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Geoengineering: Den Klimawandel zurückdrehen

Seriös klingen solche Versprechungen nicht: Der Klimawandel ließe sich aufhalten, obwohl wir weiterhin viel Energie konsumieren. Alles, was wir dafür tun müssten, sei, deutlich stärker auf nachwachsende Rohstoffe zu setzen. Mehr noch: Die Konzentration von Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre ließe sich sogar zurückdrehen.
Hell erleuchtetes Braunkohlekraftwerk in der Nacht

All das verspricht Bioenergy with Carbon Capture and Storage, kurz BECCS, das auf zwei gänzlich verschiedenen Ideen beruht. Auf der einen Seite steht die Bioenergie: Energiepflanzen wie Mais, Zuckerrohr oder Holz sollen weltweit in stark wachsendem Maß angebaut werden. Sie entziehen der Atmosphäre große Mengen Kohlenstoffdioxid und erzeugen dabei nutzbare Energieträger, die in Biogasanlagen oder von Ethanolerzeugern genutzt werden, um Strom oder Biotreibstoffe herzustellen. Das dabei entstehende CO2 geht dann dank einer zweiten Technologie auf Wanderschaft: Es wird aus dem Abgasstrom abgetrennt und über Bohrungen ins Erdreich gepresst. Ein größerer Teil des Kohlenstoffs verschwände in der Tiefe.

Die Idee solcher negativen Emissionen besticht vor allem die Klimaschützer. Manche Wissenschaftler sprechen euphorisch davon, die globalen Treibhausgase "auf vorindustrielles Niveau" abzusenken [1]. Der vierte Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) erwähnt die Option nüchterner: BECCS könne langfristig einen "signifikanten Anteil" des weltweiten Klimaschutzes durch den Anbau von Biomasse ermöglichen, wenn auch die Folgen dieser Idee bislang wohl nicht ausreichend untersucht worden seien [2].

Zurück zum Zwei-Grad-Ziel

Eine Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) untersuchte kürzlich detailliert, wie sich diese Idee technisch umsetzen ließe [3]. BECCS steht demnach noch für ein ganzes Sammelbecken von Ideen, wie die Atmosphäre entlastet werden könnte. Die Autoren der IEA-Studie sehen vor allem Stromkraftwerke als zukünftige CO2-Senken an. Das liegt auch daran, dass Forscher schon heute weltweit untersuchen, wie etwa die Emissionen von Kohlemeilern abgeschieden und in den Untergrund eingeleitet werden können. Obwohl die als Carbon Capture and Storage (CCS) bekannte Technik bislang überwiegend für fossile Großanlagen im Gespräch ist, wird etwa den Brennkammern neben Kohle schon heute auch Holz zugeführt. Würde dies weltweit in Kohlekraftwerken mit CCS-Anlagen passieren, ließe sich damit die CO2-"Schuld" teilweise zurückzahlen, die durch verbrannte fossile Brennstoffe entsteht.

Daneben lässt sich Kohlenstoffdioxid äußerst effizient abzweigen, wenn Ingenieure etwa aus Mais und dank vieler Mikroorganismen den Kraftstoff Ethanol erzeugen. Denn anders als bei einem Verbrennungsprozess muss das CO2 dabei nicht einmal aufwändig aus dem Abgasstrom abgetrennt werden, da es während der Fermentation bereits in reiner Form entsteht. Die erste laufende BECCS-Anlage funktioniert nach diesem Prinzip: Im US-Bundesstaat Illinois pressen Ingenieure seit 2011 hunderttausende Tonnen verdichtetes CO2 in die Tiefe, das aus einer nahen Ethanolproduktion stammt.

Bei menschengemachten Kohlenstoffdioxidemissionen von jährlich über 30 Milliarden Tonnen klingen solche Mengen nicht viel. Auch ob sich der Betrieb am Ende überhaupt rechnen könnte, lässt sich heute kaum absehen. Die Ursachen dafür liegen im enormen Aufwand begründet, der für BECCS getrieben werden müsste. Jede aus Verbrennungsgasen abgetrennte Tonne CO2 benötigt zusätzliche Energie und verteuert damit den Betrieb, was durch die kostspieligen und technisch anspruchsvollen Tiefenbohrungen weiter verschärft wird.

Dazu können solche negativen Emissionen derzeit gar nicht vergütet werden. Das ließe sich jedoch durch den Emissionshandel unter zwei Bedingungen bewerkstelligen: Einerseits müsste jede entsorgte Tonne CO2 über den aktuellen Börsenpreis bezahlt werden. Zusätzlich müsste der Preis von aktuell 4 Euro auf etwa 50 Euro pro Tonne stark angehoben werden. Unter solchen Annahmen sagt die IEA rund 3,5 Milliarden Tonnen unter wirtschaftlichen Bedingungen entzogenes Kohlenstoffdioxid bis zum Jahr 2050 voraus. Das entspricht immerhin acht Prozent der bis dahin prognostizierten jährlichen Emissionen aus dem Energiesektor und könnte somit "die CO2-Reduktionsziele beeinflussen". Doch schon ein Teil dieses Potenzials reichte aus, das mittlerweile als unerreichbar geltende Zwei-Grad-Ziel bei der globalen Erwärmung doch noch zu realisieren.

Keine perfekte Lösung

Wie sich BECCS dabei in die Emissionsszenarien kommender Jahrzehnte einfügen würde, hat Elmar Kriegler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) untersucht. Mit seinen Kollegen simulierte er das veränderte Verhalten von Energiebranche und Wirtschaft bis ins Jahr 2100. "Einer der großen Vorteile von BECCS wäre, dass CO2 an einer anderen Stelle gebunden wird, als es entsteht. Das ist gut für Industrien, die nur schwer zu dekarbonisieren sind", sagt Kriegler. Beispielsweise könnten die Emissionen aus dem Transportsektor dabei indirekt ausgeglichen werden. Allerdings sieht Kriegler in der Technik keine perfekte Lösung – oder gar ein Mittel, den CO2-Gehalt der Atmosphäre radikal zu senken: "Eine Grundannahme von BECCS ist, dass besonders viel Bioenergie genutzt werden müsste – und die ist durchaus umstritten."

