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Raumfahrt: Raketenprobleme verhindern Starliner-Start

Probleme mit der Centaur-Oberstufe führten zum Startabbruch von Starliner. Der nächste Startversuch kommt frühestens Dienstag, den 21. Mai.
Starliner-Kapsel (künstlerische Animation)
Wird der Start gelingen? Am 7. Mai 2024 sollte die Raumkapsel Starliner erstmals mit zwei Personen an Bord abheben und zur ISS fliegen.

Update 3, 15. Mai: Der Start von CST-100 Starliner soll jetzt frühestens am 21. Mai 2024 stattfinden, die Startzeit wäre 22:43 Uhr MESZ. Da es aber noch weitere kleinere Probleme an der Raumkapsel gibt, könnte sich der Start weiter verzögern.

Update 2, 7. Mai, 9:30 Uhr: Der Start von CST-100 Starliner soll jetzt frühestens am 10. Mai 2024 stattfinden, eine genaue Uhrzeit nannte die NASA noch nicht.

Update, 7. Mai, 5 Uhr: Ein Sauerstoffablassventil in der Centaur-Oberstufe der Trägerrakete Atlas-5 funktionierte nicht wie erwartet, daher brach die NASA den Start der Raumkapsel Starliner zwei Stunden vor dem Abheben ab. Ein neuer Starttermin wurde noch nicht genannt, in dieser Woche gibt es noch mehrere geeignete Startfenster.

Geplant war eine Entwicklungszeit von sieben Jahren. Tatsächlich wurden es nach einer langen Serie von Rückschlägen 14 Jahre bis zum Flugtest mit Crew an Bord des Starliner von Boeing. Diese entscheidende Mission mit der Bezeichnung CFT (englisch für: Crew Flight Test) soll nun am 7. Mai um 4:34 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit beginnen, wenn es nicht in letzter Minute erneut zu einer Verzögerung kommt.

Mit den ersten Verträgen für die Entwicklungsstudien im Rahmen des Commercial Crew Development Program (kurz: CCDev) im Jahr 2010 suchte die US-Raumfahrtbehörde NASA einen Nachfolger für den Spaceshuttle, dessen Flugbetrieb im darauf folgenden Jahr eingestellt wurde. Nach mehreren Vorentscheidungsrunden lief im Jahr 2014 die Vollentwicklung an, für welche die NASA zwei Aufträge vergab. Der eine, mit insgesamt 4,2 Milliarden Dollar dotiert, ging an Boeing. Der andere lautete auf 2,6 Milliarden Dollar und wurde mit SpaceX vereinbart. Die Aufgabe: Entwicklung, Bau und Test eines Transportsystems für den Transfer von Astronauten zur Internationalen Raumstation. Die NASA wollte zwei unabhängige Systeme haben, um sicherzugehen, dass am Ende mindestens eines davon funktionsfähig zur Verfügung stehen würde.

Als Datum für einen ersten Testflug ohne Besatzung wurde für beide Systeme das Jahr 2017 festgelegt. Danach sollte je ein bemannter Erprobungsflug erfolgen und schließlich etwa ab 2019 der geplante reguläre Transportservice zur Internationalen Raumstation ISS beginnen. Für den waren zwei Flüge jährlich geplant, abwechselnd einer mit dem Starliner von Boeing und einer mit einem Crew Dragon von SpaceX. Beide Systeme sollten in der Lage sein, im Normalfall vier Besatzungsmitglieder zu transportieren, und im Notfall, etwa der Evakuierung der Raumstation, bis zu sieben Personen.

Die Starliner-Kapsel auf der Spitze der Atlas-5-Rakete | Das Bild entstand vor der Mission OFT-2 im Mai 2022, die weitgehend erfolgreich verlief, allerdings ohne eine Crew an Bord.

Für die Experten war der Fall klar: Die Entwicklung eines relativ konservativen bemannten Raumtransportsystems sollte kein Problem für den Aerospace-Giganten Boeing darstellen. Äußerst fraglich erschien es ihnen jedoch, ob SpaceX da mithalten konnte. Das Unternehmen war klein, unerfahren, galt als kapriziös sowie risikofreudig und hatte im Juni 2010 gerade eben den – immerhin erfolgreichen – Erstflug der Rakete Falcon 9 durchgeführt.

Bis etwa zum Jahr 2016 wies die NASA in ihren Planungen für die Crew-Rotation zur ISS den Starliner als führendes Element aus. Bald gerieten beide Unternehmen mit ihren Entwicklungsprogrammen in Rückstand, doch bei SpaceX bewältigte man zur Überraschung der NASA die Schwierigkeiten wesentlich schneller und effizienter als bei Boeing.

