund der gestiegenen Ozeantemperatur und reichlich Nährstoffen. Das sorgte für eine sehr produktive Schicht nahe der Meeresoberfläche. Darunter bildete sich eine riesige sauerstofffreie Zone. Da organisches Material hier vergleichsweise langsam abgebaut wird, erreichte ein größerer Anteil als heute den Meeresgrund. Über Jahrmillionen verwandelten sich diese Ablagerungen zu fossilen Brennstoffen, die der Mensch dem Kohlenstoffkreislauf nun wieder zuführt.
Was tragen wir also bei zur Ausdehnung von sauerstoffarmen Meeresregionen? Und können wir verhindern, dass weitere Todeszonen entstehen? Es gibt zwei wichtige Faktoren, auf die wir Einfluss haben: die globale Erwärmung und die gewaltigen Nährstoffeinträge in den Ozean.
Der Klimawandel ist ein globales und vielschichtiges Problem, das nur auf internationaler Ebene zu lösen ist. Die Nährstoffverfügbarkeit im Meer hingegen ist je nach Region steuerbar. Während die hohe Produktion von Biomasse vor der Küste Perus aus einem natürlichen Prozess – dem Auftrieb von nährstoffreichem Tiefenwasser – resultiert, stammen die Nährstoffe in Gewässern wie der Ostsee oder dem Golf von Bengalen zu einem erheblichen Teil aus Haushalts- und Industrieabwässern sowie der Landwirtschaft. Um die Mengen dort zu reduzieren, müsste man weniger Dünger einsetzen und in Kläranlagen investieren.
Immer mehr Nährstoffe fallen vom Himmel
Eine weitere, zunehmend relevante Nährstoffquelle im offenen Ozean sind Luftschadstoffe, zum Beispiel Stickoxide. Aus verkehrs- und industrielastigen Regionen stammend verteilen sie sich rund um den Globus. Regen wäscht die Verbindungen aus der Atmosphäre und spült sie ins Meer. Der atmosphärische Stickstoffeintrag in den Ozean entspricht nach aktuellen Berechnungen etwa der Menge, die weltweit über Flüsse in Küstengewässer gelangt.
Forscher haben im vergangenen Jahrzehnt große Fortschritte gemacht, Sauerstoffminimumzonen und die dort ablaufenden Prozesse zu verstehen. Dennoch ist bislang nicht vollständig beantwortet, was deren Entstehung sowie den Transport und Abbau von organischem Material unter anoxischen Bedingungen reguliert. Mit Computermodellen lassen sich ohne solche Informationen nur schwer präzise Vorhersagen für den Ozean treffen. So ist die tatsächlich gemessene Sauerstoffabnahme im Meer etwa doppelt so hoch wie von hoch aufgelösten Modellen angegeben. Es ist unklar, ob dem eine fehlerhafte Abschätzung der sich verändernden Ozeanzirkulation zu Grunde liegt oder die Modelle die biologischen und chemischen Prozesse noch nicht richtig erfassen. Zukünftige Expeditionen und Langzeitbeobachtungen in den Auftriebsgebieten werden darauf eine Antwort liefern.
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