Ethanolproduktion in den USA | Aus Mais wird wie hier im US-Bundesstaat Indiana Ethanol hergestellt. Dabei fällt auch reines Kohlenstoffdioxid an. Es könnte in der Tiefe gespeichert werden, statt wieder in die Luft zu gelangen.

Denn Biomasse steht schon heute in Konkurrenz zum Anbau von Nahrungsmitteln. Immer neue Zuckerrohrplantagen in Brasilien zeigen, wie zu diesem Zweck auch großflächig der tropische Regenwald geopfert wird, der als eine der größten natürlichen Kohlenstoffsenken gilt. Die Umweltorganisation Biofuelwatch schätzt, dass für die BECCS-Technologie nochmals "einige hundert Millionen Hektar" neuen Ackerlandes nötig seien – etwa die zehnfache Fläche Deutschlands [4].

Die Aktivisten greifen auch den Grundgedanken hinter BECCS an. Denn ob der Anbau von Biomasse überhaupt klimaneutral ist, sei keinesfalls gesichert. Abgeholzte Wälder zu Gunsten von Plantagen von Energiepflanzen würden bereits einen großen Verlust an gebundenem Kohlenstoff darstellen. Werden die neuen Felder auch noch gedüngt, könnten dabei nennenswerte Mengen von Lachgas frei werden, das als Treibhausgas 298-fach stärker wirkt als Kohlenstoffdioxid. Der Anbau von Energiepflanzen kann so im schlechtesten Fall sogar klimaschädlicher wirken, als direkt fossile Rohstoffe zu verbrennen.

Unsichere Speicher

Skizze des Ketzin-Projekts | In dem kleinen brandenburgischen Städtchen Ketzin wird Kohlenstoffdioxid in der Tiefe eingelagert. Damit wollen Potsdamer Geowissenschaftler auskundschaften, welche geologischen und technischen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit das klimarelevante Gas sicher in der Erde entsorgt werden kann.

Ob es auf der anderen Seite möglich sein wird, das CO2 dauerhaft in der Tiefe einzuschließen, ist bislang ebenso wenig geklärt. Zwar gibt es global dutzende Anlagen, die das Gas testweise in alte Öllagerstätten oder tiefe Wasserreservoire hinabpressen. Doch nirgendwo ist die Langzeitstabilität der Lager bisher ausgiebig getestet worden. "Weltweit sind wir das erste Projekt, in dem das jetzt untersucht wird", erläutert Axel Liebscher vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam. Er leitet den Pilotstandort Ketzin westlich von Berlin, wo über die letzten fünf Jahre rund 70 000 Tonnen fossil erzeugtes CO2 testweise in die Tiefe gepumpt wurden. Die Injektion endet noch dieses Jahr. Wie sich das Gas in der Tiefe danach verhält, wollen die Geophysiker bis zum Jahr 2018 untersuchen. "Bisher sind die Arbeiten am Speicher sicher und verlässlich verlaufen", resümiert Axel Liebscher.

Vorhaben wie in Ketzin bewegen sich aber in einem vergleichsweise kleinen Maßstab. "Andere Anlagen in Norwegen und den USA versuchen sich bereits an einem industriellen Maßstab von einigen Millionen Tonnen", sagt Liebscher. Auch dabei müssten Forscher genau prüfen, wie gut das tiefe Reservoir abgeschlossen ist. Bevor aber global Milliarden Tonnen CO2 in die Tiefe gelangen können, gibt es noch weitere Hürden zu überwinden. In Deutschland etwa existiert ein starker gesellschaftlicher Gegenwind bei geplanten CCS-Speichern im Untergrund. "Mehrere große Energieunternehmen haben sich daher hier zu Lande vorerst von den nächstgrößeren Pilotanlagen zurückgezogen", so Liebscher.

Keine Alternative?

Selbst die Befürworter von BECCS sehen einen immensen Forschungsbedarf, der beim Lebenszyklus der Energiepflanzen und den darin zusätzlich frei werdenden Treibhausgasen beginnt und bei der Langzeitsicherheit der tiefen Gasspeicher endet. Auch muss die Realität zeigen, ob die Technik tatsächlich den besten aller Wege darstellt, dem Klimawandel zu begegnen. "BECCS dürfte mittelfristig höchstens ergänzende Funktion haben", schätzt der PIK-Forscher Elmar Kriegler.

Noch dazu gibt es andere Idee, atmosphärisches CO2 zu binden. So könnten etwa küstennahe Wüstengebiete mit entsalztem Meerwasser bewässert und großflächig aufgeforstet werden. Auch ließen sich landwirtschaftliche Abfälle zu besonders kohlenstoffhaltiger Pflanzenkohle umwandeln, die dann in Ackerböden oder in Deponien dauerhaft gebunden ist. Kohlenstoffdioxid ließe sich technisch sogar direkt aus der Luft filtern, ohne den Weg über immense neue Plantagen für Energiepflanzen zu gehen.

Am Ende muss allerdings jede der erwähnten Ansätze im globalen Maßstab bezahlbar sein, da auch der Klimawandel den gesamten Planeten betrifft. Trotz vieler ungeklärter Fragen sieht die IEA daher nur BECCS in realistischer Reichweite: Sie sei "die einzige marktnahe Technologie", die den CO2-Gehalt senkte und "sich im großen Maßstab" einsetzen ließe.

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