Kristallografie: Der Antikristall ist da
Das Konzept der Kristalle ist eine der entscheidenden Grundlagen der Festkörperphysik: Die atomaren und molekularen Bestandteile kristalliner Materialien wie Diamanten, Kochsalz oder Metalle sind in einer regelmäßigen, sich wiederholenden Kristallstruktur angeordnet. Doch nun schlagen Physiker um Andrea Liu von der University of Pennsylvania und ihre Kollegen vor, dieses Gedankengebäude um den so genannten Antikristall zu erweitern: einen (theoretischen) Festkörper, der vollkommen ungeordnet ist und keinerlei kristalline Struktur mehr umfasst. Mit diesem Konstrukt wollen die Forscher die Kristallografie quasi von hinten aufzäumen: Bislang gehen Physiker bei der Untersuchung von Festkörpern von einem theoretisch perfekten Kristall aus und fügen dann nach und nach eine zunehmende Unordnung hinzu, um die wirklichen Materialeigenschaften zu bestimmen und zu beschreiben – schließlich kommen nur unter extrem kontrollierten Laborbedingungen reine Kristalle vor, während in der Natur stets auch ungeordnete Abschnitte beigemischt sind.
Das funktioniere für kleinere, unstrukturierte Bestandteile, so der beteiligte Physiker Carl Goodrich. Aber: "Diese Extrapolation weg vom perfekten Kristall scheitert völlig, je weiter man diese Extrapolation betreibt. Die mechanischen Eigenschaften des Körpers lassen sich dann nicht mehr beschreiben." Deshalb sollten Wissenschaftler zukünftig zuerst von einem völlig chaotischen – amorphen – Material wie Glas ausgehen und diesem Schritt für Schritt mehr Ordnung verpassen. Denn die Charaktere selbst eines nur schwach amorphen Körpers stimmten eher mit einem Antikristall denn mit einem perfekten Kristall überein, so die Physiker. Das aber sei entscheidend für das Verständnis dieser Materialien, etwa wie sie auf zunehmende Belastung reagieren oder wenn man völlig neue Werkstoffe entwickeln möchte.
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