Der erste Flug des Starliner war ein Fiasko

Am 20. Dezember 2019, mit zweijähriger Verzögerung, startete der Starliner zur vertraglich vereinbarten Mission OFT-1, dem unbemannten Orbital Flight Test 1. Doch der Flug wurde fast ein Fehlschlag. Die Kapsel war nicht in der Lage, die Internationale Raumstation zu erreichen, und bei der Vorbereitung zur Landung offenbarte sich ein Softwarefehler, der beinahe zum Verlust des Raumschiffs geführt hätte. Zu diesem Zeitpunkt hatte SpaceX Boeing schon längst überholt. Deren erster Testflug der Raumkapsel Crew Dragon wurde bereits im März 2019 absolviert und verlief vollständig erfolgreich.

Ein Missgeschick schien SpaceX trotzdem noch einmal aus der Bahn zu werfen, denn bei einem Bodentest der Triebwerke der Kapsel der Demo-Mission 1 – derselben, mit der man im März den erfolgreichen Flugtest zur ISS durchgeführt hatte – kam es im Mai 2019 zu einer Explosion, die das Raumfahrzeug komplett zerstörte. Auch mit dem Fallschirmsystem gab es Probleme. Doch SpaceX konnte alle technischen Hindernisse systematisch beseitigen, und so erfolgte der finale Testflug des Systems schließlich im Mai 2020 mit den Astronauten Doug Hurley und Bob Behnken an Bord. Die 62-tägige Mission verlief überaus erfolgreich. Somit galt der Crew Dragon von SpaceX von Stunde an als qualifiziert für den Einsatzdienst. Im November desselben Jahres startete das Raumfahrzeug dann erstmals mit einer vierköpfigen Crew für einen normalen Besatzungstransfer zur ISS.

Seither hat SpaceX 13 Missionen mit Astronauten an Bord mit dem Crew Dragon durchgeführt. Neben denjenigen für die NASA auch noch eine Reihe privater Orbitalflüge. Zählt man die Einsätze der bis auf das Lebenserhaltungssystem weitgehend baugleichen Raumkapsel Cargo Dragon dazu, sind es sogar bereits 25 Flüge.

Verfolgen Sie den Start des Starliner live!
Am 7. Mai 2024 um 4:34 Uhr unserer Zeit soll die Raumkapsel Starliner erstmals mit zwei Personen an Bord zur Internationalen Raumstation ISS fliegen. Seien Sie live dabei!

Pleiten, Pech und Pannen bei Boeing

Während es also auf der Seite von SpaceX nach anfänglichen Schwierigkeiten planmäßig und nahezu fehlerfrei weiterging, folgte für den Starliner eine schier unendliche Serie von Problemen, mit denen eine zunehmend schärfer werdende Kritik an Boeings Projektmanagement einherging.

Bei einem »Pad Abort Test«, einem simulierten Flugabbruch von der Startrampe aus im November 2019, öffnete sich einer der drei Hauptfallschirme nicht. Im Dezember 2019 scheiterte die schon erwähnte Mission OFT-1, so dass ein zweiter Testflug ohne Astronauten an Bord angesetzt werden musste. Der sollte im November 2020 erfolgen, aber zahlreiche weitere Modifikationen an der Raumkapsel zögerten diesen Termin immer weiter hinaus. Schließlich wurde er für August 2021 anberaumt. Doch nur wenige Tage vor dem Missionsbeginn, die Rakete mit der Kapsel stand bereits auf der Startrampe, entdeckte man eine Fehlfunktion im Ventilsystem der Lageregelungstriebwerke. Die Rakete wurde in das Montagegebäude zurücktransportiert, die Kapsel demontiert, und die Fehlersuche begann.

Es dauerte bis Mai 2022, bis die Wiederholung des unbemannten Flugtests möglich wurde. Wieder kam es zu einer ganzen Reihe von Anomalien: Unter anderem fielen mehrere Lageregelungstriebwerke aus, erneut auf Grund ungenügend funktionierender Ventile. Immerhin gelang dieses Mal das Anlegemanöver an der Raumstation. Nach der sicheren Rückkehr der Kapsel entdeckte man weitere Fehler am Gurtsystem der Landefallschirme und fand heraus, dass die Kabelbäume mit brennbarem Klebeband isoliert waren. So musste Boeing das Fallschirmsystem nachbessern und die Isolierung von vielen Kilometern Kabel erneuern.

Boeings Ruf war zu dieser Zeit – und ist es bis zum heutigen Tag – schon erheblich ramponiert. Dazu beigetragen hatten die Probleme mit der Passagiermaschine Boeing 737 Max, die zu zwei Abstürzen mit mehreren hundert Toten führten, oder die Geschichte mit dem herausgebrochenen Seitenpaneel einer weiteren, brandneuen Boeing 737 Max, das sich während eines Alaska-Airlines-Flugs im Januar 2024 zutrug. Nicht erst seit dieser Zeit gilt Boeing als schlecht geführtes Unternehmen, das eher an gut frisierten Quartalsberichten interessiert ist denn an technischer Perfektion.

Selbst die NASA gab zu, dass sie Boeing während des Entwicklungsprozesses viel weniger Aufmerksamkeit gewidmet hatte als SpaceX. Sie begründete das damit, dass die Auslegung des Dragon-Raumschiffs wesentlich revolutionärer gewesen sei als die eher konservative Konstruktion des Starliner. Das bestätigt schon die äußere Form der beiden Raumfahrzeuge, vor allem aber ein Blick in das Innere der Kabine und auf die Instrumentenpaneele. Bei SpaceX sieht alles sehr futuristisch und aufgeräumt aus. Alle Informations- und Bedienelemente werden auf großen Touchscreens dargestellt und erinnern eher an ein Raumschiff aus einem Sciencefiction-Film. Über kleinere Touchscreens verfügt auch der Starliner, dazu kommen aber Dutzende von Schaltern, Hebeln und Druckknöpfen, so dass das Cockpit auf den ersten Blick wirkt, als befände man sich im Inneren einer Apollo-Kapsel aus den 1970er Jahren. Verglichen mit dem Crew Dragon wirkt der Starliner ziemlich altertümlich.

Einige Probleme, wie die mit den Ventilen, sind noch immer nicht vollständig behoben. Boeing glaubt aber, dass man mit dem gegenwärtig erreichten Verbesserungsstand zumindest für den relativ kurzen Testflug klarkommt. Für neu entwickelte Ventile muss die NASA auf den ersten Einsatzflug warten, also auf die Mission Starliner 1.

Ständiger Wechsel bei der ersten Crew

Während der jahrelangen Wartezeit wurden immer wieder Crew-Mitglieder für die Mission CFT und den Einsatz Starliner 1 ernannt und später wieder abberufen. Manche traten aus privaten Gründen zurück wie Chris Ferguson oder aus gesundheitlichen Ursachen wie Eric Boe. Am schlimmsten erwischte es dabei wohl Jeanette Epps. Sie wurde im Jahr 2020 als Besatzungsmitglied für den Flug Starliner 1 nominiert. Während andere Astronauten wie etwa Nicole Mann oder Victor Glover während der langen Zeit des Wartens von der Mission abgezogen wurden, blieb sie als einzige aus dieser Mannschaft Jahr für Jahr weiter für diese erste Einsatzmission nominiert. Schließlich hatte die NASA im August 2023 endlich ein Einsehen und teilte sie einer SpaceX-Mission zu. Seit 4. März 2024 ist sie an Bord der ISS und wird, wenn alles gut geht, vor Ort erleben, wie der Starliner auf seinem Testflug die Raumstation erreicht. Die Mission Starliner 1 dagegen, für die sie ursprünglich nominiert war, wird auch im besten Fall nicht vor März 2025 zur ISS fliegen.

Aufbruch ins All: Wird der Start am 7. Mai 2024 klappen? | Die Astronauten Suni Williams und Butch Wilmore am 31. Januar 2024 beim Training an der Cape Canaveral Space Force Station.

Als Trägerrakete des Starliner kommt die Atlas 5 N22 zum Einsatz. Alle sieben Erststufen und die speziell erforderliche Version der Centaur-Oberstufe, die für das Programm bis Anfang 2030 benötigt werden, sind bereits produziert und liegen »auf Halde«. Sind sie verbraucht, dann hat das Startunternehmen United Launch Alliance keinen Träger mehr für Boeings Starliner zur Verfügung, es sei denn, der Nachfolger der Atlas, die Vulcan-Rakete, wird bis dahin für bemannte Einsätze qualifiziert. Das allerdings ist ein mehrjähriger und teurer Prozess. Derzeit ist offen, ob Boeing gewillt ist, den Starliner nach Erfüllung des Vertrags mit der NASA weiter zu betreiben und ihn, ähnlich wie SpaceX den Crew Dragon, kommerziell einzusetzen.

Doch nun ist es endlich so weit, und die Spannung ist groß. Am 7. Mai sollen zwei erfahrene NASA-Astronauten, nämlich Barry »Butch« Wilmore und Sunita »Suni« Williams, die Raumkapsel in einer siebentägigen Mission auf Herz und Nieren testen. Wilmore ist 61 Jahre alt und hat bei seinen früheren Missionen bereits 178 Tage im Weltraum verbracht. Die 58-jährige Suni Williams verfügt sogar über 322 Tage Weltraumerfahrung aus zwei Langzeitaufenthalten auf der ISS.

Sollte die Mission erfolgreich verlaufen, dann hat die NASA ab jetzt zwei qualifizierte Raumfahrtsysteme für den Transport von Astronauten in die niedrige Erdumlaufbahn zur Verfügung. Und vielleicht wird Boeing durch einen gelungenen Einsatz dazu motiviert, das teuer erkaufte Starliner-System auch für die Nutzung zukünftiger privater Raumstationen zu verwenden. Auch wenn das Unternehmen dafür noch ein paar Dollar drauflegen müsste.

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